Ein heißeres Wahlkampfthema hätte sich niemand ausmalen können. Im Autoland Deutschland versinkt die Leitindustrie im Dieseldesaster. Mit organisierter Kriminalität hat sie Motoren manipuliert, Menschen vergiftet, Luft verpestet, Millionen Kunden geprellt. Hohe Milliarden-Strafen sind verhängt worden, weitere werden folgen. Der erste Automanager sitzt im Knast. Zugleich steht die Automobilindustrie weltweit vor dem größten Transformationsprozess ihrer Geschichte.
Dieselgate markiert den Wendepunkt des alten Verbrennungsmotors, dessen Ende in den Niederlanden, in Norwegen, Indien, Frankreich und Großbritannien bereits öffentlich ausgerufen und datiert ist. Alle sind aufgeschreckt. Die Bundestagswahl wird damit auch zu einer Volksabstimmung üb
ng über das Autoland Deutschland, über Umweltverbrechen und Krisenmanagement, Staatsversagen und Kumpanei.Kanzlerin Merkel hat sich lange gegen die dunklen Abgaswolken abgeschirmt. Noch während des großen Dieselgipfels jodelte sie lieber Südtiroler Berggipfeln zu. Zurück in Berlin trieb ihr politischer Instinkt sie dann doch ins verkehrspolitische Getümmel. Sie hat die Automobilindustrie sanft gerüffelt und sie hat – ein klares Signal an die Grünen – den Abschied vom Verbrennungsmotor als „richtigen Ansatz“ bezeichnet. Das war zu viel für die eng mit den Autokonzernen verfilzte Rest-Union. Merkels Duzfreund Matthias Wissmann, Chef des Automobilverbands, muss die Kanzlerin mehrfach angerufen haben. Jetzt redet sie wieder brav PS-kompatible Sätze, während CSU-Knurrhahn Horst Seehofer den Fortbestand des Verbrennungsmotors allen Ernstes im nächsten Koalitionsvertrag festschreiben lassen will. Als drohe dem fossilen Antrieb durch die grünen Horden schon morgen die Verschrottung.Und die SPD? Kann sie die Steilvorlage der Dieselkrise nutzen? Kann sie eine neue Kampflinie aufmachen und mit scharfer Attacke die Kanzlerin und ihren unmöglichen Verkehrsminister angehen? Denn die kriminellen Machenschaften der Industrie sind ja hausgemacht. Sie sind Folge einer Politik, die sich mit Haut und Haaren den Autobauern ausgeliefert hat. Die nie auf ernsthaften Kontrollen bestand. Deren Aufsichtsbehörde namens Kraftfahrtbundesamt tatsächlich nicht mehr ist als der Bettvorleger der Automobilindustrie.Die SPD eiertNein, die SPD eiert. Kanzlerkandidat Schulz fordert mit zunehmend kläffender Diktion eine europaweite Elektroquote, während Ex-Parteichef Sigmar Gabriel alles Menschenmögliche unternommen hat, um die Elektroquote in China, dem wichtigsten Absatzmarkt deutscher Autos, zu verhindern. Doppelter Rittberger mit dreifacher Schraube! SPD-Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries wirft sich den Autokonzernen an den Hals, sie will vor allem höllische Fahrverbote verhindern. Gleichzeitig schickt SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks ihr Umweltbundesamt vor, um klarzumachen, dass die auf dem Dieselgipfel beschlossenen Software-Updates für Betrugsmotoren längst nicht ausreichen, um das Keuchhustenklima deutscher Innenstädte nachhaltig zu verbessern. Links blinken, rechts reinfahren: So agiert eine Partei, deren niedersächsischer Ministerpräsident sich seine Regierungserklärung vom VW-Konzern genehmigen lässt.Das wird noch getoppt von der FDP. Die Liberalen sehen den Königsweg darin, doch bitte die Grenzwerte zu erhöhen. Sie seien „unverhältnismäßig“, sagt Parteichef Christian Lindner. Grenzwerte rauf, ein bisschen mehr Gift für alle und das ganze Theater wäre zu Ende. Eine kreative Herangehensweise, die sich mit den Vorschlägen deckt, die städtischen Messstationen für Umweltgifte weiter weg vom Straßenrand zu postieren. Alles manische Abwehrversuche gegen eine Krise, die zunehmend ideologisch aufgeladen ist. Das Grundrecht auf den röhrenden Zwölfzylinder muss um jeden Preis gegen den Umweltzirkus verteidigt werden. Todernst kommentiert die FAZ: Wer Dieselautos verbiete, der müsse auch Trittleitern verbieten, weil schon viele Menschen durch Leiterstürze zu Schaden gekommen seien. Die Hitze fordert Tribut.Zurück zu den Parteien: Die Linke ist bei Umweltthemen traditionell schwach und spielt die Dieselkrise eher halbherzig. Wer auf der Linken-Homepage den „Themen“-Button anklickt, sucht vergeblich nach dem Dieselskandal. Aber was ist mit den Grünen? Die Umweltpartei als großer Gewinner des verkehrspolitischen Totalschadens? Das Problem der Grünen heißt Winfried Kretschmann. Der im Landesvater-Modus einbetonierte baden-württembergische Ministerpräsident fühlt sich den schwäbischen Autokonzernen verpflichtet und hat die Partei mehrfach zurückgepfiffen. Seitdem haben die Grünen eine Beißhemmung. Während 80,6 Prozent der städtischen Bevölkerung ein schärferes Vorgehen gegen die Autoindustrie fordern, geben die Grünen artig Pfötchen. Dass es im Kern wegen der Übersterblichkeit durch die Luftverschmutzung um Tötungsdelikte geht, mag in der Partei kaum noch jemand aussprechen.Dabei tut man den Autokonzernen keinen Gefallen, wenn man sie bei diesem Thema schont. Das Festbeißen am Diesel ist suizidal. Der Rückstand auf die Pole-Position der Elektromobilität ist schon jetzt gewaltig. Nicht MAN, Mercedes oder Scania liefern heute Elektrobusse nach London und Mailand, sondern der chinesische Autobauer BYD. Die Märkte warten nicht, bis die Deutschen hinter ihrer Dieselwolke hervorkriechen.Fazit: Die Volksabstimmung zum Dieselskandal wartet noch auf eine Partei, die entschlossen die Rechte des Volks vertritt. Das Volk freilich weiß seit dem Jahre 1901: „Benzinmotorwagen sind zum ständigen Verkehre in den Straßen einer Großstadt wegen des starken Geräusches und Geruches nicht geeignet!“Placeholder link-1Placeholder link-2