Rockstars

A–Z Motörheads Lemmy Kilmister ist Geschichte – der letzte echte Cock Rocker. Ozzy Osbourne trinkt Mangosaft und Axl Rose kämpft mit seiner Figur. Und Thomas Gottschalk?
Ausgabe 02/2016

A

Axl Rose Er hatte das, was man eine „schwere Jugend“ nennt. Kriminalität, Drogen, you name it. Ähnlich dem unlängst verstorbenen Lemmy Kilmister (➝ Lebenslang) bot ihm der Rock die Chance zum Aus- und Aufstieg. Seine attraktiv wirkende Erscheinung und die Küchenfreunde an das Betriebsgeräusch des famosen ESGE-Zauberstabs erinnernde Stimme begründeten den Erfolg von Guns N’ Roses mit Axl als Frontmann. Verstörend wirkten auf europäische Rockfans seine Kleidungsgewohnheiten: sagenhafte Auftritte in knappsten Schlüpfern mit starker Betonung des Gemächts (Rose ist Rechtsträger) in Verbindung mit weißen Socken. Und noch heute trägt er die auf kaffeewärmerartige Weise um den Kopf gebundene Bandana.

Auf seine Auftritte in engen Shorts werden wir bei der für dieses Jahr angekündigten Wiedervereinigung der Band hoffentlich verzichten müssen. Rose, inzwischen fast 53 Jahre alt und zuletzt etwas aufgedunsen, kämpft noch immer mit seiner Figur. Uwe Buckesfeld

C

Cock Rock Cock Rock, zu Deutsch: Schwanzrock, ist kein Musikgenre, sondern bezeichnet die aggressive Inszenierung der männlichen Sexualität. Zum Phallussymbol (➝ Phallus) wird die Gitarre ab den 60er Jahren, zum Beispiel bei Led Zeppelin. Der Griff in den eigenen Schritt ist bald obligatorisch. Cock Rock avanciert zum Synonym für Hard Rock und Heavy Metal, Bands wie Mötley Crüe und L.A. Guns bestanden aus Typen mit wüsten Mähnen und in engen Stretchjeans. Die Songtexte handeln von Männern mit Eiern und Frauen, die leicht zu haben sind. Die Grenzen zur Parodie sind hier fließend. Gerade in den extremeren Metal-Spielarten werden Cock-Rock-Posen durch Überzeichnung lächerlich gemacht. Die absolut überdrehte Version mit Vertretern wie Cliteater und Cock and Ball Torture nennt sich Porngrind. Diese Untergattung des Grindcore wird von derben, überspitzt pornografischen Texten geprägt. Ganz nach dem Motto der Band Lividity: „It’s not about satan, it’s about pussy.“ Tobias Prüwer

F

Fake Beim Interview benahm Lemmy Kilmister sich noch genretypisch unwirsch, warf Aschenbecher aus dem Fenster und dergleichen. Ich war froh, dass es nicht der Fernseher war. Nach dem Gespräch fragte er mich beiläufig, ob ich wisse, wo es in der Stadt Haschisch gebe. Na ja. Wir verabredeten uns also für den Abend in seinem Hotelzimmer im Bahnhofsviertel. „You pay the drugs, I pay the drinks.“ Als er öffnete, trug er einen Trainingsanzug. Seine Kluft hatte er, sauber gefaltet, aufs Bett gelegt wie eine Arbeitskleidung.Es gab neben Haschisch (➝ Gesundheit) eine Margarita nach der anderen, keinen Whisky. Er muss in seltsamer Stimmung gewesen sein. Als ich ihn als Großmeister dieser Sucht nach seinen Erfahrungen mit Kokain befragte, kicherte er nur und schüttelte den Kopf. Er mache sich einen Spaß daraus, an öffentlichen Orten dicke Linien aus feinem Baustaub oder Puderzucker zu hinterlassen. „It’s all fake. Just a joke, you now?“ Arno Frank

G

Gesundheit Audienz bei Ozzy Osbourne im Hotel Bayerischer Hof in München, Ende der 90er Jahre. Es sollte um seinen Festivalzirkus Ozzfest gehen. Das war, bevor er mit The Osbournes auch metalfremdem Publikum ein Begriff wurde. Ich erwartete einen dämonischen Halbirren, vielleicht noch mit Blut um den Mund von der Fledermaus, der er soeben den Kopf abgebissen hatte. Stattdessen empfing mich ein alter Mann mit Kajal um die Augen, dem der jahrzehntelange Alkoholmissbrauch das Sprachzentrum lahmgelegt hatte.

Noch verblüffender war das Obst, das überall herumlag. Tropische Früchte, einheimische, womöglich sogar außerirdische. Bei einem Glas Mangosaft erklärte mir Ozzy, dass die fruchtige Opulenz teil einer Vereinbarung mit seiner Frau Sharon sei, „she cares for my health“, und er ohne sie längst tot wäre. Arno Frank

L

Leder Modisch betrachtet teilt ein Graben die Welt des Rock: der Atlantik. Betrachtet man historische Bilder, sieht man drüben von schlechten Friseuren und enorm viel Haarspray entstellte Männer in sinnlosen Tüchern und bunten Spandexhosen, während in Großbritannien, dem eigentlichen Mutterland des Rock, die Akteure aus der motorradfahrenden Unterschicht kamen.Und sie gingen gleich in Lederbekleidung vom Parkplatz auf die Bühne. Noch heute fällt so die Unterscheidung zwischen britischen und US-amerikanischen Musikern des Genres leicht, bis ins hohe Alter: Der neulich verstorbene Lemmy Kilmister stand bis zuletzt für die glaubwürdige Wildheit des Rock, während der gealterte ➝ Axl Rose heute eher den postkarnevalistischen Kater am Aschermittwoch symbolisiert. Ungeklärt ist bis heute, wann in der Geschichte sich der britische Rock für Leder statt für die ebenfalls als Motorradkleidung übliche Waxcotton-Jacke entschieden hat. Uwe Buckesfeld

Lebenslang Das Trostlose, in der westdeutschen Provinz aufzuwachsen, war gar nicht, dass man als Kind mitgeteilt bekam, dass die geliebte Erzieherin Maria zwar sehr wohl nächste Woche heiraten würde, man aber leider, leider nicht zum Blümchenstreuen in die Kirche kommen dürfe (das sei aufrechten Christenkindern vorbehalten). Das Schlimmste waren die lokalen Bad Boys – Jungs, deren Attitüde (➝ Thomas Gottschalk) so wunderbar zu dem passte, was man aus Musikzeitschriften kannte. Und die tätowiert und ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gegend rockerten. Bei Klassentreffen sieht man, was aus ihnen geworden ist: dickbäuchige Autohausvertreter, die Pegida toll finden. Lemmy hat auch eine Menge Scheiße geredet, aber er hat sich dabei niemals verbogen. Er zeigte, dass es okay ist, aus der Kleinstadt zu kommen, wenn man nur sein ganzes Leben lang bereit bleibt, denen, die es verdient haben, in den Hintern zu treten. Elke Wittich

M

Männlichkeit Es gab Zeiten, in denen der ausgestellte Sex in der Rockmusik Jim Morrison, Jimi Hendrix und Mick Jagger vorbehalten war. Aber dann kamen die 90er. Und plötzlich standen vier Typen auf der Bühne, die sich zwischen ihren Songs gegenseitig in den Nacken pissten. Die Bloodhound Gang scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, ihre Männlichkeit mit infantiler Widerlichkeit zur Schau zu stellen: In The Bad Touch fordern sie dazu auf, ihr „Schlachtschiff“ zu lutschen, bei Auftritten schieben sie sich eine Banane in den Hals, bis sie kotzen.

2013 sorgte Bassist Evil Jared Hasselhoff für einen Eklat, als er sich die russische Landesflagge durch die Hose zog – einen Tag später urinierte er auf das ukrainische Gegenstück. Dahinter eine politische Haltung zu suchen, wäre vielleicht vergebens. Immerhin: Auf schlechten Provinzpartys ist die Bloodhound Gang die allgemein akzeptierte Alternative zum Schlager. Das reicht schon. Simon Schaffhöfer

P

Phallus Rockmusiker geben sich besonders maskulin, und so wurde der Phallus auch zu ihrem Symbol. Wenn etwa Jimi Hendrix Gitarre spielte, dann hatte das auch etwas von Onanie. Es war eine Frau, die dieses immer mittransportierte Phallussymbol (➝ Männlichkeit) zum Kunstobjekt umdeutete: Cynthia Plaster Caster, wie sie sich heute nennt, war in den 60er Jahren auf der Suche nach sexuellen Abenteuern und kam so als selbst ernanntes Groupie in die Hotelzimmer der Rockstars. Ein Kunstkurs an der Universität brachte sie auf die Idee, besondere Andenken an die Musiker zu sammeln: Gipsmodelle ihrer Penisse. Cynthia nahm also regelmäßig Maß. Die meisten Rockstars fanden die Aktion in Ordnung, es passte ja auch ins Selbstbild, und alle hatten ihren Spaß.

Cynthia Plaster Caster wurde unter den Rockern bekannt und zur namhaften Künstlerin, Stars wie Noel Redding oder Jello Biafra ließen sich verewigen. Unbestrittenes Highlight der Sammlung ist aber Jimi Hendrix. Benjamin Knödler

T

Thomas Gottschalk Wie schlecht es um den Rock ’n’ Roll bestellt ist, zeigt sich wohl am ehesten daran, dass mir dazu als Erstes Thomas Gottschalk einfällt. Weil an ihm ganz und gar nichts rebellisch, selbstzerstörerisch oder subversiv ist, im Gegenteil: Er ist einfach ein wahnsinnig netter Kerl, der jedoch bei jeder Gelegenheit seine enge Verbundenheit zum Rock ’n’ Roll mit kanonisch gewordenen Gesten darstellt. Gottschalk ist die Verkörperung dieses durch und durch verklärten Lifestyles. Fans des Genres, so stelle ich mir vor, fahren VW Passat.

Vor genau 15 Jahren wurde Gottschalk selbst einmal zum Rockmusiker und stellte mit seiner Band Die Besorgten Väter (unbedingt googeln!) die provokante Frage „What happened to Rock ’n’ Roll?“ Die schlichte Antwort: Thomas Gottschalk. Timon Karl Kaleyta

U

Umlaut Wieso schreiben sich so viele englischsprachige Metal-Bands mit Ü oder Ö? Den Trend setzten die Krautrocker von Amon Düül. Die Umlaute im Namen inspirierten Bands wie The Accüsed, Mötley Crüe und Motörhead. Die erste Metal-Band mit den sogenannten Röck Döts waren 1970 Blue Öyster Cult aus New York. Die Umlaute sollten den Bands eine Art „germanischen“ Touch und damit ein raues Image verleihen: Man sah die urwüchsige Kraft bereits im Namen.

Mötley Crüe ließen sich nach eigener Aussage von der Biermarke Löwenbräu zu den Punkten anregen. Queensrÿche nutzten das ungewöhnlich gepunktete Y, eine Ligatur aus dem Niederländischen, allerdings für eine abschwächende Wirkung. Beim Ursprungsnamen Queensreich befürchteten sie auf internationalen Bühnen Nazivorwürfe. Gleich mehrere Bands nennen sich konsequent gleich Umlaut, eine treibt es mit dem Namen Ümlaut auf die Spitze. Tobias Prüwer

Z

Zeremonie Stars sterben den Heldentod und sie leben durch Reliquien weiter. Sollte jemand auf die Idee kommen, noch einmal Frank Sinatra aus seinem Grab in Kalifornien zu hieven, wird er von dessen blauem Anzug sowie einer Flasche Jack Daniel’s begrüßt. Johnny Depp verkündete, er wolle in einem Whiskeyfass beerdigt werden, aus dem jeder Anwesende bei der Trauerfeier trinken soll. Womöglich hat er die Vorliebe für exaltierte Beerdigungszeremonien von seinem Freund Hunter S. Thompson. Für den ließ er eine überdimensionale Kanone bauen, um seine Asche in die Luft zu jagen – ganz nach dessen Wunsch. Kein Tod ohne materiellen Opferritus: Wertvolle Eichenholzsärge oder aufwendig verzierte Urnen werden in der Erde vergaben, um dort ungesehen und zur Miete zu verrotten. Es muss symbolisch noch etwas Wertvolles vernichtet werden, um zu verhindern, dass der Tote nicht so ohne Weiteres in Staub aufgeht.

Wie kann man Lemmy Kilmister angemessen zu Grabe tragen? Aus Angst vor einem zu großen Ansturm wurde die offizielle Trauerfeier live per Youtube-Stream übertragen, inklusive Facebook-Aufruf zum kollektiven Besäufnis. „Geht in eure Lieblingsbar oder euren Lieblingsclub, stellt sicher, dass ihr dort einen Internetanschluss habt und stoßt mit uns an.“ Saufen für das tote Idol? Man würde diese Spiritualität im Alltag irrsinnig finden. aber so bleibt vom Alkohol wenigstens was für einen selbst. Konstantin Nowotny

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