Der Winter geht. Wobei: War er überhaupt so richtig da? Es geht dabei nicht ums Wetter – und Schnee lag 2021 auch dort, wo selten welcher fällt –, sondern darum, ob der Wintersport uns das Gefühl für die Jahreszeit gegeben hat.
Es war eigentlich alles wie immer: Fernseh-Samstage und -Sonntage, vollgepackt mit Skiabfahrten, Biathlon-Wettbewerben, Rodlern, unschlagbaren Bobfahrern, Dauerschleife von 9 bis 18 Uhr, Weltmeisterschaften im Alpinen wie im Nordischen Skisport. Athletinnen und Athleten freuten sich, aus den Kommentatoren-Boxen drangen Jubelschreie. Und doch: Es fühlte sich alles so unbedeutend an. Man sieht zwar nie, dass Zuschauer am Rande eines Eiskanals stehen und einem mit 120 Kilometern pro Stunde vorbeirauschenden Schlitten eine Anfeuerung hinterherrufen würden – trotzdem vermisst man das Publikum.
Mehr noch an der Sprungschanze, wo es mit seinem „Ziiieeehhh“ den Soundtrack zum Flug liefert, am Schießstand im Biathlon-Stadion, wo es den Rhythmus vorgibt, im Ziel des Slalomhangs mit Kuhglocken und Schneizlreuth-grüßt-seinen-Vizeweltmeister-Plakaten. Im Wintersport haben wir die Interaktion zwischen Aktiven und Betrachtenden nie als so prägend wahrgenommen wie im Fußball. Umso überraschender, dass wir den Schneesport als nicht weniger steril und freudlos empfunden haben als den Kick in den leeren, hallenden Stadien.
Wir müssen ein wenig fürchten um all die Sportarten, die in Redaktionen als „allgemeiner Sport“ oder „Buntsport“ zusammengefasst werden. Sie treiben ziellos vor sich hin. Die Sommer- noch mehr als die Winterdisziplinen. Leichtathletik, Schwimmen, Triathlon und viele andere – sie erwischten 2020 die erste Hochphase der Corona-Pandemie, Wettbewerbe gab es nur reduziert. Der olympische Aufmerksamkeits-Kick, den sie alle vier Jahre brauchen, entfiel. Beispiel: 2019 war Niklas Kaul Deutschlands Sportler des Jahres, der junge Sensationsweltmeister im Zehnkampf. Die meisten, die seinen Olympia-Wettkampf 2020 live verfolgt hätten, werden ihn schon vergessen haben.
Tokio 2020 soll 2021 nachgeholt werden. Doch was spüren wir mehr: Begeisterung oder Bedenken? Die Skepsis vernehmen wir sogar aus den Reihen derer, die über Jahre auf dieses Ereignis hingearbeitet haben. Doch auch hier unterscheiden sich die Buntsportler*innen vom Fußball. Sie ordnen sich nicht als systemrelevant ein, sie sprechen sich gegen die Priorisierung bei der Impfung aus. Im Fußball wurde argumentiert: Wir machen unsere Arbeit. Hauptsache, wir spielen, egal wo. Der Buntsport meint: Wir wollen faire und würdige Wettbewerbe, wir wollen keine Gesundheitsgefährdung. Dabei sind für die Lagenschwimmerin, die Bogenschützin, den Kugelstoßer und den Vielseitigkeitsreiter die Olympischen Spiele wirtschaftlich wichtiger als für den Fußballer ein Europameisterschafts-Turnier.
Wer zu Olympia fährt, möchte mehr als nur den technischen Ablauf seines Wettkampfes erleben. Er will die Nähe zu anderen im Olympischen Dorf erfahren und nicht zu den eigenen Mitstreitern Abstand halten müssen. Ihm ist auch daran gelegen, sich freuen zu können, wenn ein paar Fans aus der Heimat auf den fernen Kontinent gereist sind, um ihn zu unterstützen. Doch wahrscheinlich wird sich dieses Olympia sehr uninternational anfühlen. Sehr fremd.
Für Olympische Spiele haben die Menschen früher sogar Urlaub genommen. Zwei Wochen lang Sport, wann immer man einschaltet. Ein Ereignis. Es fühlte sich wichtig an. 2021 ist es egal geworden. Trauriger Fußball genügt, man braucht nicht noch trauriges Beachvolleyball.
Kommentare 15
Die Zuschauer stellen in meinen Augen bei Sportwettkämpfen in den meisten Fällen nur die Kulisse für die TV-Übertragung und die Werbeblöcke dar. In weniger fernsehtauglichen Sportarten wird auch entsprechend wenig verdient. Von der TV-Relevanz hängen wiederum die Sponsorengelder ab, die Athleten erhalten.
Ich persönlich schaue mir gerne einen sportlichen Wettbewerb ohne Zuschauer an, weil mich der zum Ausdruck gebrachte übersteigerte Patriotismus der Fan´s nicht anspricht und oft sogar stört.
Interessant werden die Spiele, sofern sie denn stattfinden, im Hinblick auf die Leistungen. Ich würde zahlreiche Rekorde erwarten, weil durch die Lockdowns und Corona auch das Doping Überwachungssystem eingeschränkt war.
"Ich persönlich schaue mir gerne einen sportlichen Wettbewerb ohne Zuschauer an, weil mich der zum Ausdruck gebrachte übersteigerte Patriotismus der Fan´s nicht anspricht und oft sogar stört."
Besser in dieser ritualisierten Sphäre, als aufm Schlachtfeld. Wobei die Grenzen sich ja schon wieder verschieben und die Schlachtenbummler dies gar zu wörtlich nehmen.
Wir müssen ein wenig fürchten um all die Sportarten, ...
Gefährdet ist der Einzelhandel, aber Sporttourismus gibt es nicht aus dem Internet. Massenrauchen und -saufen in der Deutschen Bahn auch nicht.
Und die deutsche Infrastruktur ist so im Eimer, dass sich das Gebrüll auch mit dem besten Willen nicht synchronisieren lässt.
Der Sport und das Publikum gehören genauso zusammen wie die Berliner Philharmoniker und ihrs.
P.S.: das Flugzischen, OK. Aber das ist ja nicht alles.
Sportveranstaltungen und Zuschauer analog gehören zusammen. Live vor Ort. Die Stimmung im Stadion. Der Beifall für die Anstrengung der Sportler. Das Fiebern für die eigene Mannschaft. Das geht richtig nur vor Ort. Das überträgt sich auf die Sportler. Das motiviert diesen. Nur so kommt es zu Höchstleistungen. Unter diesen fürchterlichen Bedingungen kann nur Doping zu Spitzenleistungen führen.
Wer auf digitale Sportereignisse setzt mit Pappkameraden im Stadionrund, der ist nicht von dieser Welt oder will eine solche. Eine sterile.
Was sagern Sie @qbz und @Moorleiche?
Wer auf digitale Sportereignisse setzt mit Pappkameraden im Stadionrund, der ist nicht von dieser Welt oder will eine solche. Eine sterile.
"Der Beifall für die Anstrengung der Sportler. Das Fiebern für die eigene Mannschaft. Das geht richtig nur vor Ort. Das überträgt sich auf die Sportler.Das motiviert diesen. Nur so kommt es zu Höchstleistungen. Unter diesen fürchterlichen Bedingungen kann nur Doping zu Spitzenleistungen führen."
Ich könnte Ihnen X-Besteistungen / -rekorde und Sportarten aufzählen, wo die Publikumsunterstützung keine Rolle auf das Ergebnis hat. So laufen gerade in den Ausdauerdisziplinen die Athleten nach genauen Zeitplänen, wenn es um Rekorde geht. Im besten Falle befinden sich nur im Zielbereich Tribünen. (Ironman, Langstreckenlaufen, Radrennen). Strassenradrennen werden meistens taktisch gefahren und auch die Wettkämpfe im Langstreckenlaufen bei WM´s und Olympischen Spielen werden rein taktisch bestritten, so dass keine Weltrekorde zu erwarten sind.
Die Werfer (Kugelstossen, Speer, Diskus, Hammer) wiederum sind bekannt dafür, oft kleine Meetings zu wählen, bei denen sie ihre Weltrekorde werfen, weil dann der Ablauf ganz auf die dafür notwendigen Bedingungen zugeschnitten werden kann.
Ich habe in meiner Jugend Leistungssport im Schwimmen praktiziert. Die Zeiten hingen davon ab, das Training so zu gestalten, dass man auf wenigen Saisonhöhepunkten seine Bestzeiten schwimmen konnte (Publikumsanfeuerung war für die Bestzeiten beim Schwimmen 100 % egal, für die Siegerehrungen nett).
Ein aktuelles Beispiel: Konstanze Klosterhalfen übertraf den 31 Jahre (!) alten deutschen Rekord über 10 000 bei einem kleinen Trial-Meeting in Austin ohne Stadionanfeuerungen. Das Video vom 10 000m Rekord Lauf
Es gibt natürlich auch Ausnahmen, wo Sportler wegen ausgelobter Rekord Prämien ihre Rekordversuche auf ein bekanntes Event vor Publikum trainingsaufbaumäßig konzentrieren (Strassenmarathon mit bezahlten "Hasen") und im Mannschaftssport mag vielleicht das Publikum auch andere Rolle spielen. Aber im Prinzip sieht auch da ein Spitzensportler einen verschossenen Ball frei vor dem Torhüter im Fussball oder Handball bei einem Punktspiel als groben Anfängerfehler, egal ob mit oder ohne Publikum.
"Unter diesen fürchterlichen Bedingungen kann nur Doping zu Spitzenleistungen führen."
Darauf einzugehen, habe ich vergessen. Inwiefern Doping stattfindet oder nicht, hängt allein davon ab, ob auf dem allerneuesten Stand der medizinischen Labortechnik sehr regelmäßig ganzjährig engmaschig kontrolliert wird. Leider ist das oft nicht zu gewährleisten.
Danke für die Antwort. Es mag schon einiges stimmen. Manche Individualisten im Sport benötigen, vielleicht aus Konzentrationsgründen, keine Zuschauer.
Aber im wesentlichen sind diese motivierend, besonders in den Mannschaftssportarten. Das nur im Fernsehen anschauen zu können, ist für den Fan eine Katastrophe. Die Schäden jeglicher durch die Massnahmen zu einem Grippevirus sind unübersehbar. Sport und Kultur liegen am Boden.
"Danke für die Antwort. Es mag schon einiges stimmen. Manche Individualisten im Sport benötigen, vielleicht aus Konzentrationsgründen, keine Zuschauer."
Sicher, die Konzentration in einem vollen Stadion spielt natürlich eine Rolle und gerade die Werfer müssen oft unterbrechen. Mein Argument zielt etwas grundsätzlicher: Wer sich im Hochleistungssport täglich im Jahr strengen Trainingsplänen für wenige Wettkampf-Saisonhöhepunkte unterordnet wie bei den meisten olympischen Sportarten und sich im Training "quält", ist in erster Linie intrinsisch motiviert und schon über das Training gewohnt, alles zu geben. Da spielt der extrinsische Publikumsfaktor beim Wettkampf eine eher sekundäre Rolle für die Leistungserzielung.
Die Kommerzialisierung des Sports über TV und Werbung bedauere ich auch sehr, scheint mir allerdings halt Realität geworden zu sein. Millionen sehen Sportwettkämpfe im TV, nur wenige sind Live dabei.
noch eine Ergänzung dazu: Wer vor allem unter den Infektionsschutzmassnahmen leidet, sind doch alle Amateursportler, deren Aktivitäten alle abgesagt wurden. Die Politik sollte zusehen, wie der Amateur- und Hobbysport unter Hygieneschutzmassnahmen stattfinden kann sowohl im Mannschaftssport wie beim Laufen, Triathlon etc.
Nicht nur @qbz ;-).
Als ehemaliger, so genannter ambitionierter Freizeitsportler kann ich der Abwesenheit von Zuschauern bei den Profiwettkämpfen durchaus etwas abgewinnen. Für mich rücken sie damit näher an meine eigene Erfahrung und wirken so etwas bodenständiger. Der Starkult wird nur noch von den Medien verbreitet.
Die (für mich) wichtigsten Sportereignisse Giro d´Italia, Tour de France und Vuelta a Espana werden definitiv mit Zuschauern stattfinden, Lockdowns hin oder her.
Zuschauen beim Sport ist genau so wichtig wie selbst Sport treiben und sich bewegen. Beides ist Lebensfreude. Und die hilft auch dazu, nicht depressiv zu werden und gesund zu bleiben. Auch das ist Gesundheitsvorsorge. Der Spitzen- und Leistungssport sollte auch Vorbild für Breitensport, für den Nachwuchs sein. Ja und wenn da Fussball gespielt wird, sollten auch die Kinder trainieren und spielen dürfen. @harsdorfer und qbz insgesamt sind aber die fehlenden Zuschauer eine Katastrophe. Der Artikel beschreibt das gut. Bitte nicht kleinreden.
Was mich eher irritiert ist die Fußball-WM in Qatar, die auf einem Leichenberg stattfinden wird.
Und das wird kleingeredet. Da ist viel Geld im Spiel. Die Fussball-WM findet statt. Die Politik spielt mit.