"Reformen des Todes". Mit diesen Worten bilanziert ein am 10. November veröffentlichter Appell von "Generalen und Admiralen der sowjetischen Streitkräfte und der russischen Armee an den Präsidenten der Russischen Föderation" zwei Jahre Putinscher Versuche einer Neustrukturierung des russischen Militärs. Ein unerhörter Vorgang, der weniger Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins denn dramatischer Hilferuf eines Berufsstandes ist, der wie kaum ein zweiter unter den politischen Blütenträumen des postsowjetischen Kreml-Establishments gelitten hat.
Nachdem deutlich geworden war, dass Wladimir Putin bei der Beurteilung des militärischen Vorgehens Washingtons in Afghanistan eher auf die Expertise von Generalstabschef Anatoli Kwaschnin als von Verteidigungsminister Sergej Iwanow baute, schien für eine Reihe hochrangiger Militärs die Stunde gekommen, vom Oberkommandierenden mit Nachdruck ein Mitspracherecht bei der Lösung dreier grundlegender Fragen einzufordern: der Zukunft des ABM-Vertages, den Russlands Generalität unverändert als zentrale Säule geostrategischer Stabilität betrachtet; der militärischen Präsenz Russlands im ehemaligen sowjetischen Süden, auf dem Balkan, in Südostasien und auf Kuba, die keinesfalls der vom Kreml ausgerufenen neuen russisch-amerikanischen Partnerschaft zum Opfer fallen dürfe; sowie der technologischen und sozialen Erneuerung der russischen Streitkräfte.
Putin reagierte, indem er unmittelbar vor seinem Abflug in die USA Russlands Militärführung zu einem ebenso ausführlichen wie vertraulichen Gespräch über die Grundlinien seiner Militärpolitik einlud. Selbst wenn es dem Präsidenten in diesem Gespräch gelungen sein sollte, seine Generale zu beruhigen, dürften die Ergebnisse seiner Verhandlungen mit US-Präsident Bush für neuerlichen Wirbel sorgen. Stichwort: Raketenabwehr. Zwar erklärten beide Präsidenten, am ABM-Vertrag festhalten zu wollen. Gleichzeitig machten sie jedoch deutlich, jene Methodik, die sich bei der Erarbeitung strategischer Rüstungskontrollverträge herausgebildet hat, zugunsten neuer Spielregeln aufgeben zu wollen.
Was das für Spielregeln sein sollen, darüber schwiegen sich beide aus. Aber wie auch immer: Die verkündete Abkehr von der bisherigen Rüstungskontrollphilosophie kann nicht ohne Auswirkungen auf den ABM-Vertrag bleiben. Und so wird Washington daher sehr bald mit neuen Testreihen beginnen, während der Kreml so tut, als sei dies das Normalste von der Welt. Ob Russlands Generalität bereit ist, eine derartige Entwicklung zu akzeptieren, kann bezweifelt werden. Ein "zweiter Gorbatschow" sei er, ein Träumer und Phantast, eine Gefahr für Russland. So denken viele russische Militärs über Putin. Und der jüngste russisch-amerikanische Gipfel wird kaum dazu beigetragen haben, dieses Image nachhaltig zu verändern.
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