Ghostwriter Ist es ein Skandal, dass die Wissenschaftlerin Maja Göpel ihren Bestseller von einem Journalisten verfassen ließ? Selbst Shakespeare hat doch … oder etwa nicht? Unser Lexikon klärt auf
Anonyme Akademiker Doktorierte Politiker sind gern Zielscheibe von Plagiatsjägern (➝ Jäger). Wird einer erwischt, gibt es Empörung oder Spott über die akademische Inkompetenz. Ihre Hilf- oder Einfallslosigkeit ist aber vielmehr Folge ihres ausgeprägten Geizes. Selbst in der Porsche-Partei. Denn es gibt – man google nur mal – inzwischen eine ganze Industrie von Ghostwritern für akademische Arbeiten, beginnend bei der Zwergdisziplin Bachelor-Arbeit und die akademische Leiter hinauf bis zur Habilitation. Ihr Dilemma: Sie dürfen nicht, wie inzwischen ihre journalistischen Kollegen, ans Licht der Öffentlichkeit treten, müssen aber zugleich für die Akquise in Sachen Seriosität, Kompetenz und Diskretion was hermachen. So s
ität, Kompetenz und Diskretion was hermachen. So sind die einschlägigen Websites denn meist erst mal mit allgemeinen Referenzen gespickt, die bei den alten Griechen beginnen und bei Dieter Bohlen noch nicht enden. Erhard SchützCCide Hamete Benengeli Die Idee, dass ein Buch von nur einer Person geschrieben wird, ist ausgesprochen modern. Dagegen war zum Beispiel auch in der spanischen Klassik Autorschaft eine kooperative Sache. Selbst der wichtigste Autor des 17. Jahrhunderts, Miguel de Cervantes, wollte kein schrifteitles Einzelgenie sein. Sein erfolgreichstes Werk schrieb er, so will es die Erzählung, mit Hilfe von Freunden, Archivaren und Übersetzern (➝ Zoff). Schon nach den ersten Kapiteln des Romans Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha erfährt man, dass die Geschichte des verwirrten Ritters schon mehrfach aufgeschrieben worden ist. Der Erzähler erzählt von etwas, das bereits erzählt wird. Auf der Suche nach Spuren zu seiner Romanfigur findet er das arabische Manuskript eines Cide Hamete Benengeli, es muss erst übersetzt werden, bevor der Roman weitergehen kann. So wie der Bericht des Making-of zu Don Quijote fest dazugehört, so hatten viele „kluge Geister von der Mancha“ fleißig mitgeschrieben. Eva ErdmannGGhostdating Wer sich schon mal bei einer Dating-App angemeldet hat, kennt vermutlich so charmante Intros wie „Hi“ oder „Hast du einen großen Hintern? Wenn ja, lass uns direkt treffen“. Zugegeben, das ist eine rein weibliche Erfahrung. Ich habe die heimliche Hoffnung, dass Frauen eine nicht ganz so plumpe Ansprache verwenden. Zusätzlich dazu gibt’s dann ein aus der Hüfte geknipstes Profilfoto mit Fahrradhelm, im Marathonlauf-Leibchen oder während irgendeiner anderen sportlichen Aktivität in unvorteilhaftem Outfit. In der Selbstbeschreibung steht oft: „Hm, ich weiß auch nicht so recht, ist schwierig. Frag mich einfach!“ Ein paar Anhaltspunkte sind aber enorm wichtig, um diese Hürde zu nehmen. Einen Swipe weiter gibt es ja bereits den nächsten liebeshungrigen Kandidaten zu begutachten. Um da einem eiligen Linkswisch zu entgehen, muss man schon ein Mindestmaß an Mühe investieren. Wie wäre es also mit einem Ghostwriter fürs eigene Profil? Allerdings hat das natürlich auch seine Tücken. Wenn der damit Beauftragte besonders eloquent und originell für Aufmerksamkeit sorgt, wird’s beim ersten Date schwer, den schönen Schein zu wahren. Am besten schickt man dann gleich den virtuosen Texter (➝ Shakespeare). Elke AllensteinHHeine Der Ghostwriter, der im Auftrag einer anderen Person schreibt, ist in der Regel ein blasses Wesen, selten bedrohlich. Anders in Belsatzar (Belsazar) von Heinrich Heine, jener Ballade aus dessen Buch der Lieder. Sie erzählt vom Gotteslästern des babylonischen Königs Belsatzar während eines nächtlichen Trinkgelages. Es führt dazu, dass an der Wand des Königssaals ein Menetekel, eines regelrechten Geisterschreibers unheilverkündender Spruch, erscheint: „Und sieh! und sieh! an weißer Wand / Da kam’s hervor wie Menschenhand; / Und schrieb, und schrieb an weißer Wand / Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.“ Was dort zu lesen ist, bleibt in der Ballade ungesagt. Am Ende stirbt der König, auch die Todesart wird ausgespart. Dieser Geisterschreiber ist eine höhere Macht, nur mutmaßlich dingfest zu machen, aber eben gewiss nicht blass. Beate TrögerIIch Ja, ich arbeite auch als Ghostwriter. Nicht wenigen Menschen macht der Anblick eines leeren Blattes schiere Angst. Dennoch haben sie – wie jeder – etwas mitzuteilen und das Recht darauf, gelesen zu werden. Dass ich als Ghostwriter im Verborgenen lebe, ist legitim und gewollt. Ich bin lediglich der Geburtshelfer der Sätze der Person, deren Name auf dem Titel steht. Ich bin, modern gesprochen, ein Lektor mit Benefits. Ein anderes Beispiel: Auch wenn Sie einen Zahnarzt haben, sind das doch Ihre eigenen Zähne in Ihrem Mund, oder? Jan C. BehmannJJäger Faule Kinder aus besserem Hause erteilen Aufträge (➝ Ursprünge). Das Angebot ist da. Die Preise sind bezahlbar. Unser Spezialist ist seit Langem im Geschäft. Seine ersten Kunden empfehlen ihn inzwischen ihren Kindern. Verweigerte Leistung soll sich lohnen. Juckt es ihm in den Fingern, etwa wenn der Kunde besonders faul ist, dann flanscht er in die Texte exquisite Zitate aus entlegenen Quellen, bei denen er darauf achtet, dass sie digital unbekannt scheinen. Dann wartet er auf das Reifen der Früchtchen. Er dekantiert den Betrug, wenn der einstige Kunde die letzte Stufe der Karriereleiter erklimmt und ihm für Diskretion einen großzügigen Bonus zahlt. Einer wollte einen Killer auf ihn hetzen. Das wurde noch teurer. Hans HüttPPosse Sie wollen ein Beispiel für Rezeptionsneid? Lassen Sie uns gemeinsam auf den Fall Maja Göpel schauen: Da nutzt eine Fachperson für ein populärwissenschaftliches Buch einen Co-Autor, der nicht genannt werden will. Die Autorin teilt, sehr bemerkenswert, die Einnahmen 50:50 (!) mit diesem Co-Autor, der das mehrfache Angebot der Mitnennung wohl abgelehnt hat. Was ist also genau das Thema? Es ist keine wissenschaftliche Arbeit, es ist keine graduierende Abschlussarbeit einer Hochschule. Wenn Sie wüssten, was sich Menschen anderweitig großer Werke rühmen und dabei keinen Handstreich am Text gearbeitet haben, Sie würden mir benommen vom Stuhl rutschen. Das Einzige, was an diesem Fall, der gar keiner ist, deutlich wird: Der Neid sitzt bei vielen tief in allen Poren. Wie eine Eiterblase (btw: auf Youtube sind das Klickhits!) drückt er sich aus der Haut der sich selbst als benachteiligt empfindenden Personen. Um mehr handelt es sich hier nicht, kein Grund zur künstlichen Aufregung. Weiter im Text. Jan C. BehmannRRedenschreiber Schon seit der Antike soll es sie gegeben haben (➝ Ursprünge), und in Deutschland haben sie gar einen Berufsverband. Es ist ein einträglicher Job, wohl auch mit der Ambition verbunden, aus dem Hintergrund ein wenig die Fäden zu ziehen. Für die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft, die daran hängen, verbindet sich Erleichterung mit Entmündigung. Sind sie selbst bloß Marionetten? Von einigen ist ja sogar bekannt, wer ihnen die Texte verfasst. Dabei müssen sie geradestehen für alles, was ihnen ins Manuskript geschrieben wurde oder auch nicht. Und wenn sie keine Vorgaben haben, stehen sie schon mal hilflos da, wie Kanzler Scholz, der zum Holocaust-Vergleich von Palästinenserpräsident Abbas schwieg. Dass Regierungssprecher Hebestreit dann die Schuld auf sich nahm, wirkte peinlich. Aber selbst bejubelt zu werden, hat seine Tücken. Als Charles bei seiner Amtseinführung als Prince of Wales in seiner Rede auf Walisisch vom vorbereiteten Manuskript abwich, flogen ihm die Herzen zu. Die Queen aber war verstimmt. Irmtraud GutschkeSShakespeare Es ist die Mutter aller Ghostwriter-Debatten: Hat der Mann, der 1564 als William Shakespeare in Stratford-upon-Avon geboren wurde, tatsächlich die Werke geschrieben, die wir unter seinem Namen kennen? Jenes Mega-Œuvre von allein 37 Theaterstücken und 154 Sonetten? Der Schauspieler und Theaterunternehmer dieses Namens sei viel zu ungebildet gewesen, führen die Zweifler (➝ Posse) an, er hat weder Manuskripte noch private Korrespondenz hinterlassen, die einen Schaffensprozess belegen könnten. Auch war er nachweislich nie in Italien, dem Land, in dem die meisten seiner Stücke spielen. Die Forschung nennt die Zweifler die „Anti-Stratfordians“, und 2011 fanden sie in „Independence Day“-Regisseur Roland Emmerich einen prominenten Fürsprecher. In „Anonymus“ setzt er die Hypothese in Szene, die Shakespeare als bloße Front für den wahren Autor, Edward de Vere, den Earl of Oxford, halten will.Das Bild, das Roland Emmerich von der elisabethanischen Ära zeichnet, ist sehr viel düsterer als der rosige Kitsch in Shakespeare in Love, aber auch sehr viel packender. Ausgerechnet der als tölpelhafter Mitbewohner von Hugh Grant in Notting Hill bekannt gewordene Rhys Ifans verkörpert den hochmütigen Earl mit so viel Intensität, dass man am Ende fast überzeugt ist. Zumindest davon, dass William Shakespeare immer noch einer der interessantesten Autoren der Weltgeschichte ist, egal wer er wirklich war. Barbara SchweizerhofUUrsprünge Lohnschreiber gibt es seit der Antike. Damals waren Menschen, die lesen und schreiben konnten, selten. Ob im Handel oder vor Gericht: Man bedurfte ihrer Hilfe. Gerade Verfasser von politischen Reden konnten es zu Ansehen bringen, oft hielten sie die Auftragsrede dann auch gleich selbst. Der Grieche Isokrates gründete sogar eine Rhetorik-Schule. Im Mittelalter lag die Schreibfähigkeit neben den Herrscherkanzleien vor allem in der Hand der Kirche. Ihrer bediente sich auch der Adel. Man vermutet, dass zudem viele angeblich päpstliche Schriften von Ordensmönchen verfasst wurden. Genau genommen waren auch Minnedichter (➝ Ghostdating) wie Walther von der Vogelweide Lohnautoren, da von der Grafengunst abhängig. Mit der Frühen Neuzeit begann das Aktenzeitalter, und das Ghostwriting boomte. Alexandre Dumas unterhielt ein Ensemble von Schreibern, die ihm beim Verfassen seiner Romane halfen – anders wäre der vielbändige Graf von Monte Christo nicht zu schreiben gewesen. Tobias PrüwerZZoff Die Editionsgeschichte von Diderots Dialogroman Rameaus Neffe ist turbulent. 1804 übersetzte Goethe das zwischen 1762 und 1774 verfasste, noch unveröffentlichte Manuskript. Es war Schiller zugespielt worden, der es krankheitshalber Goethe überließ. Von Hegel in der Phänomenologie des Geistes bereits kommentiert, geriet der Roman in Vergessenheit. 1821 verkauften de Saur und Saint-Geniès ihre französische Version der Goethe-Übersetzung als Original und sorgten wegen der miserablen Übersetzung für einen Skandal. Heute gilt als authentisch das 1890 bei einem Bouquinisten in Paris gefundene, in der Pierpont Morgan Library in New York aufbewahrte Manuskript. Helena Neumann
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