Jens Spahn als letzte Hoffnung

Psychiatrie Neue Regeln sollten die Versorgungslage in Kliniken verbessern. Doch das Resultat entsetzt viele Fachverbände
Ausgabe 40/2019

Beschämend sei das, missachtend gegenüber den Patienten, ein klägliches Scheitern und damit die „psychiatrische Versorgung in Gefahr“: Die Kritik vieler Verbände an den jüngst vom Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verabschiedeten neuen Regeln für Personalstandards in der Psychiatrie fällt dieser Tage äußerst scharf aus.

Der Hintergrund: Nach Konventionen der Vereinten Nationen haben psychisch kranke Patienten eigentlich ein Anrecht, in ihrem Lebensumfeld Therapie und Unterstützung zu erhalten – niederschwellig, damit auch schwer kranken Patienten ein möglichst normales Leben zu führen möglich ist. Doch stattdessen gibt es immer mehr Klinikbehandlungen, die Bettenzahlen steigen. Zwar existieren in Deutschland einige vorbildhafte Modellprojekte – doch sind es viel zu wenige. Schlagzeilen von vermeidbaren Todesfällen in Psychiatrien, von illegalen Zwangsmaßnahmen und unwürdigen Zuständen zeigen, dass Patienten zu häufig nicht auf eine gute Versorgung vertrauen können. Dabei haben sie die meist dringend nötig. Doch das schlechte Image von Psychiatrien erschwert es ihnen oft, überhaupt nach Hilfe zu suchen.

Aufgabe des G-BA war es, neue Mindestanforderungen für psychiatrische Krankenhäuser zu entwickeln. Das Gremium ist einer der mächtigsten und zugleich unbekanntesten Akteure im deutschen Gesundheitswesen: Neben den beiden mit je fünf Stimmen ausgestatteten Krankenkassen einerseits und den Ärzteverbänden und Kliniken andererseits entscheiden drei unparteiische Mitglieder, welche Leistungen Krankenkassen übernehmen und welche Qualitätsstandards gelten sollen.

Zerstrittene Lager

Bei der vom G-BA schon jahrelang diskutierten Psychiatrie-Richtlinie scheiterte das Gremium wie selten zuvor, sich auf einen vernünftigen Kompromiss im Sinne der Patienten zu einigen: Bis zum Tag der Entscheidung waren die Lager zerstritten. Erst in einer stundenlangen Sitzung beschlossen sie dann ad hoc, welche Standards in den nächsten Jahren gelten sollen. Nachdem die Richtlinie hinter verschlossenen Türen erarbeitet worden war, schaffte es das Gremium tagelang nicht, den Text zu veröffentlichen. Dabei sollen die Beschlüsse schon am 1. Januar in Kraft treten. Presseanfragen ließ der G-BA teils unbeantwortet, da der finalisierte Beschluss noch nicht vorliege – im Nachgang der Beratungen habe es einen hohen Bedarf an „rechtlicher Konsistenzprüfung“ gegeben.

Stolz hatte der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken bei der Verabschiedung der Richtlinie Verbesserungen bei psychisch kranken Kindern und Intensivbehandlungen sowie Psychotherapien vermeldet – doch viele Fachorganisationen wie die Bundespsychotherapeutenkammer, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und auch die Bundesärztekammer sind entsetzt: Denn die neuen Regeln basieren im Wesentlichen auf solchen, die bereits jahrzehntealt und überholt sind. Ein Erfolg ist es zwar, dass Kliniken nun verpflichtet sind, das vorgeschriebene Personal auch anzustellen und nicht auf Kosten der Psychiatriestationen zu sparen – ansonsten drohen Sanktionen. Doch eigentlich hatte der Bundestag dem G-BA aufgetragen, verbindliche Mindestvorgaben zu erlassen, welche „zu einer leitliniengerechten Behandlung beitragen“ sollen. Herausgekommen sind lediglich Untergrenzen, mit denen laut Fachverbänden eine gute Psychiatrie unmöglich ist. Der GBA-Vorsitzende Hecken meinte, das Ziel einer leitliniengerechten Therapie sei doch „eigentlich so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche“. Schön wäre es – derzeit sieht es vielerorts deutlich anders aus.

Die Richtlinie zu überprüfen – und für Ersatz zu sorgen –, ist nun Aufgabe von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ein Bündnis von rund 30 Organisationen will daher am Welttag der seelischen Gesundheit am 10. Oktober vor dem Ministerium in Berlin demonstrieren. Eine Petition beim Deutschen Bundestag soll dafür sorgen, dass Bund und Länder die psychiatrische Versorgung hierzulande endlich grundlegend reformieren, nicht im Sinne der Kliniken oder der Kassen – sondern in dem der Patientinnen.

Hinnerk Feldwisch-Drentrup schreibt über Gesundheits- und Forschungspolitik, Medizin und Bioethik. Er ist Mitgründer des Online-Magazins medwatch.de

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