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US-Wahlkampf Fast täglich werden Umfragen veröffentlicht. Tatsächlich hat sich im Ranking zwischen Obama und Romney seit dem Sommer und den Wahlkonventen kaum etwas verändert
Anhänger der Demokraten ruft in Ohio zum "early voting" auf
Anhänger der Demokraten ruft in Ohio zum "early voting" auf

Foto: Jewel Samad / AFP

Schwächelt Barack Obama in Wahlumfragen, versinken die Demokraten in Depressionen. Rutscht sein republikanischer Kontrahent Mitt Romney ab, macht dessen Verteidigungsteam eine Verschwörung aus: Die Ergebnisse seien „verfälscht“, denn die Demoskopen seien Teil der liberalen Medienelite und wollten Obama zum Sieg verhelfen, schimpft man dann in Rupert Murdochs Fox-Fernsehen.

Nach dem 6. November werden die Umfragen Geschichte sein. Der psychischen Gesundheit zuliebe sollten politisch links Engagierte aber schon jetzt auf Konsum von Umfrageergebnissen verzichten und eine Fastenzeit einlegen. Täglich kommen widersprüchliche neue Zahlen auf den Markt. Das zeigt sich auch nach dem zweiten TV-Duell in dieser Woche, bei dem Obama mehr Format und Substanz attestiert werden, wenn auch nur in Maßen. 46 Prozent der befragten Zuschauer sehen Vorteile für den Amtsinhaber, 39 Prozent für dem Herausforderer, doch betonen alle Demoskopen, ein Abstand von sieben Prozent decke sich mit dem Fehlerbereich derartiger Blitzumfragen. Manche Meinungsforscher berichten von einem Patt. Oft weiß man nicht einmal, warum sich die Zahlen bewegen, wenn sie sich bewegen. Nach Obamas vermeintlichem Desaster in der ersten Fernsehdebatte verbesserten sich Romneys Werte in vielen Umfragen. Bei anderen – zum Beispiel in der Washington Post – änderte sich gar nichts.

Journalisten können beim Kommentieren die genehmen Werte aussuchen. Das mit den Umfragen wird ohnehin immer problematischer. Die Daten werden telefonisch erhoben, und die meisten Amerikaner haben offenbar keine Lust auf die Fragerei. Das Pew Center, ein renommiertes Institut, plauderte kürzlich aus dem sprichwörtlichen Nähkästchen: Bei nur neun Prozent der Anrufe hätten die Demoskopen ihre Fragen beantwortet bekommen. Vor 15 Jahren hätten noch 36 Prozent mitgemacht. Und dann ist da die Sache mit den Mobiltelefonen: Ein Drittel der US-Haushalte hat keinen Festanschluss mehr. Die Vorschriften verbieten bei mobilen Nummern automatisierte Anrufe, wie sie bei Erhebungen üblich sind. Die Klienten ohne Festnetz sind gewöhnlich jünger. Repräsentativ ist da wenig.

Unentschiedene Wähler

In einem Punkt sind sich Demoskopen weitgehend einig: Die allermeisten Wähler wüssten schon jetzt, für wen sie stimmen werden. In einem Dutzend Bundesstaaten mit „early voting“ hat die Stimmabgabe bereits begonnen. Präsidentengattin Michelle Obama etwa hat schon gewählt. Kabarettisten spotten über die Suche der Kandidaten nach dem „unentschiedenen Wähler“. Der ist nicht so leicht zu finden, auch wenn die TV-Networks nach den Debatten immer ein paar vor die Kameras zerren. Obama und Romney bieten nämlich starke Kontraste, obwohl Romney zwischen Vorwahlen und Hauptwahlkampf immer wieder mal neue PR-Akzente gesetzt hat: Seit Wochen tut er so, als hätte er den Superreichen nie Steuererleichterungen versprochen. Das Produkt Romney wird verfeinert.

Trotz der Abermillionen Worte der Analysten: Grundlegend hat sich im Wahlkampf nichts verändert, seit Romney im Sommer seine republikanischen Kontrahenten abgeschüttelt hat. Der Republikaner verlässt sich auf konservative weiße Wähler und versucht, die Rechtschristen bei der Stange zu halten. Da hat er nicht viel Spielraum, auch wenn die großen Geldgeber aus den Industrieverbänden Hunderte Millionen Dollar für Wahlwerbung locker machen. Irgendwann ist der Medienmarkt übersättigt. Die Spendenfreudigkeit des einen Prozents gibt freilich Rätsel auf: Denn Obama hat es ausgesprochen gut gemeint mit denen ganz oben. Seine Bilanz: Kapitalismus gerettet nach der tiefen Rezession, wenn auch mit dem Vorsatz, den Kuchen ein bisschen besser zu verteilen. Kostspielige Kriege im Ausland abgewickelt. Kein Banker im Knast, und es zeigen sich die ersten Knospen in den blühenden Landschaften amerikanischer Art.

Dass dies alles einem beträchtlichen Teil der ökonomischen Elite offenbar nicht reicht, lässt erahnen, dass sich Romney, seine Geldgeber und Anhänger ein ziemlich reaktionäres Amerika wünschen, in dem grundlegende soziale Errungenschaften gefährdet wären. John McCain, Obamas Rivale 2008, war im Vergleich dazu ein eher gemäßigter Republikaner. Entscheidend am Wahltag ist die Fähigkeit der Parteien, in einigen wenigen Swing States – Ohio, Colorado und Virginia – ihre Leute zu mobilisieren. Bis dahin heizen die Umfragen die auf Hochtouren laufende Medienindustrie. Auch wenn man die TV-Werbung schon lange nicht mehr sehen kann.

Konrad Ege schrieb zuletzt über die Aussperrung der Eishockey-Spieler aus der NHL

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