In schummrigen Gassen: Besser nicht nostalgisch werden
Krimi Unser Kolumnist Joachim Feldmann bearbeitet die Fälle ungewöhnlicher Ermittler*innen: Es geht in das römische Köln des Jahres 87, mit dem einarmigen Ex-Detektiv Cheng nach Australien und nach Dänemark, wo ein diverses Trio ermittelt
Der klassische Detektiv trägt Hut – die modernen Detektiv:innen gerne auch mal keinen
Foto: Imago/Shotshop
Einst war Nick Charles ein echter Detektiv. Jetzt kümmert er sich vor allem darum, den Besitz seiner schwerreichen Gattin Nora zu mehren. Dass er zufällig in einen Kriminalfall verwickelt wird, passt ihm gar nicht. Schließlich ist er nur in New York, um seinerFrau bei den Weihnachtseinkäufen Gesellschaft zu leisten. Doch was soll man tun, wenn plötzlich ein erregter junger Mann mit Pistole im Schlafzimmer steht? Das geht nicht ohne Blessuren ab. Also beschließt Charles, der Sache auf den Grund zu gehen. Was ihm mit Unterstützung seiner Ehefrau auch gelingt. Trotz der vielen Drinks, die er im Verlauf der Ermittlungen zu sich nimmt. Auf einen entscheidenden Faustschlag folgt im letzten Kapitel die akribische Aufklärung der Zusammenhänge durch den
änge durch den Detektiv. Zumindest als plausible Theorie, die ein Hercule Poirot kaum überzeugender hätte formulieren können. Als Raymond Chandler schrieb, Dashiell Hammett habe den Mord „aus der venezianischen Vase“ gezogen und „auf die Straße“ fallen lassen, hatte er wohl kaum dessen letzten Roman Der dünne Mann (1934), der jetzt in einer frischen Übersetzung vorliegt, im Sinn. Hier ist der einstmals taffe Profi-Schnüffler zum geistreichen Salonlöwen mutiert, dessen Ermittlungen vor allem als Selbstverteidigung gegen potenzielle Klienten zu verstehen sind. Dass dieser tragikomische Abgesang auf den Detektivroman Stoff für sechs launige Kriminalfilme, eine Fernsehserie und sogar ein Musical liefern sollte, zeigt die Unverwüstlichkeit eines Genres, das langlebiger ist, als seine Klassiker es ahnen lassen.Und ein Ende ist nicht abzusehen. Auch wenn der Privatdetektiv amerikanischer Prägung hierzulande ein bisschen aus der Mode geraten ist. Für einsame Helden, die, wie es Chandler vorschwebte, auch in widrigsten Umständen eine weiße Weste behalten, haben die Leserinnen zeitgenössischer Spannungsliteratur offenbar wenig übrig. Zumindest muss eine ebenbürtige Partnerin her. Selbst wenn die Ermittlungen im römischen Reich stattfinden. Schatten über Colonia, ein historischer Kriminalroman von Julia Nika Neviandt und Axel Melzener, setzt auf den Reiz des ungleichen Paares. Die widerborstige Lucretia, aus gutem Hause und gegen den Willen ihrer Mutter noch nicht unter der Haube, und der gewiefte Anwalt Quintus Tibur decken im Köln des Jahres 87 eine Verschwörung auf und verhindern auf diese Weise eine blutige Auseinandersetzung zwischen der römischen Besatzungsmacht und den germanischen Stämmen der Umgebung. Der immerhin mehr als 500 Seiten starke Roman bietet konventionelle Krimikost, verpackt in einer Fülle geschichtlichen Informationsmaterials. Das ist so lehrreich wie unterhaltsam. Und als engagiertes Plädoyer für ein multikulturelles Miteinander unbedingt sympathisch.Gleich ein Trio, divers dazu, lässt die Dänin Katrine Engberg in Glutspur, Auftakt zu ihrer neuen Krimireihe, ermitteln. Die Ex-Polizistin Liv Jensen, Inhaberin einer mäßig laufenden Detektei, liebt Frauen. Zur Seite stehen ihr die Psychologin Hannah Leon und der iranische Flüchtling Nima Ansari. Was sie zusammenführt, sind drei rätselhafte, scheinbar unverbundene Todesfälle. Während die Detektivin im Auftrag handelt, agieren Leon und Ansari aus persönlicher Betroffenheit. Die Spur führt zurück in das Jahr 1943, als jüdische Dänen vor den Nazis fliehen mussten. Das klingt nach einem gängigen populärliterarischen Rezept, doch Katrine Engberg, durch die eigene Familiengeschichte zu diesem Buch inspiriert, gelingt es, Klischees zu vermeiden und die unterschiedlichen Handlungsfäden zu einem mitreißenden Kriminalroman zu verknüpfen.J. K. Rowling hingegen, die als Robert Galbraith seit zehn Jahren Abenteuer für ihren kriegsversehrten Detektiv Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott erfindet, täte gut daran, auf den einen oder anderen Erzählstrang zu verzichten. Ihr neuester Streich, Das strömende Grab, bringt es nämlich auf kiloschwere 1.296 Seiten. Man kennt diese Gigantomanie von ihrer Harry-Potter-Reihe. Geschuldet ist der Umfang auch dem Hang der Autorin zum wortreichen Detail. Dabei ist Rowlings Erzählsprache ansonsten bemerkenswert sachlich. Einige Mühe verwendet sie allerdings darauf, Dialoge mit den passenden Akzenten zu versehen, was in der deutschen Übersetzung leider verloren geht. Das lässt sich aber wohl nicht ändern. Im Londoner Cockney-Dialekt sprechende Figuren einfach berlinern zu lassen, war noch nie eine gute Idee.Die Ermittlungen des ungleichen Duos gelten diesmal den Machenschaften einer pseudoreligiösen Sekte, die ihre Mitglieder mit psychischer und physischer Gewalt abhängig macht. Während Robin sich in das Zentrum der Gemeinschaft einschmuggelt und dabei Leib und Leben riskiert, sucht Cormoran Strike unter Abtrünnigen nach möglichen Zeugen. Doch das ist angesichts der erlittenen Traumata mühevoll. Aber auch ziemlich spannend. Denn Rowlings auktorialer Mitteilungsdrang, dem die Herkunft aus der englischen Romanliteratur des frühen 19. Jahrhunderts anzumerken ist, entwickelt einen ganz speziellen Reiz.Zeitgenössischer Realismus allerdings geht anders. Wie, das zeigt die fabelhafte Monika Geier, die sich in ihrem neuen Roman um Kommissarin Bettina Boll ebenfalls den Abgründen religiöser Überzeugungen widmet. Aber mit einer schlichten Variante der alten Priesterbetrugsthese wie bei Rowling ist es hier nicht getan. Antoniusfeuer heißt das Buch nach dem durch Mutterkorn hervorgerufenen Vergiftungszustand. Richtig, das ist der Getreideparasit, auf dessen Basis auch die Droge LSD beruht. Was das mit exorzistischen Ritualen zu tun hat, muss die skeptische Bettina Boll auf die ihr eigene systematische Weise herausfinden. Dabei sollte sie eigentlich nur den Suizid eines afghanischen Flüchtlings untersuchen, der wegen Mordes in der Jugendstrafanstalt einsaß. Und in dessen Koran ausgerechnet ein Totenzettel mit einer Abbildung des Isenheimer Altars gefunden wird. Dahinter steckt eine komplexe Geschichte. Die Ermittlerin muss gut zuhören und beobachten, um sie zu verstehen. Solche Sorgfalt empfiehlt sich auch für die Lektüre dieses anspielungsreichen und vielschichtigen Kriminalromans. Sie wird belohnt.Ein spielerisches Verhältnis zum Krimigenre unterhält seit jeher der österreichische Autor Heinrich Steinfest. Regeln sind dafür da, gebrochen zu werden, vermeintliche Grenzen werden gerne überschritten, und für Übersinnliches ist immer Platz. So auch im neuen Fall für den einarmigen Ex-Detektiv und jetzigen Sekretär Cheng und seine Chefin, Frau Wolf. Früher einmal waren die Rollen andersherum verteilt, doch Cheng fühlt sich als Angestellter wohler, zumal ihn ein böser Gehirntumor mental einschränkt. Dennoch übernimmt er den Großteil der Ermittlungsarbeit im Falle eines verschwundenen Wombatforschers, die strapaziöse Flugreise nach Australien eingeschlossen, um im Laufe der Handlung nicht nur einem weltweit agierenden Profikiller auf die Spur zu kommen, sondern auch einen perfiden Mord aufzuklären. Das ist genauso verrückt und kunstvoll arrangiert, wie diese Inhaltsangabe klingt, darf aber nicht als Parodie missverstanden werden. Heinrich Steinfest ist ein mit allen narrativen Wassern gewaschener Erzähler, der seine enzyklopädischen Kenntnisse populärer Kultur wunderbar zu nutzen versteht. Und das nicht nur zum eigenen Vergnügen.Wer nun Sehnsucht nach den kernigen Ermittlern alter Schule bekommen hat, sollte sich vorsehen, nicht zu sehr von nostalgischen Gefühlen überwältigt zu werden. Man könnte sich plötzlich in einer schlecht beleuchteten Gasse wiederfinden. Das suggeriert zumindest Prophet, ein Hybrid aus Agententhriller und Sci-Fi-Roman der Autorinnen Sin Blaché und Helen MacDonald. Der Titel bezeichnet eine mysteriöse Substanz, die Wunschvorstellungen reale Gestalt annehmen lässt. Mit gruseligen Folgen. Dem Geheimnis auf der Spur sind zwei Agenten, die eine gemeinsame militärische Vergangenheit verbindet. Grün sind sie einander nicht, trotz der erotischen Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrscht. Eine komplizierte Beziehung also, die über weite Strecken des Romans verhandelt wird, was für manche den Spaß an der haarsträubend einfallsreichen Handlung mindern mag. Originell ist das Buch aber allemal. Gerade weil es vor allem aus bewährten Bauteilen zusammengesetzt ist. Dashiell Hammett, dem nach Der dünne Mann kein Roman mehr gelang, nicht zuletzt, weil er fürchtete, sich stilistisch und inhaltlich zu wiederholen, wäre wahrscheinlich beeindruckt.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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