Keine Predigten mehr

Medientagebuch In der zweiten Woche gelingt es der "Zeit" das neue Ressort "Glauben & Zweifeln" mit informativen und fundierten Texten zu bestücken

Jahrelang geißelte Evelyn Finger in der Zeit die deutsche Geschichtsvergessenheit im Zeitalter der Ökonomisierung. Nun hat sie ein eigenes Ressort bekommen: „Glauben ­ Zwei­­feln“. Damit will Chefredakteur di Lorenzo dem gewachsenen Interesse an den Weltreligionen gerecht werden und die Werte-Diskussion aus ihren Verkrustungen lösen. „Glauben­feln“ soll offen sein für alle Facetten des Spirituellen, für Skeptiker und Agnostiker. Ein Forum gewaltfreier Sinnvermittlung in einer postreligiösen und postutopischen Welt, in der wir vor der Frage stehen: „Wie leben wir, wenn am Horizont der Zukunft kein Gott und kein säkulares Heilsversprechen mehr ist?“

Bereits der Start in der vergangenen Woche ließ erkennen, wo die Schwierigkeiten dieses anspruchsvollen Unternehmens liegen: Es mangelt nicht an Themen von aktueller Brisanz oder Relevanz. Was fehlt, sind Autorinnen und Autoren, die sie bewältigen können. Die Mehrzahl der Beiträge hatte mit dem Rückfall ins Religiöse zu kämpfen, mit unkritischem Respekt vor interviewten Geistlichen oder vor schreibenden Theologen. Beiträge, die in die erbauliche Textsorte „Predigt“ abdrifteten.

Im Doppelinterview mit einer Psychoanalytikerin und einem Beichtvater dominierten – trotz interessanter Aufschlüsse – die ausweichenden Antworten zu Zölibat und Missbrauch. Normalerweise wird nachgefragt, auch im Interesse des Interviewten. Ähnlich stellte Kerstin Kohlenberg den Zölibats­brecher Adolf Holl in ihrem Porträt bloß, als wären ihr Ungereimtheiten erst beim Schreiben aufgefallen.

Auch Kathrin Oxens Versuch, Ostern als „Fest für alle, die zweifeln“ zu deuten, gelang der Gewinnerin des ökumenischen Predigtpreises nur unter Einsatz eines beschwörenden Kanzeltons. Und Sabine Rückert verriet durch ihre knappe Diktion und sensationelle, aber unrichtige Enthüllung in ihrem Judas-Porträt auch, dass sie früher mal für Bild geschrieben hat. „Ohne Judas, den Verräter, hätte es das Christentum nie gegeben. Kein Heilsversprechen. Keine Erlösung.“ Das beißt sich logisch mit ihrer anderen Aussage, dass es diesen „nützlichsten Verräter“ historisch „womöglich gar nicht gegeben“ hat. Außerdem waren Rabbis (Pharisäer) keine „jüdische Sekte“, und Pasolinis Film von 1964 hieß niemals Judas.

Erste Onlinekommentare zeigten: Es genügt nicht, wenn tradierte Inhalte verfremdet oder ersetzt werden – Glaube durch Zweifel, Treue durch Verrat, Zölibat durch Frauenliebe. Die Konfrontation der alten mit neuen Sinnangeboten muss auch ernst gemeint und kritikfähig sein, sonst wird die Messlatte des Qualitätsjournalismus verfehlt.

Nun liegt der zweite Anlauf vor, und siehe da, die Latte wurde genommen: Keine Erbaungslektüre, sondern informative, fundierte Texte. In der Kolumne „Das ist mir heilig“ spricht der freudianisch-marxistische Philosoph Slavoj Žižek „Über Gottes flüchtige Anwesenheit in Buchenwald“. Wie bei Goethe oder Gryphius ist für ihn das Heilige einer jener „flüchtigen Momente, in denen die Ewigkeit erscheint“ – hier im Bild der Hände von zwei Jungen, die sich spontan ergreifen und festhalten, während beide von den Nazis totgeprügelt werden. Gero von Randow berichtet über Frankreich als „Republik des Misstrauens“, die Folgen für Sarkozys Umfragewerte und die von Martine Aubry erkannte Herausforderung. Und Christian Schüle sieht eine „Sternstunde der Menschheit“ in der Entdeckung des Urknalls, die vor fast 80 Jahren dem Priester Georges Lemaître gelang – für viele die bedeutendste Leistung eines Theologen überhaupt. Man liest es mit Gewinn.

Der Autor ist Pastor und Journalist und bloggt auf freitag.de als ChristianBerlin

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