A
Aitmatow, Tschingis Aitmatows Roman Der Richtplatz von 1986 führt den Leser vom modernen Moskau in das Jerusalem zur Zeit der Kreuzigung Christi. Der größte Teil der Handlung spielt aber in Aitmatows kirgisischer Heimat, im Hochgebirge Tian Shan, wo der wilde Hanf wächst. Erzählt werden die Schicksale zweier Männer (➝ Grower), eines Theologen und eines Schafhirten.
Zusammengehalten wird die Geschichte von den Erlebnissen eines Wolfspaares, Akbara und Taschtschanjar. Der Anfang des Romans schildert, wie der „Pope“ Awdij, der eigentlich eine Gruppe junger Marihuana-Sammler bekehren will, mit dem Drogengeschäft aufzuhören, high vom Herumlaufen in den blühenden Hanffeldern Freundschaft mit einem Wolfsjungen schließen möchte und nur durch Zufall der alarmierten Mutter Akbara entgeht. Noch beeindruckender sind allerdings Aitmatows Schilderungen der Wirkungen des Hanfs auf die, nun, bekifften Raubtiere selbst. Mladen Gladić
B
Brennnessel Unkraut ist ein Unwort: Es meint im Wortursprung eine Nichtgemüsepflanze. Als ob Brennnessel & Co. unnütz oder nicht zum Verzehr geeignet wären. Dabei sind in Europa rund 1.500 Kräuterarten als essbar bekannt. Immerhin: Bärlauch als Knoblauchalternative hat sich herumgesprochen. Lecker ist auch der als „Gartenfeind No 1“ bekannte Giersch. Oder die Vogelmiere, die dreimal so viel Kalium und Magnesium wie Kopfsalat enthält. Der Wermutstropfen: Natürlich sind auch Wildkräuter je nach Lage mit Schadstoffen belastet.
Die Kräuter sind leicht in der Natur aufzuspüren. Am besten, man verbindet das mit der ➝ Mundraub-Ernte. Das steigert nicht nur den Ertrag, sondern stockt die Zutatenliste auf. Suchfaule bauen die Wildpflanzen einfach selbst auf Fensterbank oder im Beet an – soll der Nachbar doch „Unkraut“ schimpfen. Tobias Prüwer
C
Chilierotik Ich habe sie beim Vietnamesen um die Ecke gesehen und spontan mitgenommen. Es war genau die richtige Zeit für uns beide. Ich war wieder frei, sie suchte ein Zuhause. Ihr viel zu enges Plastikkleid ließ sie sich nur zu gern abstreifen, sie räkelte sich sofort genüsslich im neuen Erdreich. Ihre Früchte (➝ Mundraub) schwollen an und röteten sich vom glänzenden Schaft her in Richtung der sich keck in die Sonne reckenden Spitzen.
Die erste Ernte war ein Fest in leuchtendem Rot und sattem Grün. Sie ließ ihre reife Frucht nahezu ohne Widerstand in meine Hand gleiten. Auch der Pharmakologe und Chilischärfe-Experte Wilbur L. Scoville (1865-1942) hätte über diesen Ertrag eines frei nach Rainer Maria Rilke „großen Sommers“ nicht erfreuter sein können. Dieses kräftige Wunderwerk aus ewiger Photosynthese strotzte vor Capsaicin. Seine Schärfe breitete sich in den Gaumen meiner Gäste aus wie ein Schwarm aufgescheuchter Zaunkönige. Und ja, erst am nächsten Morgen verstanden wir, dass sie in ihrer lasziven Trägheit auf meinem Fensterbrett unser Verständnis, was eine Pflanze ist, für immer veränderte. Marc Ottiker
G
Grower Nicht der Geruch von Grillwürsten oder schwitzigen Fußballschuhen weckt meine Neugier. Nein, es ist ein süßlicher Duft, der mich auf die Zehenspitzen treibt. Wenn ich mich weit genug vorbeuge, sehe ich tatsächlich Hanfpflanzen auf dem Nachbarbalkon! Neben den Tomaten lange kaum zu sehen, sind sie inzwischen beachtlich gewachsen.
In Expertenforen wird geklagt, es gebe beim Anbau in der Stadt ein Problem: Neugierige Nachbarn! Die können den ganzen illegalen Spaß (➝ Makel) kaputt machen, mit nur einem wissenden Lächeln beim Gruß im Treppenhaus. Ob ich mich ertappt fühle? Die Pflanzen jedenfalls sind plötzlich verschwunden. Oder ist schon Erntezeit? Linda Gerner
H
Hopfen Als ich vor Jahren in der Holledau zwischen München und Regensburg unterwegs war, fiel mir angesichts der kilometerweiten Hopfenfelder ein hübscher, erstaunlich rebellischer Jugendfilm aus der CSSR der 1960er Jahre ein. Hopfenpflücker hieß er und sprach Themen der 68er in Ost und West an. Lustig, rockig und gar nicht „bierselig“ ging es zu. Der Titelsong handelt vom Nutzen schulischer Arbeitseinsätze: „Wenn wir heut‘ Hopfen pflücken/Dann wird sich keiner drücken/Wir sagen uns beim Bücken/Die Welt verlangt nach Bier.“ Nach Wandel verlangte es die Menschen überall. Aber in der CSSR waren damals im August 1968 Hopfen und Malz verloren. Magda Geisler
I
Indigoblätter Aboubakar Fofana wird der „Magier des Indigo“ genannt. Eine etwas exotistische Umschreibung dafür, dass der 1967 in Bamako, Mali geborene, in Paris lebende Künstler virtuos mit jener Pflanze (➝ Hopfen) umzugehen versteht, die er seit Kindheitstagen kennt.
Sein uraltes Wissen über Indigoblätter komplettierte er in einer Bibliothek in Paris, aber auch in Westafrika selbst. Das schöne Ergebnis war bei der documenta 14 zu sehen: Kunst aus Indigostoffen, wie jene 54 gefärbten Schafe, die er „Afrikas Segen“ genannt hat – für ihn selbst eine überaus spirituelle Angelegenheit. Seine Farbe entsteht in zwölf Schattierungen ganz ohne Chemie aus zerstoßenen, getrockneten Indigoblättern. Sein Werk, schreibt die Designerin Johanna Macnaughtan, ist ein „bewusster Versuch, zu verstehen, seine Techniken und Materialien ebenso zu bewahren und zu schützen wie das Umfeld und die Philosophien, die sie hervorgebracht haben“. Marc Peschke
L
Labor-Alge Glitschig, grün und geadelt mit der Bezeichnung Superfood, gehören Algen längst nicht nur bei Sushi auf den Teller oder in die Smoothies aller Nahrungsprediger. Doch wer annimmt, das kalorienarme, calcium- und eisenreiche Plankton komme selbstverständlich aus dem Meer, liegt daneben. Es könnte auch aus Sachsen-Anhalt kommen. Genauer: aus der Stadt Klötze. Dort floriert seit 2000 die Algenproduktion der Firma Roquette Klötze. In 1,2 Hektar großen gewächshausähnliche Gebäuden werden die Algen produziert und international verkauft.
Das Geschäft der größten Mikroalgenkulturanlage Deutschlands läuft gut, kürzlich wurde nach Meckpomm expandiert. Die Mikroalge Chlorella ist dabei nicht nur Grundlage für ausgefallene Gerichte à la Algenspaghetti (➝ Brennnessel), sondern auch von Nahrungsergänzungsmitteln, (sie sollen entgiftend wirken und entspannen) sowie als Futtermittel für Pferde. Linda Gerner
M
Makel Das Wort Gentechnik weckt beim Großteil der Verbraucher Assoziationen an Frankenstein und Mutantenstadl. Darum erzeugt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Biotechwerkzeugen wie Crispr (siehe auch Kommentar S. 2) ein Dilemma. Sie gehören nicht zur klassischen Gentechnik, die mit artfremdem Erbgut experimentiert und es frei auf die Natur loslässt. Belege für eine Gefährdung fehlen, aber theoretisch besteht immer ein Risiko. Befürworter halten den Genschereneingriff, der Erbgut nur formt, um etwa Äpfel (➝ Tomate) haltbarer zu machen, für naturidentisch, da solche Mutationen auch in der Natur vorkämen. Außerdem sind klassische Pflanzenzuchtmethoden, wo mittels Chemie oder Strahlung zufällige Mutationen erzeugt werden, viel unberechenbarer.
Tatsächlich sitzen die Genscherenkritiker einem merkwürdigen Naturbegriff auf, wenn sie das nun fällige Gentechnik-Siegel feiern, an der gezüchteten Pflanze aber keinen Makel sehen. Tobias Prüwer
Mundraub Er steht seit Jahrzehnten nicht mehr im Gesetz, das Entwenden von Lebensmitteln ist aber keineswegs straffrei. Es gilt heute als Diebstahl.
Wo man legal, mit Wissen des Besitzers, Obst ernten kann, weiß mundraub.org. Die Seite listet Standorte von frei zugänglichen Pflanzen auf und ermuntert zur Selbstbedienung (➝ Saatgutbörse). Das ist eine feine, den genauen Blick schulende Unternehmung über den Tellerrand hinaus. Findet man die Mirabellen, Berberitzen und Felsenbirnen, die angeblich im Hundert-Meter-Umkreis zu ernten sind? Diese Mundraubform wird auch zur Alternativökonomie hochgejazzt. Wenn Millionen von Deutschen sich allein auf diese Beschaffungsart verlassen würden, dann stünde Schlimmeres als ein Kohlrübenwinter an. Tobias Prüwer
S
Saatgutbörse Die Hitze lässt die ➝ Tomaten stündlich reifen. Neun oder zehn Stöcke pflanzen wir jährlich, „alte“ Sorten mit so hübschen Namen wie Black Plum und Ochsenherz. Weit entfernt von Subsistenzansprüchen ist das unser winziger Beitrag zur biologischen Vielfalt.
In größerem Maßstab organisiert das die Saatgutkampagne, in der sich Aktive für regionales, fair gehandeltes und patentfreies Pflanzenwirtschaften einsetzen. Auf Samenfesten und Saatguttauschbörsen treffen sich Pflanzenliebhaber, Kleingärtner und -bauern sowie Erhaltungsinitiativen mit dem Ziel, gentechnikfreies, industriell nicht kontrolliertes Saatgut zu erhalten. „Eine neue Welt ist pflanzbar“, sagen sie. Ulrike Baureithel
T
Tomate Fragt man, welche Pflanze in der Kollektion der Nutzpflanzen auf keinen Fall auf einem deutschen Balkon, gar in einem Garten fehlen darf, so ist es die Tomate. Der deutsche Kleingärtner (➝ Grower) tröstet sich über den erhöhten Arbeitsaufwand, den peinlich korrekt kontrollierte Gießwassermengen und hoffentlich beigebrachte Düngestäbchen bedeuten, mit dem Verweis auf den hervorragenden Geschmack.
Die selbst angebaute Tomate schmeckt eben noch nach etwas, nicht so wie das holländische Hochleistungsgewächshausäquivalent. Ressentiment beginnt bereits im Pflanzenkübel und gedeiht am besten unter hübsch brauner Brennnesseljauche. Jedenfalls muss jedes geerntete und verkostete Früchtchen mit Worten wie „Mhh, ja, das nenne ich Geschmack!“, belobhudelt werden. Ihre futuristische Schwester, die gentechnisch veränderte „Anti-Matsch-Tomate“ (Flavr-Savr-Tomato) von 1994, hat sich selbst in den gentechnisch eher toleranten USA nicht durchgesetzt. Marlen Hobrack
Z
Zibet Bei Zibet handelt es sich um ein stinkendes Sekret, das eine afrikanische Katzenart absondert. So lautet der wissenschaftliche Name des Durianbaumes ganz trefflich „Durio zibethinus“. Der „Zibetbaum“ ist ein Malvengewächs, trotz üblen Geruchs gilt seine Frucht als Delikatesse. Kenner lobpreisen das cremefarbene Fleisch, das in einer ovalen Riesenkastanie schlummert, als mannagleich und die Durian als Königin des Tropenobstes. Andere erinnert der Geruch an eine überreife Biotonne oder faule Eier. Manche riechen mehrfach getragene Wandersocken heraus, weshalb man sie auch „Stinkfrucht“, „Baumkäse“ und „Frucht der Extreme“ nennt.
Leider ist der Selbstversuch, welcher Durian-Typ (➝ Chilierotik) man ist, nur vor Ort möglich. Die Durian wird in Europa nicht kredenzt, weil Airlines den Transport verweigern. Tobias Prüwer
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