Jeder hasst jeden

Sebien Ivan Marovic, Sprecher der serbischen Bürgerbewegung "Otpor", über eine junge Demokratie, die mächtig unter den Pflug der Parteiinteressen geraten ist

Die durch den Sturz des Präsidenten Milosevic vor drei Jahren bekannt gewordenen Bürgerrechtler von Otpor (Widerstand) haben sich zur Partei erklärt. Hintergrund für diesen Schritt ist nicht zuletzt das gute Abschneiden des Kandidaten Tomislav Nikolic von der ultranationalistischen Radikalen Partei bei der am 16. November erneut gescheiterten Präsidentschaftswahl.

FREITAG: Warum wollen Sie nun doch als Partei weitermachen?
IVAN MAROVIC: Die Präsidentschaftswahlen vom 16. November haben gezeigt, dass und wie eine große Apathie der Wähler die politische Krise Serbiens vertieft. Deshalb haben wir uns entschieden, nicht mehr nur den demokratischen Prozess zu kontrollieren, sondern ihn als Akteur direkt zu beeinflussen.

Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Wir streiten für ein demokratisches System, für das auch drei Jahren nach Milosevic noch immer die Basis fehlt. Um es bildlich auszudrücken - es gibt einfach kein "Fair Play" in diesem Land. Wir müssen jetzt schleunigst eine neue Verfassung verabschieden und einige Gesetze, die für eine neue demokratische Ordnung sorgen. Auch wurde mit der Vergangenheit nicht aufgeräumt. Milosevic war quasi der Einzige, der verhaftet wurde, und nun kommen seine Verbündeten zurück.

Wird "Otpor" letztlich eine Partei von 250 anderen sein, die bereits in Serbien existieren?
Wir arbeiten mit allen demokratischen Parteien gut zusammen. Aber unter ihnen herrscht ein totaler Hass - jeder hasst jeden. Das ist vollkommen absurd. Darum gibt es hier diese totale Konfusion, Apathie und Enttäuschung bei den Wählern. Insofern muss jemand kommen, der den Willen zum Neuanfang hat - und das sind wir. Wir unterscheiden uns von den anderen Parteien, da unsere Wurzeln in der Zivilgesellschaft liegen. So haben wir bessere Ohren dafür, was die Gesellschaft will. 2002 konnten wir zum Beispiel 15.000 Stimmen für ein neues Wahlgesetz sammeln. Nun sind die Wahlen erneut gescheitert, weil das Parlament dieses Gesetz nicht diskutiert hat.

Wo liegen die Wurzeln der anderen Parteien - lassen die sich genau so eindeutig bestimmen wie die Ihren?
Die Parteien stehen in Serbien auf keiner ideologischen Basis und sind auf eine Führungsperson angewiesen. Wir hingegen werden die erste Partei sein, die keine Führungsperson braucht. Die einzige Gruppierung, die derzeit mit einer beinharten Programmatik aufwartet, das ist die Radikale Partei. Aber wir stimmen mit keinem ihrer Standpunkte überein.

Vorgezogene Neuwahlen des Parlaments finden am 28. Dezember statt. Mit welchem Stimmenanteil rechnen Sie?
Wir hoffen ins Parlament einziehen zu können. Wir sind nicht so verrückt, die Mehrheit der Stimmen zu erwarten. Unsere Zeit kommt erst in den nächsten Jahren.

Sie lebten bisher von guten Kontakten zu westlichen Regierungen. Wie werden Sie sich künftig finanzieren?
Als Nichtregierungsorganisation haben wir uns von Spenden prominenter europäischer und amerikanischer Stiftungen finanziert. Das war nach unseren Gesetzen ein normaler Vorgang für eine NGO. Das Gute ist, dass in Serbien ab Januar 2004 ein neues Gesetz über Parteienfinanzierung in Kraft tritt. Wir werden die erste Partei in Serbien sein, die sich von Anfang an nach dem neuen Gesetz finanziert. Eine Ausstattung mit "schmutzigem Geld", wie sie zuvor bei Parteien üblich war, ist damit unmöglich. Nun muss alles transparent sein, allerdings gibt es auch eine finanzielle Unterstützung vom Staat.

Wie steht Otpor zur EU?
Wir denken, dass der Integrationsprozess nur mit regionaler Kooperation im westlichen Balkan gelingen kann. Erst dann können wir daran denken, der EU beizutreten. Was von führenden Politikern in Serbien, Kroatien und Bosnien befürwortet wird, ist etwas komplett anderes. Sie versprechen einen Beitritt zur EU, als wäre der schon sicher - das ist unverantwortlich.

Das Gespräch führte Stefan Tenner


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