Ein Ärgernis der heutigen Kulturindustrie ist der Trend, ein Erfolgsprodukt mit Spin-offs, Prequels und dergleichen immer weiter auszuwalzen. Der Wunsch nach möglichst sicheren Profiten führt dazu, dass man lieber Altbekanntes weiterspinnt, als neue Stoffe zu produzieren. Dass das hierzulande irgendwann auch Karl May betreffen würde, war klar: Der Abenteuerschriftsteller aus dem 19. Jahrhundert ist in Summe aller Auflagen bis heute einer der meistverkauften deutschsprachigen Autoren. Von daher darf man getrost bemerken: Auf ein Prequel zu Mays Hauptwerk Winnetou hatte außer denen, die damit Geld machen wollen, nun wirklich niemand gewartet.
So gesehen ruft die Nachricht, dass der Ravensburger Verlag nun nach einem Shitstorm offenbar empfindlichen Ausmaßes die Buchversion zum Film Der junge Häuptling Winnetou zurückzieht, zunächst nur wenig Trauer hervor. Doch die näheren Umstände schicken die Kinnlade dann doch nach unten: Sofern etwa die Zeit die Internet-Kritik korrekt zusammenfasst, störte sich die nicht zuletzt daran, dass Mays Fantasiewelt, die hier fortgeschrieben wird, die brutale Landnahme der Weißen sowie den Kolonialgenozid an den Indigenen Nordamerikas ausblende.
Nun kann man dem fabelstarken Sachsen im strengen historischen Rückblick viel vorwerfen. Er schmuggelte etwa die „deutsch-französische Erbfeindschaft“ in Winnetous Jagdgründe, indem er die Apachen als „deutsch“ und die mit ihnen – zum Zeitpunkt des Schreibens immerhin tatsächlich – verfeindeten Kiowa spürbar als welsch und verschlagen zeichnete. Die Landnahme der Weißen aber blendet er gewiss nicht aus; die ganze Winnetou-Saga ist ja um das wortbrüchige, rücksichtslose und gewaltsame Eindringen einer Eisenbahngesellschaft in das Apachengebiet gestrickt. Dabei beschreibt er die weißen Landvermesser als unzivilisierte, gierige, meist betrunkene Wüteriche, vor deren tumben Rothautfresser-Sprüchen sich das Publikum ekeln soll. Im ausfransenden Kontext des originalen Winnetou-Plots lernt man zudem, den Ku-Klux-Klan zu verabscheuen. Eine rücksichtslose Erdölgesellschaft treibt schon bei May ihr Unwesen. Und selbst das nun inkriminierte Prequel – das man kaum gesehen haben muss und nun zunächst nicht mehr lesen kann – ist um das reale Problem gestrickt, dass die von den Weißen abgeknallten Büffel ausbleiben.
Karl May in der DDR lange tabu
Von einer „authentischen“ Darstellung des Lebens und Leidens der nomadischen Stämme in den Great Plains, die sich uns als „Indianer“ eingebrannt haben, war Karl May so weit entfernt wie diejenigen, die seine Story nun weiterzuspinnen versuchten. Wie weit aber kann man derlei von Abenteuer- und Jugendromanen verlangen? Bei allen Klischees, Leerstellen und Ungenauigkeiten sind Original wie Fortsetzung von einer überhöhenden Sicht auf das „Apachenleben“ geprägt. Spielt das denn gar keine Rolle? Ist eine positive Mythisierung der rassistischen Herabwürdigung wirklich so sinngleich, dass man Bücher verhindern muss?
Je länger man sich vergegenwärtigt, was da gerade geschah, desto mehr denkt man an die frühe DDR. Bevor man ihn um 1980 rehabilitierte, wurde der Urheber all dieser Geschichten, die den imperialistischen Kolonialismus nicht systematisch genug verdammten, landesweit etwa von Straßenschildern getilgt. Lag der ostdeutsche Hoch- und Poststalinismus hier einmal ganz richtig? Irgendwie scheint es, als wiederhole sich einmal mehr die Geschichte: erst als Tragödie – und dann eben als Prequel.
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