Privatmuseum Fotografiska im Kunsthaus Tacheles: Wächst hier etwas zusammen?
Berlin-Mitte 2012 wurden die Kunstschaffenden im Kunsthaus Tacheles in Berlin zwangsgeräumt. In dem Gebäude eröffnet jetzt das Privatmuseum Fotografiska und muss beweisen, dass es dem Erbe gerecht werden kann. Ein Vorabbesuch
„Finally, a reason to go to Mitte.“ Mit diesem Werbeslogan kündigte sich das neue Berliner Ausstellungshaus Fotografiska schon Wochen vor seiner Eröffnung im ehemaligen Kunsthaus Tacheles an. Klar, dass die Botschaft zuallererst jene adressiert, die die Errichtung des Luxusquartiers „Am Tacheles“ an der Oranienburger Straße in den vergangenen Jahren mit Argwohn beobachtet haben.
Mit der Zwangsräumung des Kunsthauses 2012 und dem Auszug der Fotogalerie C/O Berlin aus dem benachbarten Postfuhramt wenig später nahm die Gentrifizierungsspirale, wie sie Stadtzentren weltweit erleben, auch in Berlin-Mitte an Fahrt auf: Nach den Kreativen kamen die Investoren. Dabei hätte es auch anders sein können. Denn das, was sich nach dem Mauerfall al
uerfall als neues Zentrum der Stadt auftat, war zunächst Gegenentwurf zu einer kapitalgetriebenen Stadtentwicklung: ein utopischer Spielplatz für Kunstschaffende, Musiker:innen, Aktivisten/Aktivistinnen – von dessen Ruf auch das Berlin-Marketing bis heute profitiert. Die Künstler:innen, die 1990 die später als Tacheles bekannte Kaufhausruine besetzten, trugen dazu einen ganz wesentlichen Teil bei.Fotografiska, das sich als „zeitgenössisches Museum für Fotografie, Kunst und Kultur“ bezeichnet, steht vor der Herausforderung, sich der Geschichte des Standorts als würdig zu erweisen. Der Auftakt zur Eröffnungswoche wird auch von Protest begleitet. Akteure/Akteurinnen aus alten Tacheles-Zeiten fordern einen angemessenen Umgang mit den alten Kunstwerken im Haus sowie finanzielle Entschädigung. Ihre Sorge, dass die denkmalgeschützten Graffiti in den Treppenaufgängen und die verbliebenen Schrottskulpturen im aufpolierten Haus zur Kulisse werden, ist nicht unberechtigt. Fotografiskas Nutzungskonzept sieht nur weniger als ein Viertel der Flächen für das vor, was es im Namen trägt. Der weitaus größere Teil der rund 5.000 Quadratmeter besteht aus verschiedenen gastronomischen Angeboten, einem Veranstaltungssaal und dem Museumsshop. Doch ein Museum im klassischen Sinn – gemeinnützig, bewahrend, forschend – ist Fotografiska ohnehin nicht. Es verfügt über keine eigene Sammlung und beabsichtigt auch nicht, eine aufzubauen, stattdessen werden drei bis vier mehrmals jährlich wechselnde Ausstellungen gezeigt.Fotografiska ist ein weltweit agierendes PrivatmuseumVerantwortlich für das Ausstellungsprogramm ist Marina Paulenka, zuvor künstlerische Leiterin der Amsterdamer Fotomesse Unseen. Sie betont, dass ihr eine aufrichtige Zusammenarbeit mit den Künstlern/Künstlerinnen wichtig ist und sie deren Anliegen auch in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen und der hauseigenen Publikation aufgreifen will. „Wir wollen unser Publikum herausfordern, indem wir es in diese Diskussionen einbeziehen, aber auch selbst von ihm herausgefordert werden, indem wir zuhören und lernen“, sagt sie während einer ersten Pressebegehung am vergangenen Donnerstag.Auch Yousef Hammoudah, erfahrener Markenstratege und seit April vergangenen Jahres Geschäftsführer von Fotografiska Berlin, gibt sich in seiner Ansprache bewusst selbstkritisch. Er und sein Team wüssten um die Verantwortung, die mit dem Einzug einhergeht. Den „Künstler:innen der 1990er und 00er“, wie er sie nennt, garantiert er eine Kennzeichnung von und Zugang zu ihren Werken. Zudem distanziert er sich von dem für das Quartier gewählten Namen „Am Tacheles“: „Uns ist vollkommen klar, dass das eine Form von kultureller Vereinnahmung ist, der wir, wenn wir Einfluss gehabt hätten, niemals zugestimmt hätten.“ Seit vergangenem Herbst seien bereits Gespräche mit Berliner Kunstschaffenden – laut eigener Aussage auch solchen aus den alten Zeiten des Hauses – im Rahmen eines „Community Outreach Program“ geführt worden, bei denen er und seine Kollegen/Kolleginnen viel gelernt hätten.Laut Hammoudah macht sich Fotografiska zur Aufgabe, „das offenste Museum der Stadt zu sein“ – man möchte ihm glauben, dass damit nicht nur die ausgedehnten Öffnungszeiten gemeint sind. Den Expansionsplänen zufolge will es jedoch auch das größte Privatmuseum der Welt werden. Nach Gründung 2010 in Stockholm entstanden in den letzten Jahren Häuser in Tallin und New York, auch in Shanghai soll noch dieses Jahr ein Ableger eröffnen. Nach Berlin geholt hat Yoram Roth Fotografiska. Der hier geborene, international agierende Kulturunternehmer ist seit 2017 Chairman des Museums und zudem sein Hauptanteilseigner. Auch in Berlin hat Roth bereits diverse Investitionen im Kultur-, Medien- und Immobilienbereich getätigt.Placeholder image-1Messen lassen muss sich Fotografiska vor allem an seiner inhaltlichen Programmatik. Der Auftakt ist vielversprechend. Zu den Eröffnungskünstlerinnen zählt die seit 21 Jahren in Berlin lebende Künstlerin Candice Breitz. Dass gerade sie dem Haus ihren Namen leiht, könnte als Indiz dafür genommen werden, dass Fotografiska es ernst mit der kritischen Selbstreflexion meint. Nicht nur seziert die südafrikanische Künstlerin seit vielen Jahren die Strukturen weißer Dominanz und Entstehungsbedingungen von Empathie in ihren Arbeiten. Sie ist auch eine kritische Stimme in der Berliner Kunstszene, unter anderem war sie Mitinitiatorin des Boykottaufrufs gegen Walter Smerlings Kunsthalle im ehemaligen Tempelhofer Flughafen.In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Berlin – tatsächlich erhielt sie hier von den öffentlichen Häusern bislang nicht die Gelegenheit – zeigt Breitz ihre Videoinstallation Whiteface (2022), den Abschluss einer vor sieben Jahren begonnenen Trilogie. Während die beiden älteren Arbeiten, Love Story (2016) und TLDR (2017), die komplexen Geschichten prekärer Lebensrealitäten von einerseits geflüchteten Menschen und andererseits südafrikanischen Sexarbeitern/Sexarbeiterinnen im Schatten weißer Ignoranz und Kurzsichtigkeit erzählen, ist Whiteface in vielerlei Hinsicht direkter. Hier verkörpert Breitz selbst die Monstrosität des Weißseins, indem sie – ausgestattet mit weißem Hemd, blonder Perücke und Zombie-Kontaktlinsen – ihre Lippen punktgenau zu den öffentlichen Aussagen offenkundiger Rassisten, aber auch vermeintlich aufgeklärter Weißer bewegt. Wer deren Sätze lieber nicht hören will, wird froh über die Inhaltswarnung am Eingang der Ausstellung sein.Breitz geht es aber nicht um die Personen hinter diesen Glaubenssätzen. „Ich wollte vermeiden, mit ,Whiteface’ den Finger auf Einzelne zu richten und zu suggerieren, dass individuelle Verhaltensänderungen die Lösung sind. Ich wollte, dass die Arbeit Weißsein als Ideologie adressiert“, erklärt die Künstlerin im Interview. Dass Breitz sich dafür selbst ins Zentrum der Videoarbeit stellt, war eine bewusste, in ihren Augen unausweichliche Entscheidung: „Es geht hier nicht um meinen Blick aufs Weißsein, schließlich spreche ich selbst aus einer weißen Position heraus.“Auch Akte, aber zeitgemäßNeben Whiteface wird mit –USSYPHILIA die bisher größte europäische Solo-Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin, Performerin, Musikerin und Autorin Juliana Huxtable gezeigt – in Berlin ist sie unter anderem durch regelmäßige Aufritte im Berghain bekannt. In ihren Selbstporträts verkörpert Huxtable eine mythische Interspezies-Persona und thematisiert dabei sämtliche Facetten von Identität aus Perspektive einer Schwarzen trans*Frau. Dass Fotografie bei ihr nur eines unter vielen Ausdrucksmitteln ist, legt offen, dass Fotografiska auch ein weiteres Verständnis des Mediums transportieren will als etwa das Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo.Dass im Haus auch Raum für ein klassisches fotografisches Sujet wie den Akt ist, allerdings in zeitgemäßer Variante, zeigt zur Eröffnung die Gruppenausstellung NUDE, die bereits in Stockholm und New York gezeigt wurde und kritische Positionen zu Nacktheit, Blickstrukturen und Körperpolitiken von 30 sich als weiblich identifizierenden Künstlerinnen versammelt.In den ersten Presseberichten werden diese Setzungen vielfach positiv bewertet. Doch es gibt auch Stimmen, die in der Auswahl einen zu großen Willen sehen, sich unangreifbar zu machen. Zweifelsfrei werten die gezeigten Positionen die Marke Fotografiska auf. Kritik am „Virtue Signaling“ kam bereits nach Eröffnung des New Yorker Hauses. Dabei darf nicht verkannt werden, dass mehrheitlich mit Frauen besetzte Ausstellungen oder antirassistische Positionen – entgegen aller Wahrnehmung, die man in Berlin gewinnen mag – leider kaum etablierter Standard sind, ja, sogar zur Angriffsfläche werden können. Fest steht: Wer Emanzipationsfragen zum Kern seines Ausstellungsprogramms macht, wird auch Wille zeigen müssen, etwas an den materiellen Bedingungen für Kunstschaffende zu ändern, um ernst genommen zu werden. Ob Fotografiska Berlin hier mehr als Marketing auf Höhe der Zeit betreibt, wird es in den kommenden Jahren beweisen müssen.Placeholder infobox-1