Die Zahl früherer linker Publizisten, die nun von rechts daherkommen, sich selbst als Realisten oder Konservative sehend, von anderen als Reaktionäre oder Rechtsradikale verortet, scheint immerhin so hoch, dass das Hamburger Institut für Sozialforschung ihnen in seiner Reihe Mittelheft unter dem Titel Renegaten eine Ausgabe widmet, in der unter anderen Norbert Bolz, Jan Fleischhauer und Matthias Matussek als Demonstrationsobjekte dienen.
Historisch ist der Renegat von der Religion in die Politik gewechselt, die linke zumal, aus der er seit dem Kommunismus als demonstrativer Sinneswandler abwandert. „Der Renegat ist, als Typus betrachtet, ein Meister des gesteigerten Einsatzes unter den Bedingungen gesteigerter Ungewissheit.“ So der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke. Zwar gibt der Renegat sich als Solitär, vergewissert sich stets jedoch, ob er nicht allein dasteht. Konjunktur einer Kippfigur lautet der Untertitel des Heftes und was hier eher illustrativ und mitten im Tumult ausgebreitet wird, lohnt zu lesen.
Als der konservative Norbert Bolz in der Berliner Bibliothek des Konservatismus (BdK) auftrat, nannte er sie Bibliothek des „Konservativismus“. Das war kein Lapsus, er wies sich damit als hintersinnig belesen aus. Nämlich als Kenner von Panayotis Kondylis 1986 zuerst erschienener Monumentalstudie zum Konservativismus. Nun ist die wiederaufgelegt worden. Schon der Begriff geht auf Distanz zum Konservatismus allfälliger Provenienz.
Die Argumentation ist hier nur grob skizzierbar: Für den 1998 verstorbenen griechischen Privatgelehrten ist Konservativismus keine Reaktion auf die Französische Revolution. Zweihundert Jahre früher kam er auf, als der ständische Adel die vermeintlich gottgegebene societas civilis noch zu verteidigen suchte und sich dann allmählich in den absolutistischen Beamtenapparat einschlich. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts camouflierte sich wiederum der nationalistische Zweig des Liberalismus mit Elementen des Konservativismus, der ursprünglich nicht nationalistisch gewesen war. Seither gäbe es nur noch Liberale, die sich entweder als Sozialisten oder Konservative missverstehen, Erben jenes Slogans der „konservativen Revolution“. Es gelte, Zustände herzustellen, deren Erhaltung sich lohnt. So zieht die ideengeschichtliche Argumentation dieser Monumentalstudie heutigen Konservativen den wärmenden Flickenteppich ihrer komfortablen Begründungen unter den Füßen weg und stellt sie auf den kalten Boden des Liberalismus.
Afrika als Angstgenerator: Explosives Bevölkerungswachstum, Bürgerkriege, Kleptokratien. Mitte des Jahrhunderts wird die Hälfte der Menschheit unter 21 Jahren aus Afrika kommen. Als Drogendealer und Kindergeldempfängerinnen nach Europa? Gegen solche rechten Schreckbilder hilft kein Schuldendienst am Kolonialismus. Nicht der Hinweis auf die zwischen 12 und 16 Millionen geschätzten Sklaven, die Europa von dort verschleppte. (Nur vier Prozent davon in die USA.) In der Karibik und in Südamerika erschufteten sie auf den Indigenen geraubten Böden all die Stimulanzien der Moderne – Zucker, Kaffee, Kakao, Tabak, Tee. Ohne Afrika keine Moderne – so der US-amerikanische Journalist Howard W. French.
Im 14. Jahrhundert zog Mansa Musa, Herrscher über Mali, in Kairo mit zig Tonnen Gold und zigtausend Sklaven ein. Das erregte europäische Fantasien. Noch vor Asien und Amerika begann so in Afrika der europäische Wettlauf um Ressourcen. Gold war der Trigger, aber noch goldener dann das Sklavengeschäft. Wohl noch nie wurden so ausführlich und überzeugend wie hier, so plastisch und, ja, auch elegant die Wechselwirkungen in der Ausbeutungsgeschichte Afrikas entfaltet. French lässt nicht aus, dass heimische Herrscher Sklaverei in großem Maßstab praktizierten, aber er macht die Relationen klar und zeigt, wie systematisch Afrikaner ideologisch als Mindermenschen herabgewürdigt wurden. Nicht zuletzt war es Folge der Ausbeutung, dortige Staatenstrukturen zu zerstören – mit Wirkungen bis heute.
So etwa im Kongo. Dort, aber nicht nur dort, lässt sich ein Seitenstück zur Dialektik der Aufklärung beobachten: Der ehemalige Entmündigungskolonialismus wird durch einen Wiedergutmachungskolonialismus abgelöst, der hierzulande nützt und dort neuen Schaden anrichtet. Das Programm zum Naturschutz gegen Klimawandel und Artensterben wird vor allem Indonesien, Südamerika und eben Afrika auferlegt. Viel internationales Geld wird in die Ausweitung von Nationalparks und die Ausbildung von Rangern investiert. Für die dort Wohnenden ist das oft Landraub, entzieht die Lebensgrundlage und ermächtigt die hochgerüsteten Wildhüter zu quasiterroristischen Aktionen gegen die vermeintlich Uneinsichtigen. Nebeneffekt: deutsche Waffenschmieden verdienen daran. Was Simone Schlindwein an Details und Effekten zusammengetragen hat, ist teils erschütternd, jedenfalls deprimierend, was die Auswirkungen angeht.
Renegaten. Konjunktur einer Kippfigur Hamburger Edition 2023, 104 S., 12 €
Konservativismus Panajotis Kondylis Matthes & Seitz 2023, 871 S., 58 €
Afrika und die Entstehung der modernen Welt Howard W. French Klett-Cotta 2023, 508 S., 35 €
Der grüne Krieg. Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird Simone Schlindwein Ch. Links 2023, 251 S., 20 €
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