Professioneller Unrat

Theater Am Freitag hatte im Berliner Gorki-Theater "Professor Unrat" nach Heinrich Mann Premiere. Selten ging eine Inszenierung so in die Hosen wie diese. Bleibt die Frage, warum

Ein mulmiges Gefühl bereitet schon der Anblick der unbespielten Bühne: Sonderlich groß ist die im kleinen Gorki ohnehin nicht und an diesem Abend so vollgebaut, dass für die acht Darsteller, die das Programmheft aufzählt, kaum Platz zu bleiben scheint. Im Hintergrund steht ein bespielbarer Container, auf dessen Dach die Instrumente auf die annoncierten Musiker warten. Im Portal steht – wie sinnig – eine Schultafel, und an den Rändern der vergrößerten Vorbühne die dazugehörigen Stühle (Bühne: Alexander Wolf). Das Ganze wirkt höchst bedeutsam arrangiert, zugleich heillos überfrachtet, und diese unselige Mischung wird sich über die gut zweistündige Aufführung erhalten.

Der Abend selbst beginnt mit einem grellen Klischee: Drei Schauspieler betreten die Bühne, und damit sie als Schüler kenntlich werden, tragen sie verschiedenfarbige Pullunder zu weißem Hemd, schwarzer Krawatte und dunkler Hose (Kostüme: Ellen Hofmann). Der sittenstrenge Professor Raat (Andreas Leupold) hingegen trägt nicht einmal Jackett. Sebastian Baumgarten, der Regisseur dieser "Roman-Revue", legt das Augenmerk auf andere Dinge: Wenn sich die »Schüler« von hinten über die aufgeklappte Tafel baumeln lassen, wird sie zum Tisch und die Horizontale für einen Moment zur Vertikale. Konsequenzen hat das keine, und deshalb bleibt es ebenso ein leerer Effekt wie die Musik, die zu Beginn einsetzt – und bis zum Ende nicht verstummen wird.

Die dreiköpfige Band spielt einen modernen, disharmonischen »Soundtrack«, den sie gelegentlich für akustische Einwürfe unterbricht, die früher Tusch geheißen hätten. Das Resultat ist ein klebriger Brei, der den Text nahezu erstickt und sich auch auf die Schauspieler legt. Die jungen wie Anika Baumann, Johann Jürgens und Stefan Konarske stemmen sich mit übertriebenem Elan dagegen an, doch ein Routinier wie Andreas Leupold wirkt regelrecht gehemmt. Und Kathrin Angerer, an der Volksbühne von der jugendlichen Naiven zur vielseitigen Darstellerin gereift, verlegt sich als Rosa Fröhlich – die Rolle machte Marlene Dietrich berühmt – selbst beim Singen auf den Nölton von früher.

Doch mit der Arbeit an den Figuren kann sich die Regie ohnehin nicht lange aufgehalten haben, denn wie und warum sich Unrat in den "Blauen Engel" verirrt, der verruchten »Künstlerin« verfällt und darüber neben seinem Vermögen und seiner Anstellung auch seine Wertmaßstäbe verliert, gerät auf der wie wild rotierenden Drehbühne gar nicht erst in den Blick. Der ist überdies mit den zahllosen Videos beschäftigt, deren Verbindung mit dem Stück nur selten evident wird. Dass dieses Stück ursprünglich ein Roman war und die Akteure ihr Tun und Lassen daher dauernd kommentieren, entspricht zwar einer aktuellen Mode, ist aber kein Problem.

Probleme wirft eher die Frage auf, was Baumgarten dazu veranlasst hat, Heinrich Manns Buch von 1904 als Vorlage zu wählen. Einen Hinweis gibt möglicherweise das letzte Bild, das aus dem Videobeamer stammt. Es zeigt aufgespießte Schmetterlinge, die über Modellautos zu Stukas beim Bombengriff mutieren. Das mag kulturkritisch gemeint sein und den Weg beschreiben sollen, den die bürgerliche Gesellschaft nimmt. Um es mit Sicherheit sagen zu können, bliebt aber auch dieses Bild zu vage. Doch anders als in den gut zwei Stunden zuvor ist das in diesem Moment ein Glück.

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