Nichts gewesen

Lübecker Abend Kolumne

- Einen Rotwein bitte, sage ich, den billigsten.

Ich weiß, das darf man nicht sagen im Westen, aber ich war zu faul, in die Karte zu schauen.

- Das ist ein Tinta Bairrada, der ist sehr günstig, sagt die Kellnerin, als sie wiederkommt, um den Wein zu bringen und schaut mich strafend an.

An der Wand hängt ein großer Spiegel und wenn man von der Zeitung aufschaut, kann man die Menschen beobachten, die an der Theke sitzen, ohne sie direkt ansehen zu müssen. Das Zeitungsangebot ist hier in Ordnung. Die taz liegt neben der Hamburger Morgenpost (letztere wird von der World Press Review seltsamerweise in die Kategorie left wing eingeordnet), die wöchentliche Zeit sieht ungelesener aus als die monatliche Titanic. Der Freitag fehlt natürlich. Allerdings, die Kneipe in Hamburg, wo der Freitag auslag, war etwas seltsam; außer dem Freitag gab es keinen Grund, da hinzugehen und eigentlich war es nur mit Kindern auszuhalten.

Ich nehme die Lübecker Nachrichten, denn bei den anderen Zeitungen besteht die Gefahr, dass der Wein schneller ausgetrunken ist, als die Zeitung gelesen. Den Kleinanzeigenteil haben schon die Gäste am Nachmittag mitgenommen, also geht das Lesen noch schneller und ich habe genügend Zeit, die Leute zu beobachten. Nach einem längeren Artikel, der das schöne Wetter der letzten Zeit zum Thema hat und mit lachenden Mädchen illustriert ist, bereue ich dann doch, nicht die taz genommen zu haben. Aber eigentlich geht man ja nicht unbedingt ins Café, weil man Zeitungen lesen will, was man auch zu Haus tun könnte. Ich beschließe also, den Abend woanders fortzusetzen. Der strafende Blick beim fehlenden Trinkgeld fällt kleiner aus, schließlich war ich schon vorher disqualifiziert. Tresenkräfte werden schlecht bezahlt, sagt man, das klingt immer so, als ob die Leute, die im Supermarkt arbeiten und den weitaus langweiligeren Job haben, Managergehälter kriegen. Eine Straße weiter - allerdings eine entscheidende Straße, was die Aufmerksamkeit des orientierungslosen Besuchers angeht - richtet sich die Höhe der Zeche nach dem Einkommen der Gäste. Die Zeiten, wo das Einkommen an der Kleidung zu erkennen war, sind allerdings vorbei. Heutzutage sind weitaus subtilere Fähigkeiten verlangt, als nur Marken einordnen zu können. Wer das erste Mal hier ist, wird für einen Fremdkörper gehalten und merkt das am Verhalten der anderen. Falls er trotzdem wiederkommt, wird er nach dem zweiten Bier dem Wirt seine Geschichte erzählen und dann gehört er schon fast dazu. Die Leute grüßen sich hier, wenn sie sich zufällig auf der Straße treffen, weil sie in die gleiche Kneipe gehen, auch wenn sie sich dort noch nie unterhalten haben. Zeitungen gibt es hier natürlich keine und die Karte sieht aus, als hätte sie schon lange niemand mehr angeguckt. Wozu auch, wenn man doch gleich den Wirt fragen kann. Am Vatertag (oder heißt das Herrentag? Jedenfalls an diesem schwer zu ertragenen Donnerstag eine Woche vor dem auch schwer zu ertragenen Pfingsten) wird hier schon mal eine Runde Schnaps spendiert. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss allerdings gesagt werden, dass dieser Schnaps auch den Frauen angeboten wird, egal ob sie allein da sind oder nicht. Außerdem kann die Sorte jeder selbst wählen und es wäre sogar möglich, ganz auf das Angebot zu verzichten.

So sieht eine Kneipe aus, an der Touristen und Vorstadtbewohner vorbeigehen und wo die Erdnüsse noch selbst gepflückt werden. Man kommt hier schnell ins Gespräch und am Ende weiß man gar nicht mehr so genau, worüber man eigentlich geredet hat. Aber man weiß, dass alles so in Ordnung war.

Wenn man nach Hause kommt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, der Dönerladen im Hausflur ist noch auf, oder er hat schon zu. Wenn ich den Dönermann fragen würde, wann genau er eigentlich zu macht, würde er wahrscheinlich sagen: Genau zu dem Zeitpunkt, nach dem man eigentlich besser nicht mehr nach Hause kommen sollte. Aber vielleicht würde er auch nur fragen, ob ich noch ein Bier trinken will. Zum Rabattpreis natürlich, weil ich im gleichen Haus wohne. Doch ich habe schon genug getrunken und frage ihn lieber gar nichts. Außerdem ist er gerade dabei, die Stühle hochzustellen, als ich die Treppe hochgehe. Am nächsten Morgen wird der Gemüsehändler von gegenüber wieder gucken, als wäre nichts gewesen.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden