Alltime-Klassiker Man kann zur Rasiermaschine greifen wie jüngst Charlene von Monaco (jetzt ein Lookalike der frühen Gloria von Thurn und Taxis) oder einfach wachsen lassen und bei Bedarf zur Papierschere greifen. Das heißt dann French Cut. Ein Klassiker. Die Bardot trug ihn, die Birkin, und Clémence Poésy trägt ihn auch. Und weil mit den Friseuren nun auch die Gelegenheit fehlt, in Madame, Marie Claire, Vogue zu blättern, müssen wir uns denken, wie er dort beschrieben wird: „Keine Frisur verkörpert so das ,je ne sais quoi‘ der Pariserinnen. Unaufgeregt, lässig und elegant zugleich. Ein fransiger Pony, der bis auf die Augenbrauen reicht und so aussieht, als würde er gerade herauswachsen. Komplettiert wird die Optik mit ein
s würde er gerade herauswachsen. Komplettiert wird die Optik mit einem unscharf gezogenen Mittelscheitel. Ob halblang, lang oder Bob (➝ Grau), alles lässt sich frenchisieren. Voilà.“ Wegen solcher Sätze vermissen wir ihn doch, den Friseursalon. Jörn KabischBBartrisiko Bereits vor Corona stand der üppige Gesichtsbart im Verdacht, irgendwie keimig, jedenfalls bakterienbelastet zu sein. Studien wollten sogar gefährliche Fäkalkeime im Bart nachgewiesen haben (ob sie auch im Kopfhaar zu finden sind?). Spätestens unter dem neuen Corona-Hygieneregime wäre es an der Zeit, Schluss zu machen mit dem erheblichen Bartrisiko. Blöd nur, dass Barbershops ausgerechnet im Lockdown dichtmachen. Man möchte ja wohl nicht selbst seinen Vollbart stümperhaft verschneiden. Ich wette, irgendwo im Internet hat jemand eine Antwort auf diese Frage gefunden. So etwas wie einen Schablonenaufsatz für Kurzhaarschneider. Oder ein Youtube-Tutorial mit Schritt-für-Schritt-Erfolgsgarantie. Glück im Unglück: Wenn’s schiefgeht, trägt man die Mundnasebedeckung einfach dauerhaft, auch in geschlossenen Räumen. Was angesichts der Höchstinzidenzen nur vernünftig erscheint. „Halt“, ruft mein Mann, Rauschebartträger seit über einem Jahrzehnt, „aus“. Risiko hin oder her: Der Bart bleibt. Marlen HobrackGGrau Wer ein feministisches Plädoyer für die „flotte“ Grauhaarfrisur erwartet, hat sich geschnitten. Ich lasse mein Haar wohl noch ein paar Jahre färben, obwohl ich mich unwohl fühle wegen der Chemie, zurzeit aber noch unwohler aus bekannten Gründen, kein Friseurbesuch möglich. „Steh doch zu deinem Alter, zum Älterwerden, zu deinem grauen Haar“, raten mir gelegentlich Frauen. Es handelt sich dann öfter um einen Fall von horizontaler Altersdiskrimierung. Heißt: Frauen gleichen Alters erzielen Distinktionseffekte dadurch, dass sie – vermeintlich – mit unschönen Alterserscheinungen bestens klarkommen, besser als gleichaltrige Bekannte. Graue Haare stehen abgesehen davon nur wenigen Frauen gut zu Gesicht, da beißt die graue Maus keinen Faden ab. Graues Haar steht solchen Frauen dann so auffällig gut, dass sie Aufsehen erregen und Model werden.Die jüngere Frau, die aus politischen Gründen ihr Achselhaar kämmt, rät mir gerne auch, mich keinem „Schönheitsdiktat zu unterwerfen“. Nach Eva Illouz ist „erotisches Kapital“ jedoch auch nur ein Tauschwert am Markt. Authentizität hält sie für eine „terroristische kulturelle Idee“. Ich halte es also nach meiner Façon. Ein wilder, grauer Bob mit 70 bleibt aber eine Option. Katharina SchmitzKKahl Die Glatze ist im Grunde die perfekte Pandemie-Frisur: kein Termin beim Friseur mehr notwendig, wer sie freiwillig trägt, kann risikoarm im eigenen Bad rasieren. Friseure hassen diesen Trick. Inzwischen wird diese Sehrkurzhaarfrisur von Männern wie Frauen verschiedenen Alters getragen – höchste Zeit. Wir dürfen die Glatze nicht den Skinheads oder düster dreinblickenden Türstehern überlassen. Die Glatze gehört in die Mitte der Gesellschaft – und kommt da auch langsam an. Wer allerdings unter Haarausfall zu leiden hat (➝ Transplantation), könnte bei Synesios von Kyrene Trost finden. Sein spätantikesLob der Kahlheit, diese altgriechische Lektüre, soll Trost spenden. Einige der teilweise gewagten Thesen: Haare sprächen keineswegs für Weisheit, der Glatzkopf sei das göttlichste Lebewesen auf der Erde, und: Gott selbst sei kahlköpfig. Ben MendelsonLLobo Er saß in seiner Altbauwohnung in der Nähe der Volksbühne, vor sich einen aufgeschlagenen Laptop. Trug damals schon den Irokesen. Es war 2009, Sascha Lobo sollte im Interview erklären, was Blogs sind und Twitter. Er war nerdig, doch sendungsbewusst. „Ist Ihre Frisur auch eine Art Vermarktung?“, fragten wir. „Durchaus, vor allem in Verbindung mit einem Anzug. Wer mich einmal getroffen hat, erinnert sich vermutlich daran. Außerdem habe ich ein kleines bisschen Punk-Attitüde in mir.“ Seine Friseurin ist der Redaktion bekannt.Maxi LeinkaufMMusik Die meisten denken bei Haaren und Klängen ans Musical Hair, manche noch an Grease. Wenigen wird Le Frisur einfallen, das kommerziell erfolgloseste Album der Ärzte aus dem Jahr 1996. Hier widmet sich das Trio einzig dem Thema Haare. Und das sehr gekonnt: Vom Cross-over-Song über den Schlager sind bis zum Gothic-Geheule allerlei Stile vertreten. Le Frisur ist wirklich lustig, wenn man sich reinhört. ➝ Vokuhila, Minipli und Drei-Tage-Bart sind einzelne Songs gewidmet. Es geht um rebellisches Jungendasein bei der ersten Rasur und natürlich um Körperbehaarung in allen Formen. Für einen Heavy-Metaller handelt es sich allerdings um was Existenzielles: „Wirst du mich noch lieben, wenn ich mal kahl bin?“ Tobias PrüwerNNeugeboren Ich erfinde mich gerne neu. Meine Frisur war dabei stets ein zuverlässiger Indikator. Der Klassiker: der veränderte Look nach einer Trennung. Neuer Haarschnitt! Für jeden Einschnitt eine neue Farbe: Kirsch-Rot, Skandinavia-Blond, Nacht-Schwarz, hatte ich alles. Der Längen-Faktor kam dazu seit ich Kinder habe. Wahrscheinlich der zweithäufigste Grund, warum Frauen zur Schere oder sogar zum Rasierer – Buzz Cut (➝ Kahl) – greifen. Wie eine Zäsur, ein Signal für den neuen Lebensabschnitt. Beim ersten Kind wollte ich davon nichts wissen. Bloß keine Muttifrisur, skandierte ich vor Verwandten oder Freund*innen, die mich zur Entspannung noch schnell zum Friseur schicken wollten. Womöglich wollte ich mir damals meine bevorstehende (Neu)Geburt einfach nicht eingestehen. Feiern, Reisen, Karriere – schaff ich auch mit Kind. Die Frisur bleibt! Der Gutschein kam in die Schublade. Bei Kind Nr. 2 hab ich ihn wieder rausgefischt– Bob-Zeit! Seit Kind Nr. 3 lass ich sie wieder wild wachsen. Madeleine RichterPPolitik Es gibt ja so einiges, bei dem man sich als Politiker*in nicht erwischen lassen sollte: Inhalieren, Luxusurlaube in Unternehmervillen … In Corona-Zeiten gehört spätestens seit dem Jahreswechsel eine gut sitzende Frisur dazu. Peter „Seit ich Minister bin schneide ich meine wenigen verblieben Haare grundsätzlich selbst“ Altmaier ist jetzt fein raus, für alle anderen gilt: Lieber eine Matte im Nacken wie weiland Andreas Scheuer im Frühjahrs-Lockdown, als mit einem perfekt gestutzten Bob vor die Kameras zu treten, wenn der Bevölkerung nur der Griff zur Mütze oder zur Nagelschere (➝ Alltime-Klassiker) bleibt. Allen voran gilt das für die Kanzlerin, der ihre Kritiker immer schon gerne auf den Kopf geschaut haben. Oder wie die Süddeutsche 2010 schrieb: „Vom Topf- zum Topschnitt: Die Evolution einer Frau und ihrer Frisur“. Im Prinz-Eisenherz-Stadium, mutmaßte die Zeitung, habe sie um die Jahrtausendwende statt zur Schere wohl zum Dosenöffner gegriffen. 2021 würden ihr dafür in den sozialen Medien die Herzen sicher nur so zufliegen. Christine KäppelerRRevival Während der Oliba in der intellektuell angehauchten Schwulenszene ein Revival als eine Art Modeverweigerungs-Statement feiert, steht uns Ähnliches mit dem Vokuhila-Schnitt gerade bevor. Der Weg dieses Haarschnitts von David Bowies androgyner, der tristen Realität enthobener opernhafter Traumwelt zu den Vertretern eines umso bodenständigeren, zwischen Bolzplatz und Schaubudenzauber changierenden Milieus ist verschlungen.Womöglich basiert alles auf einem Missverständnis? War es etwa die Friseurinnung, die den von Bowie ins Spiel gebrachten Ball nur zu gerne aufnahm und den Wunsch einer ganzen Männergeneration nach langen Haaren mit dem Stutzen der vorderen Seite der Mähne etwas entgegensetzte? Verkauften da versierte Friseure gestandenen Männern sexuell uneindeutigen Glam als Virilität, nur um nicht in Arbeitslosigkeit zu versinken? Wie kamen all diese Kicker unter Führung von Rudi Völler zu dieser Frisur? Und Dieter Bohlen? Noch dazu gewellt?Wusste er, dass er damit selber die Cheri Lady verkörperte? Wir wissen es nicht. Was bleibt ist die nachwachsende Generation, welche die Haarpracht (etwa auf der App Tiktok), ironisch gebrochen oder nicht, wieder ins Zentrum von Styling-Debatten rückt. Die Steigerung ist der Vokuhilamischnu, keine indische Gottheit, sondern eben „mit Schnurrbart“. Ist erst das Revival die wirkliche Geburt eines Stils? Marc OttikerTTransplantation Männer, die zu eitel sind, ihren steten Haarverlust zu zeigen, greifen zum Toupet. Oder, als moderne Version für Gutbetuchte: zur Haartransplantation. Fußballtrainer Jürgen Klopp etwa unterwarf sich einer solchen, um seine Geheimratsecken zu verstecken. Kloppo zog sich mit den eigenen Haaren aus dem vermeintlichen Sumpf. Dass lichtere Haarpracht mit den Jahrzehnten dazugehört und es pflegeleichte Alternativen zum Verstecken gibt (➝ Kahl), geht im Haar-Schönheitswahn unter. Das sieht man auch bei ➝ Politiker*innen.Der mittlerweile 84-jährige Silvio Berlusconi kümmert sich seit 2004 ganz intensiv um Haarausfall-Verschleierung, sodass Bill Gates scherzte, er solle mehr Geld ins Gesundheitssystem und weniger ins Kaschieren seiner Glatze stecken. Ob Donald Trump Toupet trägt – es bleibt ein offenes Geheimnis. Seinem Anwalt Rudy Giuliani lief neulich bei einer Rede das Haarfärbemittel bis zum Kinn herunter. Und: Wie geht’s eigentlich Gerhard Schröder? Ben MendelsonZZuckerwasser Als mir mein Vater beibrachte, wie man „zu DDR-Zeiten“ sein Haar stylte, wenn es „nichts anderes gab“ – was, wenn ich ihn richtig verstand, so ziemlich immer gewesen sein muss –, schien mir das befremdlich. Limonade soll die Haare festigen, oder alles mit Zucker. Zur Not ginge Bier. Ich stellte mir vor, wie ich mich nach Suff stinkend in eine Clubschlange stelle, mit tropfender Tolle auf dem Kopf. Undenkbar! Heute lese ich auf einem Internetportal für „nachhaltiges Leben“: Styling-Gels und Haarfestiger seien schlecht für die Kopfhaut. Gesünder und günstiger wären Zuckerwasser oder Bier. Wer hätte gedacht, dass mich der Realsozialismus einmal so einholen würde? Konstantin Nowotny
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