Sagenhafte Alleskönner: Frühstücksflocken von A bis Z
Status Wer klamm ist, soll Cornflakes essen, schlägt Kellogg’s vor. Die Flocken sollten schon den Sexualtrieb zügeln, bei Andy Warhol waren sie Klasse und für T. C. Boyle sind sie literarischer Stoff. Darauf eine Schale Overnight Oats! Das Lexikon
Froot Loops: Die moderne Variante der Getreideflocken – mit Fruchtaroma
Foto: Oleksandr Latkun/Imagebroker/Imago Images
A
wie Anti-Aphrodisiakum
Neben Thilo Sarrazins „Hartz IV-Menü“, mit dem sich jeder angeblich für 3,76 € am Tag vollwertig ernähren können sollte, erinnern die Spartipps des Kellogg’s-Vorstands an die Waschlappen- und Kaltdusch-Ratschläge grüner Spitzenpolitiker angesichts steigender Gaspreise. Spar- und Enthaltsamkeit liegen moralisch nah beieinander. Das kalte Wasser am Morgen war vor 140 Jahren auch ein Mittel, bei jungen Menschen den unzüchtigen Trieb zu unterdrücken. Von der Antike an hieß es: Zeugungssex ist Natur, Masturbieren unnatürlich. Diogenes tat es indes nicht diskret in der Tonne, sondern demonstrativ auf dem Marktplatz, und sprach dazu: „Könnte man doch auch den Bauch ebenso reiben, um den Hun
so reiben, um den Hunger loszuwerden.“ Der Arzt John Harvey Kellogg erfand in den 1890ern die geniale Lösung für Diogenes’ paradoxes Problem: Cornflakes. Stillen den Hunger, säubern den Darm und legen den Sexualtrieb lahm. Letzteres erwies sich als Quatsch, aber ich bleibe lieber beim 5-Minuten-Ei zum Frühstück. Michael Suckow Bwie BuchweizenWelches Getreide stünde lesenden Menschen besser zum Frühstück an als – genau: Buchweizen! Dabei handelt es sich gar nicht um ein Getreide. Der Buchweizen mit seinen kleinen dreieckigen Körnern gehört zur Familie der Knöterichgewächse und ist damit dem Sauerampfer verwandter als dem Weizen. In China und Japan schon seit Jahrtausenden kultiviert, ist sein Anbau in Europa seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Buchweizen ist glutenfrei, wirksam bei Diabetes, Krampfadern und Bluthochdruck und soll in gekeimter Form sogar die Hirnleistung steigern, was nicht nur lesenden Menschen sehr recht sein dürfte. Geschrotet und dann als Brei gekocht und aromatisiert mit Zimt und Honig hält er stundenlang vor und hat bei mir schon vor Jahren den Porridge aus Haferflocken (→ Haferpampe) vom Frühstückstisch vertrieben. Beate Tröger Cwie CornflakesverbotIn diesen inflationären Zeiten sollen Cornflakes als billige Dinner-Alternative zu Hühnchen herhalten? Die Idee der Kellogg-Millionäre erntete naturgemäß einen Shitstorm. Mir fiel ein Elternabend in der Kita ein, auch ein Cornflakesgate, nur anders. Vieles war schon geklärt: Mittagsschlaf, die Kinder allein anziehen lassen, Buffet fürs Frühlingsfest. Letzter Punkt: „Unser Cornflakestag“. Einmal im Monat (!) sollte es nun Frühstücksflocken geben. Viele Eltern nickten spontan. Eine Mutter meldete sich: „Mein Sohn isst aber keine Cornflakes!“ Sie klang, als sei es Crack. „Dann machen Sie eben mal ’ne Ausnahme“, sagte die Erzieherin, die sehr müde war. Es gehe ums Prinzip, beharrte die Mutter, ihr Sohn trinke ja auch keine Limo. Industriezucker! Da saßen lauter Prenzlauer-Berg-Eltern, doch die Mutter verlor die Cornflakestag-Abstimmung. Sie war die Spaßverderberin, aus reiner Ideologie. Sogar Ernährungsexpert:innen raten: Gebt Kindern (ab und zu) Zucker! Sie stürzen sich sonst irgendwann auf Gummibärchen. Maxi Leinkauf Fwie FilmeEin Mann isst Müsli II (2020) soll zeigen, wie lebensverändernd eine TV-Serie übers Verspeisen eingeweichter Flocken ist. Klingt faszinierend, aber leider findet sich dieser Kurzfilm von Nelson Olivier nirgends im Stream. Überhaupt existieren jenseits von Werbespots kaum Filme zum Thema. Willkommen in Wellville (1994) stellt die Erfindung der Cornflakes durch die Gebrüder Kellogg ins Zentrum (→ Romanheld). Sie betreiben ein auf strenge Askese ausgelegtes Sanatorium, bauen auf suspekte Heilmethoden und rühren Schonkost zusammen. Lustiger gehts im Kinderfilm Die Jönsson-Bande und der Cornflakesraub (1996) zu. Eine Kinderbande bricht in eine Cornflakesfabrik ein, um an begehrte Sammelbilder auf den Packungen heranzukommen. Nebenbei retten sie ein Dorf vor dem Abriss. Perfektes Popcorn-, äh: Cornflakeskino. Tobias PrüwerHwie HaferpampeEinfacher kann ein Frühstück kaum sein: Haferflocken, Flüssigkeit, Hitze. Doch was vor wenigen Jahren noch als geschmackloses Arme-Leute-Essen galt, hat einen bemerkenswerten Imagewandel durchgemacht. Ohne Rebranding ging das freilich nicht: Von Haferbrei oder Haferschleim spricht keiner mehr, sondern von Porridge oder, wem selbst das zu sehr nach britischer Arbeiterklasse klingt, von Oatmeal. Die Hipsterisierung der Getreidepampe ist längst in eine neue Spießigkeit umgeschlagen: Selbst im Bordbistro der Deutschen Bahn kann man sich mit dem Brei versorgen lassen. Warum ist Porridge mit einem Mal so populär? Das liegt sicherlich an der simplen Zubereitung. Zugleich ist der Haferbrei ein maximal individualisierbares Produkt. Ob man ihn mit Obst, Honig, Nüssen, Ahornsirup oder einfach pur isst, Porridge bietet schon morgens die Möglichkeit der Selbstwerdung. Und was passt besser in unsere Zeit als ein Gericht, das Individualität suggeriert, aber immer aus grauer Pampe besteht? Leander F. BaduraRwie RomanheldWelcher der beiden die Cornflakes erfunden hat, John Harvey Kellogg oder sein jüngerer Bruder William Keith, lässt sich nicht endgültig klären. Sicher ist, dass Will Kellogg den besseren Geschäftssinn hatte. Es war seine Idee, das knusprige Maisprodukt mit Zucker anzureichern. Das bis dahin eher geschmacksneutrale Gesundheitsfutter wurde zum beliebten Frühstücksersatz. Die Wege der Brüder trennten sich. Will machte ein Vermögen, während John seinen lebensreformerischen Idealen treu blieb. Doch Vegetarismus und Enthaltsamkeit waren kein Rezept für ökonomischen Erfolg. 1938 musste Kelloggs Sanatorium in Michigan mangels zahlender Gäste schließen. Als Schauplatz von T. C. Boyles Roman Willkommen in Wellville (→ Filme) von 1993 genießt der Gesundheitstempel allerdings, wie sein Betreiber, bis heute literarischen Nachruhm. Joachim FeldmannSwie Seitenbacher-SpotWenn Willi Pfannenschwarz in den Keller geht, tut er etwas, wovon ihm jeder Marketingprofi abraten würde. Ähnlich wie sich viele die Haare rauften, als Benetton in den Neunzigern mit den beeindruckend verstörenden Fotografien von Oliviero Toscani warb – und damit bis heute im Gedächtnis blieb. Und darum geht es bei Werbung: Die Marke soll im Gedächtnis des Homo consumens bleiben, während dieser von allen Seiten mit Kaufanreizen überflutet wird. Der Erfolg kommt daher, eine Sache ganz anders zu machen. Wenn Unternehmer Pfannenschwarz sich also in seinem Keller in eine kleine Kabine, die als Tonstudio dient, setzte und seine Werbespots dort selbst einsprach und produzierte, schuf er etwas, das zwischen Originalität und Peinlichkeit lag. Aber er verlieh seinem Produkt eine ganz eigene Note. Obgleich die meisten Menschen Pfannenschwarz’ Radiowerbespots als eher nervig beschreiben würden, tun sie anschließend aus der Sicht von Pfannenschwarz genau das Richtige: Sie greifen zu einer Müslimischung von Seitenbacher. Jan C. Behmann Üwie ÜbersetzungWenn Menschen in den USA arglos ihre „cereals“ mümmeln, beginnen Übersetzer:innen zu grübeln – zumindest wenn es sich um literarische cereals handelt. Wie kann man das ins Deutsche übertragen? Meist steht ja nicht einfach der Akt des Essens im Zentrum, sondern es soll eine bestimmte Atmosphäre heraufbeschworen werden: Harmonie, bevor die Katastrophe losbricht. Oder es geht um die nonchalante Charakterisierung der Figuren: zuckersüchtig, Gesundheitsfanatiker? „Zerealien“? Viel zu steif, wenn Kinder im Spiel sind. „Müsli“ für übergewichtige Rednecks? Produktnamen oder Firmennamen? „Kellogg’s“ oder „Loops“? Aber ist eine Markennennung in juristischer Hinsicht in Ordnung? Inzwischen sagt man im Deutschen „Frühstücksflocken“, das geht in seiner Neutralität schon. Aber so richtig sexy ist das nicht, oder? Kirsten ReimersWwie WarholAndy Warhol behauptete, dass er 20 Jahre lang jeden Mittag eine Dose Campbell’s Tomato Soup gelöffelt habe. Und auch sein Kellogg’s-Konsum soll gewaltig gewesen sein, wenn er nachmittags seinen Tag begann. Warhol war Zeit seines Lebens ein Verächter der verfeinerten Küche – und er liebte Getreideflocken. Seine Kellogg’s-Boxen aus Holz aus dem Jahr 1964, gefertigt in den Originalmaßen der Papp-Vorbilder, diese Trompe-l’œil-Skulpturen sind nur ein Beispiel einer ganzen Gruppe von Box-Arbeiten, die Konsumgüter imitieren. Es gibt auch Boxen von Brillo, Mott’s-Apfelsaft, Del-Monte-Pfirsichen, Campbell’s-Tomatensaft und Heinz-Ketchup. Der Hintergrund dieser revolutionären Werke ist auch Warhols Liebe zu der Einfachheit von Speisen. Luxus ist ihm fremd, dafür schätzt er Junk-Food – ein Bekenntnis zu seiner einfachen Herkunft, als Kind wuchs er im Armenviertel Soho in Pittsburgh, Pennsylvania auf. Kellogg’s und Tomatensuppen zu verspeisen ist für ihn eine Klassenfrage. Am liebsten esse er: „Just plain food. Plain American food“, sagte er Journalisten. Marc PeschkeZwie ZenVielleicht ist es ja auch eine Sache des Selbstgefühls. Anders frühstücken als die Großeltern, die Brötchen aus Weißmehl, Butter, Rührei, Wurst, Marmelade in sich hineinstopften. Man sah’s ihnen irgendwie auch an. Eine Entscheidung für gesunde Lebensweise. Ein bisschen stolz darf man sein auf die neue Genügsamkeit, die dem Genuss nicht entgegensteht, im Gegenteil. Genuss ist ja allein schon, unter den zig Sorten Frühstücksflocken im Supermarktregal eine ganz eigene zu haben. Joghurt oder Milch? Und welche Fettstufe? Auch die Herkunft ist nicht egal. Ebenso die Tierhaltung, wenn man nicht gleich zu Hafermilch greift. Die Großeltern hätten sich nie vorstellen können, welche Rolle ein gutes Gewissen (→ Cornflakesverbot) beim Frühstücken spielt und dass schon das Anrühren von Müsli glücklich machen kann. Der Achtsamkeit wegen. Irmtraud Gutschke
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