Nee zur Moschee

Folklore In Köln fallen die Bürger hinter die Aufklärung zurück

Das Bemerkenswerte an des Ministerpräsidenten Oettingers Abgesang auf seinen Vorgänger und CDU-Kollegen Filbinger bestand darin, dass man auf einmal feststellen musste: nach sechzig Jahren Vergangenheitsbewältigungsschwaden schien niemand mehr so genau zu wissen, war Filbinger nun ein Nazi oder nicht. Die Leitartikler schwitzten kubikmeterweise Schaum aus. Am Ende gelang es ihnen mit Müh und Not die Sage vom Widerstandskämpfer Filbinger zu mildern.

Genaueres gibt es seit längerem schon nicht mehr in den politischen und moralischen Auslagen zu besichtigen. Ein wunderbares Beispiel dafür bietet die Diskussion um den Moscheenbau in Köln. Nach jahrelangem Kampf gegen die Massenvernichtungswaffe "Kopftuch" - denn bekanntlich dringen Zehntausende weiblicher Muslime mit Kopftuch und Burka in den öffentlichen Dienst, um ihn islamistisch zu unterwandern - ringt man jetzt schon seit geraumer Zeit um den Bau einer größeren Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Nebenbei bemerkt: nicht gerade in zentraler Lage.

Worum dreht sich der Streit eigentlich? Um Parkplätze oder Islamisten, um Religion oder feindliche Barbaren, um Verkehrsprobleme oder erhebliches Aufkommen an Bartträgern? Wer wüsste das zu sagen? Wenn man allerdings die Leserbriefe verfolgt, die von den Kölner Frühstücksblättern seit Monaten vielseitig abgedruckt werden, dann kann man feststellen: Die Debatte hat schon einmal ein Resultat erreicht, den Rahmen, durch den der deutsche Nichtmuslim Muslime zu betrachten beliebt. Und der sieht etwa so aus: Die Gegner des Moscheebaus faseln von dunklen islamistischen Kräften, von Keimzellen des Terrorismus, kurz, die ganze erbärmliche und verlogene Sicherheitspropaganda, die interessierte Kreise seit geraumer Zeit schamlos lancieren, hat endlich eine Verschwörerhöhle gefunden. Die Dulder des Baus hingegen geben zu verstehen, dass sie bereit sind, den rückständigen Muslimen die Güte abendländischer Toleranz und Aufgeklärtheit zu gewähren. Darin bestehe letztendlich der Königsweg der Integration: Damit am Ende auch die Muslime die Chance haben, so zu werden wie wir selbst. Diese Dulder dürften immer noch die Mehrheit stellen.

Die Gesellschaft könnte leicht einen Moscheebau-Gegner wie den Kölner Schriftsteller Ralph Giordano verkraften, der sich durch den Anblick verschleierter Frauen beeinträchtigt fühlt, wenn sie angemessen auf solchen Wahn reagierte. Doch es ist wie bei Filbinger: Man arrangiert sich mit dem weniger Schlimmen, dem Halbwahren. Wer aber einem Antisemiten antwortet, Juden seien doch auch bloß Menschen, auch wenn es ein paar schwarze Schafe unter ihnen gäbe, hat die Schlacht schon verloren. Mit einem Antisemiten diskutiert man nicht über Juden, sondern über Antisemitismus, also über ihn. Warum sollte man mit Anti-Islamisten anders umgehen?

Als die Neue Synagoge in Berlin gebaut werden sollte (3.200 Sitzplätze) gab es ähnliche Aufregung wie heute beim Bau der Moschee in Köln (2.000 Plätze). 70 Jahre nach der Einweihung der Synagoge konnte eine irre Propaganda dem Publikum weismachen, 500.000 völlig unauffällige Juden in Deutschland wären so etwas wie die Schläfer der jüdischen Weltverschwörung und sie stünden dem Heil der Deutschen im Weg. Heute leben etwa vier Millionen Muslime in Deutschland, und ihr bescheidener Anspruch auf Sichtbarkeit hat umgehend die alte Gefahrenabwehrrhetorik des Establishments auf allen Stufen der Eloquenz auf den Plan gerufen. Hunnenreden werden alsbald folgen.

Die Debatte um den Kölner Moscheebau sagt nichts über den Islam, nichts über die angeblichen Gefährdungen, nicht einmal etwas über Verkehrsprobleme. In ihr drückt sich einzig und allein der Geisteszustand unserer Tage aus: hysterischer Stupor, Erstarrung in der hellsten Aufregung. So wenig wie die Deutschen sich daran erinnern können, wer eigentlich ein Nazi war, so wenig scheinen sie zu spüren, wie sie sich längst wieder - biedermännisch getarnt - mit der Folklore des Rassismus vertraut gemacht haben. Wenn im Jahre 2007 die allernormalsten ethnischen und religiösen Differenzen Grundsatzdebatten über die Grenzen der Toleranz auslösen, dann kann man sicher sein: Die besorgten Bürger brauchen noch lange, um in der Moderne, die sie angeblich vor den Muslimen verteidigen will, anzukommen.


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