Karl Liebknecht

A-Z In jedem Dorf der DDR war eine Straße nach ihm benannt, und dass er etwas mit Rosa Luxemburg hatte ist nur einer von vielen Mythen, die unser Wochenlexikon über ihn weiß
Ausgabe 50/2018

A

Antimilitarismus Liebknechts Buch Militarismus und Antimilitarismus erschien 1907. Es war der Erziehung der internationalen Jugend gewidmet. Denn „wer die Jugend hat“, so sein letzter Satz, „der hat die Armee“. Die SPD glaubte, Liebknecht nicht agitieren zu müssen. Die Auskunft der Parteiführer, „es gäbe keine sozialdemokratische Partei in der ganzen Welt, die so viel gegen den Militarismus kämpfe wie die deutsche Sozialdemokratie“, ließ er durchaus gelten. Ja, er betonte sogar, dass die Partei (Ziehväter) nicht „antipatriotisch“ sei.

Als „utopistisch“ und „phantastisch“ wies er den „Standpunkt zurück, der sich nicht gegen den Militarismus, sondern gegen jegliche Art der Vorbereitung zum Kriege wendet“. Auch er hätte also grundsätzlich sagen können: „Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.“ Aber eben nicht 1914, wo der Satz eine Lüge war. Michael Jäger

D

DEFA Zweimal hat sich die DDR-Filmproduktion mit Karl Liebknecht beschäftigt. Solange Leben in mir ist (1965) beginnt im Jahr 1914 und endet mit seiner Verhaftung (Hochverrat) im Jahr 1916. Trotz alledem! (1972) spielt in dem Jahr nach Liebknechts Haftentlassung über die Ausrufung der „Freien Sozialistischen Deutschen Republik“ im November 1918 bis zu seiner Ermordung 1919. Die Drehbücher schrieb Michael Tschesno-Hell (Thälmann-Filme I und II), Regie führte Günter Reisch, der versuchte, die dogmatische Sicht Tschesno-Hells zu unterlaufen.

Beide Filme waren aufwendig produziert und beeindruckend. Sie wollten natürlich ein Geschichtsbild festlegen, und es gab auch sehr plakative Szenen.Aber vor allem lebten sie durch die Darstellungskunst ihrer Schauspieler. Allen voran des – erst vor einigen Wochen verstorbenen – Dresdners Horst Schulze (1921 – 2018), dem es gelang, einen lebendigen Menschen zu zeigen und keine in Posen erstarrte politische Heldenfigur. Magda Geisler

F

Friedrichsfelde Im Januar fuhren wir sonntags nach dem Mittagessen die paar Kilometer von unserer Wohnung in diese kleine Straße in Berlin-Friedrichsfelde, die am Eingang des Friedhofs endet. Wir wollten meine Oma und meinen Opa mit Tannenzweigen bedecken, ihr Grab winterfest machen. Auch das meiner Tante. Manchmal nahmen wir aber noch eine rote Nelke mit. Für Karl und Rosa (Paradies). Als wir vielleicht sechs Jahre alt waren, standen wir das erste Mal vor dem großen, roten Stein. „Die Toten mahnen uns“, steht darauf in goldener Schrift. Um ihn herum waren Grabsteine gruppiert, unter ihnen wuchs das Gras. Mein Vater erzählte vom Spartakusaufstand, von den Leben dieser Toten. Heldenleben. Ich stellte sie mir vor, aber es war wahnsinnig weit weg.

Das (längst verschwundene) Mahnmal für die Revoluzzer entwarf Mies van der Rohe. Mein Bruder und ich legten unsere Nelke zu all den anderen Nelken. Wir haben keine Helden in unserer Familie. Wie immer dauerte es dann eine ganze Weile, bis wir das Grab meiner Tante gefunden hatten. Dann standen wir da, an dem Grab der Frau, die ich nie kennen gelernt hatte, weil sie früh gestorben war. Aber durch die Erzählungen kam sie mir plötzlich sehr nah. Maxi Leinkauf

H

Hochverrat Noch 1907 im Erscheinungsjahr seines Buchs gegen den Militarismus (Antimilitarismus) wurde Karl Liebknecht zu eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Es schützte ihn nicht, dass er geschrieben hatte, die antimilitaristische Agitation müsse im Rahmen der Gesetze erfolgen.Der Prozess hat historische Bedeutung, weil es in ihm bereits um den angeblichen Befehlsnotstand ging, auf den sich nach 1945 so viele beriefen. Kaiserliche Befehle seien ungültig, wenn sie den Verfassungsbruch bezweckten, führte der Rechtsanwalt Liebknecht aus. Dagegen behauptete das Reichsgericht, in der Verfassung sei die unbedingte Gehorsamspflicht der Soldaten zentral. Liebknecht wurde durch den Hochverratsprozess unter den Arbeitern populär. Doch auch der Kaiser, der das Buch wohl gelesen hatte, ließ sich genau informieren. Michael Jäger

M

Monogramm Das Anzughemd wird Liebknecht zum Verhängnis. Ein Offizier reißt es ihm am Abend des 15. Januar 1919 aus der Hose, ein Monogramm mit den Initialen KL kommt zum Vorschein. Nun weiß Hauptmann Pabst von der Gardekavallerieschützendivision im Berliner Hotel Eden endgültig, wen ihm die Wilmersdorfer Bürgerwehr gebracht hat. Bis dahin hatte sich Liebknecht geschützt, indem er behauptete, Dr. Siegfried Marcusson zu sein.In dessen Wohnung, Mannheimer Straße 43, hatten ihn die Bürgermilizionäre ohne Legitimation verhaftet. Gegen 23.00 Uhr setzt Pabst seine Marine-Eskadron in Marsch. Sie wird Karl Liebknecht im Tiergarten „auf der Flucht“ erschießen. Lutz Herden

N

Noske Anfang 1919 zum Volksbeauftragten für Heer und Marine berufen, hat Gustav Noske (SPD) beste Kontakte zu Hauptmann Waldemar Pabst und dessen Gardekavallerieschützendivision (GKSD). Er besucht die Truppe wie auch Freikorpsverbände und segnet deren Vorgehen gegen Revolutionäre nach dem Januaraufstand in Berlin ab. So erfährt der Volksbeauftragte auch, dass Karl Liebknecht am Abend des 15. Januar 1919 verhaftet worden ist.

Noske habe der „Aktion“, wie Pabst in einem Brief aus dem Jahr 1969 den Liebknecht-Mord nennt, durchaus zugestimmt. Und nicht nur das, er habe ihm – als die Offiziere der GKSD nach der Tat in der Reichskanzlei Bericht gaben – „die Hand gedrückt“. Warum auch nicht. Ein Kronzeuge für den Verrat der Novemberrevolution durch die Führer der Sozialdemokratie war tot. Dazu aufgerufen wurde nicht nur an Berliner Litfaßsäulen, auch im SPD-Organ Vorwärts,wo es in einem Gedicht hieß:„Vielhundert Tote in einer Reih‘, Proletarier! Karl, Rosa, Radek und Kumpanei. Es ist keiner dabei ...“Lutz Herden

P

Paradies Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hatten gar nichts miteinander. Ich habe das nie verstanden. Karl und Rosa, Rosa und Karl, die beiden Namen wurden immer in einem Atemzug genannt. Sie wurden am gleichen Tag verhaftet und in derselben Nacht ermordet. Fast wie Romeo und Julia! Ich war schwer geschockt, als ich erfuhr, dass die beiden nie ein Paar waren. Warum nur haben sie sich nicht geliebt? Sie waren doch Kommunisten! Stattdessen schrieb sich Rosa aus dem Gefängnis Briefe mit Liebknechts zweiter Frau Sophie. Absurd!

Sophie mochte ich noch nie. Sie stand auch einer anderen Liebe im Weg: Der zu Karls erster Frau, die tatsächlich Julia hieß. Julia Paradies, die Mutter seiner drei Kinder. Wie kann man denn eine Frau mit einem solchen Namen betrügen? Aber er tat es. 1906 begann die Sache mit Sophie, da war sein Sohn Robert gerade mal drei Jahre alt. 1911 starb Julia folgerichtig an einer Gallen-OP. Kurz danach heiratete Karl Sophie, und es tut immer noch so weh. Ruth Herzberg

Mythos Die Gerüchte, die über ihn kursierten, waren Legion. Dazu gehörten auch die freundschaftlichen Beziehungen zu den Bolschewisten, die ihm per Diplomatenpost über den Bahnhof Berlin-Friedrichstraße angeblich gefährliche Propagandaschriften lieferten. Die „bolschewistische Drohung“, inkarniert in der Person Karl Liebknechts, war allgegenwärtig und wuchs sich nach seinem Auftritt unter roten Fahnen vor dem königlichen Schloss geradezu zum Liebknecht-Mythos aus. Er verfüge über riesige Waffenarsenale und eine Truppe von 30.000 Kämpfern, die jederzeit die Macht übernehmen könne. Der „vaterlandslose Geselle“, der als einziger im Reichstag den Feldzug der Türken gegen die Armenier skandalisiert hatte, besaß alles Zeug zu einem bürgerlichen Antihelden. Ulrike Baureithel

S

Straße I Leipzigs wohl bekannteste Kneipenmeile musste schon einige herbe Beschimpfungen erdulden. Einst im Mittelalter reichlich königlich zur europäischen Handelsstraße „Via Imperii“ zugehörig, wurde sie 1874 eher unrühmlich zur „Südstraße“ umtituliert. Schon wenige Wochen nach der Machtergreifung erkannten die Nazis den symbolischen Gehalt von solcherlei Betonkorridoren und benannten sie nach ihrem Führer. Als später die sowjetischen Siegermächte dem etwa zweieinhalb Kilometer langen Boulevard den Namen des Leipziger KPD-Mitgründers Karl Liebknecht verliehen, war die Verwirrung in der Bevölkerung komplett. Scherzhaft soll die Straße damals von Einheimischen „Adolf-Südknecht-Straße“ gescholten worden sein.

Heute gibt es solcherlei Verwirrungen nicht mehr: Die Straße, die mittlerweile zum bevorzugten Wohn- und Ausgehterritorium für Zugezogene, Aufgestiegene und Studenten geworden ist, heißt im Stadtgebiet überraschend einheitlich „KarLi“. Ist das nun besser? Einher mit der Verkürzung des Namens geht auch ein verkürztes Bewusstsein für ihren bedeutenden Namensgeber. Unter den besserverdienenden Weinkennern, die nun am Wochenende auf der „Via Kneipii“ flanieren, wird sich vermutlich nur schwerlich jemand finden, der angeben kann, wer Liebknecht war (Paradies, Julia, Straße II). Vorschlag zur Güte: Man möge einen dort ansässigen Feinkostladen kommunistisch enteignen und dem Ermordeten ein Denkmal errichten. Mit Infotafel. Konstantin Nowotny

Straße II In jeder Stadt, in jedem Dorf der DDR gab es die obligatorische Karl-Liebknecht-Straße. Zentral gelegen, kreuzt sich mit der August-Bebel. Hier ist der Konsum, hier ist die HO, die Poliklinik, das Kulturhaus, das Kreiswehrersatzamt. Hier wohnt die Schuldirektorin (lesbisch, aufmüpfig, vom Kommunismus enttäuscht), der Parteisekretär (Alkoholiker, Stasi, Schwachstelle: krimineller Sohn) und die Oberärztin (geschieden, linientreu, sexbesessen).

Wo ist der große Wenderoman, der sich hier abspielt? 900 Seiten, vom Nachkriegsaufbau in den fünfziger Jahren bis heute. Multiperspektivisch. Mehrere Todesarten, verratene Liebe (Paradies), Gier, Lust, Wahnsinn, Betrug, Utopie. Und alles verklammert mit ewiger verfluchter Resignation, Feigheit und Bequemlichkeit.Am Ende großes Finale auf der Unteilbar-Demo in Berlin. Eine bessere Welt scheint möglich. Vor dem Stadtschloss-Rohbau fordert der melancholische Held Holger L. in einer flammenden Rede die Verfolgung aller Reichen und Rechten sowie die Abschaffung aller Grenzen und Vorurteile. Der Mitschnitt der Rede bekommt ganz okay viele Facebooklikes, L. trennt sich von seiner Freundin und tritt in die SPD ein. Ruth Herzberg

Z

Ziehväter Karl Liebknecht war der Klassenkampf quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater Wilhelm Liebknecht war Revolutionär und SPD-Mitgründer – das ging damals noch. Zu Karls Geburt 1871 in Leipzig schickten Karl Marx und Friedrich Engels nicht nur Grüße. Sie erklärten sich aus der Distanz zu seinen Taufpaten. Und Liebknecht bekam die Vornamen Karl und Friedrich verpasst. Drei Jahre später kam Karl Marx sogar zu seinem einzigen Besuch in die Stadt und war Gast der Familie Liebknecht. Im Geburtshaus Liebknechts hat heute die Partei Die Linke ihren Sitz. Weil diese Braustraße gehießener Weg so mickrig ist, wurde die nahegelegene Allee in Karl-Liebknecht-Straße umbenannt. Tobias Prüwer

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