Es gibt nichts Herausforderndes für ein Opernhaus als die Neuproduktion von Wagners Ring. Vier Stücke, 16 Stunden. Und dann bringt Corona alles durcheinander. Vor einem Jahr sollte der neue Ring des Nibelungen an der Deutschen Oper mit dem „Vorabend des Bühnenfestspiels“, dem Rheingold, ordnungsgemäß beginnen. Der erste Lockdown verhinderte es. In der Falsche-Hoffnungen-Phase im Herbst ritten deshalb zunächst die Walküren des zweiten Teils über die Berliner Bismarckstraße. Und jetzt erst, nach dem zweiten halbjährigen Vorstellungsverbot, der erste, kürzeste, pointierteste, witzigste Teil der Tetralogie, mit Test- und Maskenpflicht der Zuschauer und vor nur halb vollem Saal – wenn es denn der Kunst dient.
Ein Fest und z
der Kunst dient.Ein Fest und zugleich die Bestätigung: Oper funktioniert so richtig nur live. Der Regisseur, der Norweger Stefan Herheim, sieht unter solchen Bedingungen und angesichts der zu erwartenden materiellen Folgen der Pandemie schwarz: „Leute, wir sind hier zusammengekommen, um den Tod dieser Kunstform, den Tod der Oper gemeinsam zu feiern.“Nie war Wagner aktuellerDa hat er sich mit dem Richtigen zusammengetan. Das Monsterwerk des Pessimisten Richard Wagner handelt von nichts anderem als vom Untergang der kapitalistischen Gesellschaft. Die Götter spiegeln die Bürgerwelt. Erst durch das Schmieden des reinen, natürlichen Goldes zum Ring, wird es zum Instrument der Macht. Die Vergewaltigung der Natur und der menschliche Wahn: ein Werk, das der 48er-Revolutionär im Schweizer Exil schrieb. Nie war es aktueller als heute.Herheim, auch in Bayreuth gefeierter Meister historischer Analogien, gelingt eine grandiose Szene: Alberich, der die Liebe verflucht und das Gold missbraucht, (ehe es ihm wiederum die Götter rauben), betreibt seine unterirdische Fabrik Nibelheim mit Zwangsarbeit. Mit ihren Koffern schlurfen die Unglücklichen herein. Und als er den Tarnhelm aufsetzt, den er sich hat schmieden lassen, macht ihn nur die Einordnung in einen Trupp marschierender Stahlhelmnazis unsichtbar.Der Koffer ist neben dem Ring das trächtigste Symbol dieser Inszenierung. Auf der Bühne türmen sich bis zu zweitausend Koffer, formen Höhlen, verklumpen zu sprechenden Riesen, transportieren das Raubgold, stehen für Deportation, für Flucht. War nicht auch Wagner stets auf der Flucht: Erst vor der Polizei, dann vor seinen Gläubigern? Fühlt sich nicht auch die Oper von der Pandemie aus den Tempeln ihrer Kunst vertrieben? Selbst der Götter Sippe kommt niemals an. Wotan ist immer unterwegs, mal getrieben von Gattin Frickas Ansprüchen („Erwache, Mann, und erwäge!“), mal mit dem Speer als Wanderstab unbehaust im Chaos, das er selber schuf. Niemand kommt zur Ruhe und findet Frieden.Doch auch Herheims Bilder kommen nicht immer an. Vor allem den Anfang hat er verschenkt. Das irrsinnig schöne Orchestervorspiel, 136 Takte reines Es-Dur, ein Kanon aus Hörnerklang und wogenden Streichern – selbst zu diesem musikalischen Wunder, den Urzustand der Welt imaginierend, trampeln Flüchtende mit ihren Koffern über die Bühne. Das ist fatal, weil es gegen die Musik geht. Selbst die neckischen Rheintöchter auf ihrem Felsen am Grunde des Rheins gehen nun unter in der Masse der Statisterie – die ihre Fluchtklamotten abwirft und in eine Orgie verfällt.Dirigent Sir Donald Runnicles ficht das nicht an. Geschmeidig schwellen die Klangwogen an und ab. Auf der Bühne mögen Blitze dröhnen, Maschinen hämmern: Was aus dem Graben wallt, ist rund und voll und wahrt Balance „in prächtiger Glut“, wie Wotan sein neues, mit Raubgold bezahltes Eigenheim Walhall besingt. Als schlüge sich der Chefdirigent des Hauses auf die Seite der Götter. Doch wehe, das letzte Wort haben die Rheintöchter und weisen voraus auf die Götterdämmerung: „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut.“Aus dem durchweg wonniglichen Gesangsensemble ragt vor allem der Charaktertenor von Thomas Blondelle als Loge (der verschlagene Spindoktor Wotans) heraus, der seinem Chef die Schau stiehlt. Aber auch Derek Welton (Wotan) und Markus Brück (Alberich) können sich hören und sehen lassen. Ein faszinierender Hauptdarsteller ist das Bühnenbild (Stefan Herheim und Silke Bauer). Es besteht aus einem einzigen, riesigen, ständig in Bewegung gehaltenen, flatternden, fliegenden, fallenden, sich blähenden Tuch, das sich in alles verwandeln kann: Gebirge, Weltesche, Regenbogen, Produktionsfläche. Die Bühnentechnik liefert ein Meisterstück am Rande des Machbaren.Ach, hätte Herheims überschäumende Fantasie nur in Wagners Erzählung ein Maß gefunden. Doch Alberich, der lüsterne, liebesdurstige alte Mann, der schwarze Alb und Gegengott, den die Frauen verachten, muss zum weiß geschminkten Clown werden, seine Trompete zum Gold. Alles fein ausgedacht, aber zu viel des Guten. Das Symbolische braucht nicht noch andere Symbole obendrauf. Da wird der Regisseur zum Jongleur, der die Geschichte der Menschheit zum Zirkus verkleinert. Vor lauter Einfällen ist die zwingende Idee dahinter kaum mehr zu erkennen.Placeholder infobox-1
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