Von Maigret bis Miss Merkel: Alles über Kommissar:innen
A-Z Gérard Depardieu begeistert als Kultkommissar Maigret und Katharina Thalbach ermittelt als Miss Merkel. Und wer macht den Kriminellen sonst noch Beine? Ein Lexikon der Kommissar:innen
Für die Rolle als Kommissar Rex hat es bei Gérard Depardieu noch nicht gereicht
Foto: Thomas Meyer/Action Press
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Ausweis In seiner Jugend, lange bevor er den Münchner Kommissar Herbert Keller verkörperte, war der Schauspieler Erik Ode (1910 – 1983) ein radikaler Kopf. Er trat im politischen Kabarett auf und kassierte im „Blutmai“ 1929 als Jugendfunktionär der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition Prügel von der SA. Damit war es 1933 vorbei. Ode passte sich an und spielte Theater. Auch bei der Truppenbetreuung. Den RGO-Ausweis aber behielt er. Als er 1945 in Fürstenwalde interniert war, konnte Ode mit dem zerfledderten Papier den sowjetischen Kommandanten beeindrucken, durfte das Unterhaltungsprogramm für die Gefangenen organisieren und wurde vorzeitig entlassen. Ein Vierteljahrhundert später spielte er in Der Kommissar die Rolle seines Lebe
elte er in Der Kommissar die Rolle seines Lebens. Erfunden hatte die ZDF-Serie (➝ Rosa Roth) der Autor Herbert Reinecker, einst Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie der Waffen-SS. Joachim FeldmannBBrunetti Commissario Guido Brunetti ist eine Schöpfung der US-amerikanisch-schweizerischen Autorin Donna Leon, der für deutsche Fernsehzuschauer:innen mit seinem Darsteller Uwe Kockisch verschmilzt: einem Beamten, der in Venedig ermittelt. Den Italiener nehme ich ihm nicht recht ab, anders als seinem von Michael Degen gespielten Vorgesetzten, aber Kockisch ist einer der Kommissare mit Ausstrahlung, denen man einfach gern bei der Arbeit zuschaut. Weil er meistens korrupte Machtverhältnisse aufdeckt, ließ Donna Leon die Romane lieber nicht auf Italienisch erscheinen. Doch auch von ihrer Opernleidenschaft ist er gezeichnet, so tritt in drei Folgen eine berühmte Sängerin italienischer Opern auf. Einmal fällt es einer Stalkerin ein, ihr zur Tötung des bösen Polizeipräsidenten in Puccinis Tosca statt des Theatermessers ein echtes zuzuspielen – Brunetti war gewarnt und ist zur Stelle, während sein fauler Chef der Oper zuschaut und hinterher sagt, na sehen Sie mal, ist doch gar nichts passiert! Michael JägerDDauerbrenner 2018 übertrug John, ein Sohn von Georges Simenon dem frisch gegründeten Kampa-Verlag in Zürich die Rechte am unglaublichen Œuvre seines Vaters, bestehend aus den Maigret-Krimis und Non-Maigrets. Damals noch im Souterrain seines Wohnhauses gelegen, konnte der Verlag von Daniel Kampa gleich mit Erfolg aufwarten. Simenon, der Maigret Ende der 1920er Jahre erfand, ließ ihn in 75 Romanen und 28 Erzählungen erscheinen und sukzessive Fälle lösen. Mehr als 40 Jahre begleitete den belgischen Schriftsteller jener weise Ermittler mit stämmiger Figur, Hut, Pfeife und dem typischen Trenchcoat, der im Wind weht, während sein Besitzer in stoischer Ruhe seine Fälle löst. Entgegen dem Whodunit-Prinzip lag Simenons Intention auf den psychologischen Konstellationen eines Verbrechens.2018 begann Walter Kreye mit der Neuvertonung des Simenon-Gesamtwerks. Kreye, auch in seiner Rolle als Kommissar in Der Alte bekannt, stand grad auf der Leiter seiner Bibliothek, als ihn, den Maigret-Leser, die Anfrage per Telefon erreichte.Am 30. März übernimmt nun ein weiterer Doyen der Schauspielerei (➝ Piccoli) die Rolle des ewigen Kommissars: Gérard Depardieu! Der Trailer lässt Großes erwarten. Jan C. BehmannFFalco Im Dezember 1981 schnellte Falco mit seinem Kommissar in die Charts – der erste Hit eines weißen Rappers. Mit dem Song schrieb Falco Geschichte, sein Album Einzelhaft wurde zum Topseller in Österreich, Deutschland, Spanien, Italien und Japan. Als „Godfather des weißen Rap“ hat er sich mal selbst bezeichnet – das Stück entstand für eine Folge von „Kottan ermittelt“, in der Falco den Pianisten einer Polizeiband spielte. Natürlich war die Hookline dreist geklaut – und zwar von Rick James’ Song Super Freak, der wenige Monate zuvor erschienen war. Doch das störte niemanden – Falcos Pop-Funk-Rap auf Hochdeutsch, Wienerisch und Englisch ging sogar in Australien und den USA durch die Decke: „Sie sagt: ‚Baby, you know / I miss my funky friends‘ / Sie meint Jack und Joe und Jill. / Mein Funkverständnis / Ja, das reicht zur Not / Ich überreiss’, was sie jetzt will.“ Marc PeschkeKKinderkommissare Oskar ist hoch-, Rico tiefbegabt. Oskar kann sich ausdrücken und alles erklären. Rico hat seine eigenen Wörter. Tieferschatten, Herzgebreche. Sie freunden sich an. Beide sind Schlüsselkinder. Viel beschäftigter Vater, alleinerziehende Mutter. Sie kommen finsteren Geheimnissen auf die Spur und leuchten sie aus, die Tieferschatten. Drei Andreas-Steinhöfel-Romane sind verfilmt. Thalbach (➝ Miss Merkel), Prahl, Herfurth, Peschel usw. Anschauen! Alle anderen deutschen Krimis könnt ihr vergessen. Michael SuckowMMiss Merkel „Uckermärkische Blendgranate“ nannte der Kabarettist Urban Priol die Kanzlerin manchmal. Der Schriftsteller David Safir aber hatte einen Geistesblitz und verschaffte in seinen Krimis der Ex-Kanzlerin einen neuen Job in der Provinz als ermittelnde Privatdetektivin. Der Mord an einem Schlossherren unterbricht die angestrebte Beschaulichkeit mit Ehemann Achim – Puffel genannt – und Mops Putin (jetzt umbenannt in „Helmut“). Merkel muss eingreifen, weil der Kommissar ein Trottel ist. Mit Puffel und dem Personenschützer Mike löst sie den Fall. Das alles geht einher mit kleinen Seitenhieben auf die Politik und tut nicht weh. Verfilmt ist das erste Werk mit Katharina Thalbach in der Titelrolle (➝ Kinderkommissare). Magda GeislerOOnkel Oli „Bist du im Einsatz?“, fragte ich ihn damals, in meiner rebellischen Phase, kurz vor dem 1. Mai. „Klar“, sagte mein Onkel. „Würdest du mich festnehmen?“– „Logo! Wenn meine Nichte da rumläuft und mit Steinen wirft ...“ – „Ich würde sie ja nicht auf dich werfen!“ Als Kind habe ich ihn mal in der waldgrünen Uniform der Volkspolizei gesehen, später wurde er von der Berliner Kriminalpolizei übernommen und war ziemlich stolz. Dass ich einen Bullen in der Familie hatte, fand ich dramatisch, als ich in den 90ern die Räumung der Mainzer Straße gesehen hatte, viel Rio Reiser hörte und auf 1.-Mai-Demos ging. Tränengas, Wasserwerfer. Wir bewarfen uns mit Argumenten und rauchten WEST-Zigaretten, die er vom Polenmarkt holte. Mein Onkel wurde dann feierlich zum Kriminalhauptkommissar ernannt, die höchste Stufe in seinem Dienstgrad (in der DDR hieß es Hauptmann). 15 Jahre lang verfolgte er Auto- und Fahrraddiebe. Jetzt ist er in Pension, steht auf dem Balkon und hilft manchmal bei der Tafel. Maxi LeinkaufPPiccoli Die fiebrige Spannung zwischen dem Kommissar Max und der Prostituierten Lili (Romy Schneider) resultiert in Claude Sautets Film Das Mädchen und der Kommissar aus Lilis Sinnlichkeit. Sie erforderte umso mehr seine Contenance, die Michel Piccoli in allen Rollen anhaftete wie Siegfried das Lindenblatt. Noch im Showdown schaut Piccoli, als könne ihn selbst der Tod nicht erschüttern – eine Eigenschaft, die Kommissaren natürlich besonders gut steht. Beate TrögerProchorow Hauptmann Prochorow, eine Art Sancho Panza ohne Don Quijote, schippert in dieser sowjetischen Miniserie (1977) von Wil Lipatow auf dem Ob zu einem sibirischen Dorf. Blockhäuser, gemächliche Menschen, ein pedantischer Milizionär erwarten ihn. Und ein toter junger Mann, Jewgeni, ein idealistischer Komsomolze, der eine örtliche Autoritätsperson der privaten Bereicherung bezichtigt hatte. Unfall oder Mord? Das bleibt ungeklärt. Aber der korrupte Direktor der Forstwirtschaft wird entlarvt. Michael SuckowRRosa Roth Auch im Krimi stießen Frauen lange an die gläserne Decke. Wie alles galt Mörderjagd lange als pure Männerdomäne, Frauen assistierten allenfalls oder erledigten im Büro den Papierkram. Mit Vera Arndt, gespielt von Sigrid Göhler, trat 1971 im „Polizeiruf 110“ die erste Kriminalistin im DDR-Fernsehen auf. Der „Tatort“ im Westen zog nach. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) wurde später im Ludwigshafen-Tatort eine starke Frontfrau. Auch wenn ihr oft ein Mann als Kontrapunkt zur Seite gestellt wurde. Doch ab 1994 wurde die Serie Rosa Roth stilprägend: Eine souveräne, kluge und selbstbewusste Frau bewegt sich durch die Männerwelt aus Polizei und Verbrechern. Iris Berben spielte diese Frau in der bis 2013 im ZDF ausgestrahlten Serie. Die ebenso famose Hannelore Elsner agierte wiederum im ARD-Pendant als Grande Dame des Kommissariats. Ihre Lea Sommer ermittelte als Die Kommissarin acht Staffeln lang.Mittlerweile wird das Team des Dresden-Tatorts von einem weiblichen Duo angeführt. Während im Berliner Spin-off der ARD-Sonntagsklassiker bisher Meret Becker als Nina Rubin ermittelte, wird ab April 2023 Corinna Harfouch als Ermittlerin Susanne Bonard auftreten – „eine ehemalige LKA-Größe“, heißt es in der Ankündigung. Harfouch hat übrigens Krimierfahrung. Als Kommissarin Eva Blond machte sie in der gleichnamigen Sat.1-Serie Verbrecher dingfest. Im Grunde eine Rosa Roth des Privatfernsehens. Tobias PrüwerSSaga Norén Die Brücke ist eine dänisch-schwedisch-deutsche Krimiserie und eine klassische Vertreterin des Genres Scandi Noir. Passend zum detailgenauen, schonungslosen Realismus dieser Serie ist die ungewöhnliche und befremdliche Hauptfigur – Kommissarin Saga Norén (fabelhaft: Sofia Helin). Die ironiefreie, radikal ehrliche, rationale Schwedin ist ungekämmt, ungeschminkt, trägt immer die gleiche schwarze Lederhose. Wenn sie nach einem Schnuppern an den Achseln doch mal den Pullover wechselt, tut sie das ungeniert im Büro vor allen Leuten. Soziale Interaktion ist nicht ihre Sache, Humor auch nicht. Und schon gar nicht Flirten. Sie holt sich Sex in der nächsten Bar, kommt direkt zur Sache und widmet sich anschließend wieder ihrer Arbeit. Empathie zu zeigen, fällt ihr schwer, Smalltalk geht gar nicht. Die Frau ist fokussiert (➝ Rosa Roth). Immer Zahlen, Fakten und Statistiken auf Lager, zweifelt man keine Sekunde an ihrer überragenden Kompetenz. Unbedingte Liebeserklärung. Elke AllensteinZZu Hause „Heute gehen wir gar nicht raus / Wir bleiben im Pyjama zu Hause / Nur wir zwei, wie im Traum / Und Columbo schauen.“ Seltsame Vorstellung von Romantik, die die österreichische Band Wanda (➝ Falco) im Song Columbo da besingt. Er hielt sich satte 33 Wochen auf Platz 1 der österreichischen Charts. Post-Hipster-Ironie oder nur traurige Suche nach Gewissheit im unübersichtlichen 21. Jahrhundert? Sollte der intelligente, angetrottelt wirkende Kommissar wirklich noch solchen Charme versprühen, dass man ihn beim Date zusammen schaut? Oder liegt es an der Machart: In jeder Folge erfahren die Zuschauer zu Beginn, wer der Mörder ist. Man ist also beruhigt, dass der Fall gelöst wird. Tobias Prüwer