Lockung der Macht

Liberale Die FDP ist wieder am Leben. Und muss sich sofort mit diversen Regierungsaufträgen herumschlagen
Ausgabe 21/2017

Sie ist wieder da. Die FDP ist rechtzeitig vor der Bundestagswahl nicht nur in zwei Landtage eingefahren, sie hat sogar so gute zweistellige Ergebnisse erreicht, dass es bis auf die Regierungsbank reicht. Das hat Christian Lindner, Star der Liberalen, Doppelspitzenkandidat für NRW und Bund, in einen interessanten Gemütszustand versetzt. Am NRW-Wahlabend fauchte er zur besten Sendezeit CDU-Landeschef Armin Laschet an: CDU und FDP seien füreinander gar keine Wunschpartner. Da stockte dem Zuschauer sonst träger Wahlabend-Dankeslitaneien der Atem. Was ist denn in diese FDP gefahren?

Der zweite FDP-Lautsprecher, Wolfgang Kubicki, steht dem nicht nach. Erst beförderte er den SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner von der Waterkant zum „Westentaschen-Machiavelli“; dann beschimpfte er ihn als „Erdoğan der SPD“. Die Nervosität der Liberalen ist mit Händen zu greifen. Das ist auch verständlich. Denn so viel Spitzenpersonal, um nicht nur die Landtagsfraktionen zu füllen, sondern auch noch rund zehn Kabinettsposten in Kiel und Düsseldorf zu besetzen, haben die Liberalen vielleicht gar nicht. Die junge Garde der Röslers, Koch-Merins, Bahrs oder Chatzimarkakis war sofort nach der dilettantischen schwarz-gelben Regierungsphase von 2009 bis 2013 in die Wirtschaft gewechselt oder musste ihre Doktortitel abgeben. Langsam tauchen nun neue Namen auf: Joachim Stamp etwa, Lindners rechte Hand aus NRW, soll der starke Liberale an Rhein und Ruhr werden. Oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Düsseldorf, eine gebildete und eloquente Frau – von der noch wenige wissen, dass sie die stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP ist. Wenn sich Volker Wissing, Minister in Rheinland-Pfalz, irgendwo zum Interview aufstellt, fragen die Leute oft: „Wer ist der denn?“

Die FDP schwimmt auf einer Sympathiewelle, sie rast in einer Art Lindner-ICE auf die Kabinette zu. Das geschieht so schnell, dass einem schwindelig werden könnte. Die FDP und die Machtlüsternheit, war da nicht was? Das ist fast schon eine Luxusfrage bei dem Angebot an Ministerposten. Rücken sie sofort ins Kabinett ein, machen sie nicht im Landtag halt!

Chance auf Schwarz-Gelb

Tatsächlich muss die FDP viele Posten besetzen. Mit Blick auf die Bundeswahl im September könnte es sich für den einen oder anderen aus der Partei lohnen, nicht gleich nach dem erstbesten Ministeramt auf Länderebene zu schnappen: Manche Umfragen sehen Union und Liberale im Bund schon bei 48 Prozent. Wenn sich SPD und Grüne nicht berappeln, gäbe es Chancen für Schwarz-Gelb. Und so kann Generalsekretärin Nicola Beer lässig abwarten und Angebote abwehren. Wenn es in Berlin zur Koalition mit der CDU käme, wäre sie die gemalte Bildungsministerin, zusammen mit Lindner schrieb sie für das Programm der FDP einen Bildungsschwerpunkt, der vor revolutionären Zielen geradezu strotzt. Aus Hessen bringt sie Kabinettserfahrung als Ministerin mit.

„Wir sind das Start-up-Unternehmen der deutschen Politik“, rattert Beer Nachfragen zum Mangel an ministrablem Personal weg. „Wir wollen, dass die Republik wieder durchstartet. Die Bremserei muss ein Ende haben. Wir wollen, dass sich das Land bewegt, damit es z. B. mit der Digitalisierung klarkommt.“ Ihr Chef Lindner sagt gerne „Entfesselung“ und will „den grünen Krempel abwickeln“.

Wenn diese FDP wirklich eine neue, eine andere als die Steuersenker- und Special-Interest-Partei, zum Beispiel für Hotellerie, sein will, lässt sich das aus ihrem Programm zur Bundeswahl noch nicht ableiten. Der grobe Rückblick, mit dem Lindner die jüngste Vergangenheit der Partei als „stinkende Leiche“ abtat, genügt nicht: Im Programm müffeln noch viele ältere Ideen, auch wenn Farbspektrum und Ton scheinbar frischer geworden sind.

Das Programm beginnt mit einem Deckblatt, das gelb ist und pink und blau; es jubelt und will cool sein. „Schauen wir nicht länger zu“, steht da und schon das ist verrutscht: So richtig aus eigener Entscheidung schaute die FDP der Politik ja nicht zu. Die FDP wurde abgewählt, weil sie und ihre ideologische Zuspitzung mitverantwortlich waren für eine der tiefsten Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte. Ihre Regulierungsfeindlichkeit und ihre Weigerung, den rabiaten Finanzkapitalismus irgendwie mit liberalen Prinzipien des Gemeinwohls zu durchdenken, waren ursächlicher Teil der Finanzkrise. Der Ruf nach Steuersenkungen war zum solitären Thema, zum Beißreflex der Partei geronnen.

Knapp zehn Jahre später ist das bei der FDP jemandem aufgefallen. Jetzt haben sie den Besserwisser-Sound des Guido Westerwelle zu einer Art Feinstaubbelastung heruntergedimmt. Nur: Noch immer versteht die FDP Liberalismus als Ökonomismus. Und anstelle einer Verortung, einer mitreißenden intellektuellen Haltung, wirkt das Programm oft wie ein Geschäftsbericht: Schlenker zu traditionellen Versprechen („Viele großartige Ideen, Produkte und Unternehmen sind entstanden, weil Menschen ihre Ziele und Träume verfolgt haben“) gibt es, aber vor allem will die FDP einzelne Regeln der Geschäftsordnung diskutieren.

Die „großartigen Ideen“ sind dann auch das Erste, was den Autoren zum Thema „Aktivierender Sozialstaat“ eingefallen ist. Es geht so weiter: „Andere Menschen sind auf die Hilfe der Gesellschaft angewiesen, um einen neuen Anlauf zu nehmen. Diese Hilfe unkompliziert und fair zu leisten, ist in einer offenen Gesellschaft selbstverständlich. Der Sozialstaat der Gegenwart jedoch ist bürokratisch, unübersichtlich und teuer. Helfen wir lieber fair, transparent und unkompliziert!“ Da zeigt sich der Grundton der Veranstaltung: Ideen kommen vom Einzelnen, wenn man scheitert, soll im Notfall Hilfe kommen.

Politik als Start-up-Story

Wenn die Liberalen ihren Blick heben, sehen sie ein einziges Gestrüpp aus Bürokratie: In fast jedem Abschnitt müssen sie mit einer Machete gegen die Schlingpflanzen des Staates wüten, die dem Einzelnen die Luft nehmen. Deshalb soll Venture-Kapital helfen, Zeitarbeitsfirmen und ein flexibler Arbeitsmarkt.

Der wackere Gärtner, an den sie sich die FDP ranschmeißen will, ist ein digitaler Unternehmer. Wohl ein gewesener Werbetexter, der sich mit einer Start-up-Idee ausgründete, mit prima Storytelling Investoren bezirzt. Der gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit angeht, dass das Bezirksamt von ihm eine Kita-Anmeldung für den Sohn braucht. Dabei hat er doch schon genug Ärger, immerhin soll er für die „spezialisierten Fachkräfte“, die für ihn ohne feste Anstellung die „Auftragsspitze“ entlasten, auch noch Sozialabgaben abführen. Für ihn nimmt die FDP den Kampf auf, gegen die Ranken der Regulierung und teure Transferleistungen, den Blick starr auf ihrem neuen Zauberwort: Vorankommen, durchstarten.

„Die politische Zukunft des Liberalismus“, schrieb der Historiker Rudolf Vierhaus vor über 30 Jahren, „hängt heute davon ab, in welchem Maße die Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit, zwischen Selbstbestimmung des Individuums und institutioneller Sicherung sozialer Gerechtigkeit zum Ausgleich gebracht werden kann.“ Die FDP hat zu dieser Balance schon wieder: nie genug Ideen. Und mit denen muss sie bald auf Regierungsbänken leben.

Generalsekretärin Nicola Beer rechnet damit, dass es schon sehr bald losgehen kann – mit der FDP: „Vor der Sommerpause müsste es in Kiel und Düsseldorf eine neue Regierung geben.“

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