März in Frankfurt

Kehrseite II Am Morgen war der Schnee verschwunden vom Rasen an den Straßenrändern, es roch nach gekochter Wäsche. ...

Am Morgen war der Schnee verschwunden vom Rasen an den Straßenrändern, es roch nach gekochter Wäsche.

An der Zoomauer unten lagen kleine bunte Scheißen.

Eine Frau (man sagt: Flugbegleiterin) ging an den Scheißen vorbei zu einem jungen Mann in einer Fliegerjacke, sie wuchtete ihre Arschbacken unter dem Regenmantel mit solcher Kraft, dass sich ihr Mantelkragen bewegte.

Mehrere Kasachen in Steppjacken und in Hosen aus jener schwarzen oder dunkelblauen Baumwolle, die schon nach dem zweiten Tragen anfängt, total verwichst auszusehen, sammelten die Scheißen in Zweiradpaletten mit langem Griff. Dabei gaben sie jeder Scheiße einen besonderen Namen. Zum Beispiel: "Und was bist du für eine, du Elisabeth, du!"

Plötzlich sangen die Vöglein von allen Seiten gleichzeitig, aber nicht erkennbar, woher genau.

Im Grunde piepsen alle Vögel wie das Gummispielzeug für die Badewanne - das ist der ganze berühmte Vogelgesang. Selbstverständlich mit Ausnahme der Adler aus dem großen Käfig an der Mauer, die mit den Schnäbeln bohren unter der Achsel, und der Elsterkrähen, die sich im blauangelaufenen Himmel breit auf den Baumspitzen schaukeln. Sie schreien wie Menschen.

Aber heute schweigen sie gottweißwarum.

Der erste Tag, nachdem man die Kneipentische herausgestellt hat. Über den kleinen Platz mit der Uhr geht eine (Schnepfe mit Täschchen), die Frauen (ein wenig grannenhaarige Blondinen) blickten auf ihren Ausschnitt, zogen die Lippe eng hinter den Tassen und dachten: "Genau wegen solcher vergewaltigt man uns!"

Die Männer, Bäuche und Schenkeln, tranken Seife.

Bleiche Greisinnen führten zwei, drei Hündchen mit Fledermausköpfen vorüber. Serbo-Kroaten, Indo-Pakistanis und Afro-Afrikaner mit Sonnenbrillen gingen in alle Richtungen gleichzeitig und fuchtelten mit allerlei Dingen.

Stehend auf dem linken Fuß und ihn mit dem rechten kratzend spielte ein Mädchen Bach auf einer Violine. Ein anderes Mädchen, kleiner als dieses und mit einem zugezogenen, aber nicht -geknöpften Regenschirm, stand beim Uhrtürmchen daneben und klimperte mit einem Bierglas, aber beileibe nicht im Takt.

Auf einmal wurde es dunkel - so rasch, dass er nicht dazu kam, sich in den Glaswänden zu spiegeln, fiel ein bläulicher Regen, sozusagen im Stück. Und alle waren wie gestorben.

Oleg Jurjew wurde 1959 in Leningrad gebren, er lebt als freier Autor in Frankfurt am Main. Zuletzt erschien: Der neue Golem oder Der Krieg der Kinder und Greise im Suhrkamp Verlag 2003.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden