Künftig wird alles kontrolliert

Überwachung Liebes-SMS, Dienstgeheimnisse oder die Einkaufsliste: Der Staatstrojaner hat alles im Blick. Die GroKo sieht da kein Problem
Ausgabe 24/2021
Was bestellen Sie? Was haben Sie bestellt? Wer schreibt da? Fragen, die die Behörden künftig wahrscheinlich nicht einmal mehr stellen müssen
Was bestellen Sie? Was haben Sie bestellt? Wer schreibt da? Fragen, die die Behörden künftig wahrscheinlich nicht einmal mehr stellen müssen

Foto: Chris McGrath/Getty Images

Wer künftig neue Software aus dem Internet herunterlädt, etwa um sich vor Sicherheitslücken auf Computer und Smartphone zu schützen, könnte sich stattdessen unbemerkt einen Staatstrojaner einfangen. Das neue Gesetzespaket zu Verfassungsschutz und Bundespolizei hat gegen die Stimmen aller Oppositionsfraktionen gerade den Bundestag passiert. Mit krassen Folgen: Künftig können zahlreiche Behörden die Kommunikation von unbescholtenen Privatpersonen direkt auf deren Endgeräten mitlesen – auch ohne Anfangsverdacht.

Bereits 2008 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorgabe gemacht, dass Online-Durchsuchungen nur bei einer konkret drohenden Gefahr für Leib und Leben möglich sein sollen. Die Bundesregierung hat das ignoriert. Stattdessen beruft sie sich darauf, dass es sich bei den beschlossenen Staatstrojanern nicht um eine verdachtsunabhängige Online-Durchsuchung, sondern bloß um eine Form der Telekommunikationsüberwachung handle. Aber das ist Etikettenschwindel: Denn das Gesetz erlaubt auch das Auslesen von vergangener Kommunikation, die auf dem Endgerät gespeichert ist. Mit dem Abhören von Telefongesprächen ist das nicht vergleichbar.

Es laufen bereits mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Bundesgesetze und Landespolizeigesetze, die Staatstrojaner vorsehen. Denn der Einsatz ist nicht nur ein Verstoß gegen die Verfassung. Staatstrojaner schaffen außerdem einen direkten Anreiz für Behörden, einmal entdeckte Sicherheitslücken bei Computern oder Smartphones nicht bei den Herstellern zu melden – dies schwächt digitale Systeme nachhaltig. Auch dieser Fall wird von Richter:innen zu prüfen sein.

Wenn der Bundestag härtere Überwachungsgesetze verabschiedet, dann geschieht dies oft im Windschatten von Anschlägen oder Skandalen. Sie werden häufig als Rechtfertigung für die Notwendigkeit massiverer Überwachung herangezogen. Das funktioniert dieses Mal nicht, im Gegenteil. Die jüngsten Verfassungschutz-Skandale müssten eigentlich Anlass genug sein, die Befugnisse der Behörden zu beschneiden.

Erst kürzlich wurde bekannt, dass der sächsische Verfassungsschutz illegal Daten über Landtagsabgeordnete gespeichert hat. Es lagen sogar Informationen über Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) vor, weil dieser der CDU die Verharmlosung von Rassismus vorgeworfen hatte. Gleichzeitig stellt die Thüringer CDU den Ex-Chef des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, als Wahlkreiskandidaten auf, der selbst so weit am rechten Rand steht, dass er diesen nie wirklich überwachen wollte.

Erstaunlich ist dabei der Masochismus der SPD: Obwohl Sozialdemokraten selbst Opfer von exzessiver Überwachung geworden sind, haben sie trotzdem dem Einsatz von Staatstrojanern zugestimmt. Und das bedeutet: Ohne richterlichen Beschluss oder effektive demokratische Kontrolle dürfen Bundes- und Landesverfassungsschutzämter künftig Sicherheitslücken ausnutzen, um private Computer und Smartphones auszuspähen. Wer angesichts der vielen Skandale immer noch glaubt, dass die Behörden künftig verantwortungsbewusst mit ihrer neuen Macht umgehen werden, dem ist nicht zu helfen. Dieses sogenannte Sicherheitsgesetz macht uns alle unsicherer.

Julia Reda arbeitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die in mehreren laufenden Verfahren Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz von Staatstrojanern eingelegt hat

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