Schlafmythen von A–Z

Lexikon Vielen Menschen erschwert das Aufstehen und Heimkommen im Dunkeln den Schlaf. Aber was hilft? Apps, Bananen, Rituale? Unser Wochenlexikon räumt mit müdem Halbwissen auf
Ausgabe 50/2019
Schlafmythen von A–Z

Foto: Leonard Freed/Magnum Photos/Agentur Focus

A

Alter In den Gesundheitsratgebern wimmelt es von Weisheiten über das Schlafverhalten älterer Menschen. Es sei auch dem Mangel an körperlicher Bewegung und geistiger Beschäftigung geschuldet, wenn sich der Schlaf nicht einstelle, erklären die allwissenden Experten. Aber eigentlich ist es so, dass der Schlaf sich anders über den Tag verteilt. Es ist nicht mehr nötig, auf den Punkt hellwach zu sein, optimiert für die nächste Herausforderung des Lebens.

Im Alter werden die Einschlafhilfen (Optimierung) differenzierter, weil langjährige Erfahrung dahinter steht. Ich höre etwa beruhigende Krimis. Das macht nach einer Weile angenehm schläfrig. Erst gestern bin ich eingeschlafen, als ein Missetäter dazu ansetzte, sein Opfer mit dem Staubsauger zu meucheln. Als ich aufwachte, hatte ich den Knopf zwar noch im Ohr, wusste aber nicht, wie er das technisch gelöst hat. Heute Nacht kriege ich das noch raus und schlafe danach sicher beruhigt ein. Magda Geisler

D

Durchschlafen Sechs bis acht Stunden Schlaf sind gesund, alles andere verkürzt laut Forschung das Leben. Aber muss es am Stück sein? Studien des Historikers Roger Ekirch legen etwas Überraschendes nahe: Nämlich dass Menschen bis zur Industrialisierung in zwei Schichten schliefen (Zyklus) und dazwischen für ein oder zwei Stunden im Bett lagen, beteten, sich unterhielten, Sex hatten – oder sich, wie Don Quijote, Gedanken um die Welt machten. Oft konnte der Antiheld nicht mehr einschlafen, weil ihn seine Sorgen wach hielten. Sein Begleiter Sancho Panza hingegen schlief durch, weshalb ihn Don Quijote der „Gleichgültigkeit“ beschuldigte. Heute unterliegt auch der Schlaf der Effizienz. Spätestens mit der industriellen Revolution und der Erfindung des elektrischen Lichts ist das Herumliegen im Bett zum „Zeitverlust“ geworden. Timo Reuter

L

Lernen Der Traum vom Lernen im Schlaf zerplatzt. Sich mit Motivationsbotschaften, Vokabeln oder Gesetzestexten vom Band berieseln zu lassen, verbessert nicht die Karrierechancen, macht einen nicht sprachmächtiger oder zum Juristen. Auch das Lehrbuch unterm Kopfkissen taugt nicht zur bequemen Informationsaufnahme. Und doch ist etwas dran: Schlaf fördert wirklich das Lernen.

In dieser Ruhephase wandern Erinnerungen aus dem Zwischenspeicher des Hirns (Hippocampus) ins Langzeitgedächtnis. Man verinnerlicht das Gelernte besser, gewinnt – nach dem Aufwachen – neue, tiefere Einsichten in den Stoff. Das betrifft nicht nur Informationen, auch motorische Fähigkeiten lassen sich steigern, wenn man „drüber schläft“. Das nutzen Sportler und Musiker aktiv. Wichtig ist, dass man nach dem Lernen oder Üben ausreichend schläft. Das Mantra der Mächtigen, „Ich brauche wenig Schlaf“, zeugt nicht nur von Dummheit, sondern macht tatsächlich blöd – weil nichts hängen bleibt. Übrigens zeigen auch wackelige Hilfsbegriffe wie „Zwischenspeicher“, dass auch die Hirnwissenschaft noch mal drüber schlafen muss. Tobias Prüwer

M

Mittagsschlaf Ich habe viel mit Schriftstellern zu tun. Fast alle teilen eine Leidenschaft, ohne die ihnen die Arbeit fast unmöglich scheint: einen gepflegten Mittagsschlaf (Rituale). In der Arbeitswelt herrscht ein verzerrtes Bild von „Leistung“. Mein Freund Mangold hält seine Mitarbeiter dazu an, am 24. Dezember bis 17 Uhr zu arbeiten, weil das ja ein normaler Werktag sei. Andere glauben wirklich, man könne nach dem Mittagessen „arbeiten“, ergo: leisten. Das kapitalistische Wunschdenken erodiert die wissenschaftliche Erkenntnis. Was ich als Arbeitgeber gelernt habe: Menschen brauchen Ruhepausen. Egal, ob das nun ein Powernap, ein Spaziergang oder Sudoku ist: Es hilft. Jan C. Behmann

N

Nachholen Ein Mythos raubt den Müden seit Ewigkeiten den Schlaf: Einmal verpasste Erholung sei nie nachholbar, man sei zu einem kürzeren Leben verdammt. Zum Glück entwarnt die Wissenschaft: Schlafmangel lässt sich sehr wohl ausgleichen. So kann man am Wochenende ausschlafen und die mentalen wie sichtbaren Augenringe der Arbeitswoche ausbügeln. Im Grunde ist auch der mittägliche Powernap (Mittagsschlaf) am Schreibtisch nur nachgeholter Schlaf. Etwas anderes konnte aber nicht entzaubert werden: Vorschlafen funktioniert nicht. Am besten bereitet man sich auf kommende Belastungen vor, indem man genügend Nachschlafzeit einplant. Tobias Prüwer

O

Optimierung Neue Technologien bringen neue Formen der Abhängigkeit. Brauchen wir wirklich ein Smartphone oder Tablet für guten Schlaf? Lange hieß es, elektronische Geräte sollten aus dem Schlafzimmer verbannt werden, weil das Displaylicht die Produktion des Schlafhormons Melatonin hemme.

Nun sind Schlaf-Apps trendy. Die Nachfrage ist groß: Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin leiden etwa 25 bis 30 Prozent der Bundesbürger an Schlafproblemen. Von der „Sleep-Cycle-Clock“, die die Bewegungen des Schlafenden aufzeichnet und in der richtigen Phase wecken soll, bis hin zu Meditations-Apps, die beim Einschlafen helfen – der Markt ist gesättigt! Hipster-Hype? Die Meinungen zu Schlaf-Apps gehen auseinander. Manchem helfen sie, anderen nicht. Immerhin: Besser als die Pharmaindustrie, die Pillen zum Schlummern propagiert, sind sie allemal. Alanna O’Riordan

P

Phasen Ein gesunder Schlaf vollzieht sich in fünf Stadien. In der Einschlafphase verringert sich der Blutdruck, die Atmung wird langsamer, die Gliedmaßen werden schwer. Hypnotiseure nutzen diesen Effekt umgekehrt und schläfern durch Suggestion ein. Die Hälfte der Nacht verbringen wir in der Leichtschlafphase, hier sind wir noch gut zu wecken. In den mittleren und sehr tiefen Tiefschlafphasen ist das schwieriger. Hier zuckt kein Muskel mehr und wir reagieren nur noch auf die akustische Gewalt eines Weckers.

Dazwischen liegt die mystische REM-Phase, in der sich unsere Augen und manchmal auch der Rest des Körpers schnell bewegen (rapid eye movement). Sie sieht von außen nicht immer nach Erholung aus, Träume finden nur hier statt. Ein Zyklus dieser fünf Phasen dauert 90 Minuten. Das ist eine gute Länge für einen Mittagsschlaf, denn diese anderthalb Stunden hören mit der Leichtschlafphase auf, aus der man sanft erwacht. Konstantin Nowotny

R

Rituale Schon durch die gelegentlichen Aufträge von diesem Organ hier lese ich doch hin und wieder das eine oder andere Buch. Allerdings schlafe ich nach anderthalb Seiten bereits ein. Gleiches überkommt mich beim Anschauen von an sich heiß erwarteten Serien. Nach wenigen Minuten gehen die Lichter aus.

Wenigstens für das Lesen habe ich eine Lösung gefunden: Zwischen 13 und 14 Uhr anfangen, nach besagter Seitenzahl ohne Widerstand einschlafen und nach dem Aufwachen weiter lesen. Dann ist nahezu unbegrenztes, hellwaches Lesen möglich. Der Schlaf übrigens dauert immer exakt 20 Minuten. Was banal klingt, ist mittlerweile zum festen Bestandteil meines Tages geworden: Der Schlaf als Wachmacher. Marc Ottiker

T

Träume „Kommen Sie wieder, wenn Sie nicht mehr träumen“, soll die Familienhausärztin geantwortet haben, als unsereins über unangenehme Alpträume klagte. Recht hat sie: Träumen ist gesund, meistens. Traumata können Ursache von Alpträumen sein, in der Regel sind sie unbedenklich. Träume treten nur in der REM-Phase auf, in ihnen verarbeiten wir Erlebtes. Und verarbeiten, das weiß jeder Psychotherapeut, ist besser als verdrängen. Aber: Wer gut schläft, erinnert sich nicht an seine Träume. Wird der Waschgang des Gehirns unterbrochen, bleibt eine Spur. Kinder können davon irritiert werden. Dagegen hilft: Darüber sprechen, die Angst nehmen, ein Traumtagebuch führen. Man ist dem Traum nie ganz ausgeliefert, das Drehbuch ist im Kopf – und veränderbar. Konstantin Nowotny

V

Vollmond behindert den Nachtschlaf, auch wenn Wissenschaftler das leugnen! Der steinerne Himmelskörper, der nicht nur die Gezeiten steuert, sondern bisweilen den weiblichen Zyklus, ist ganz klar verantwortlich für quälendes Bettwälzen. Wahrscheinlich ist es die hell erleuchtete Mondscheibe, die die nächtliche Melatoninproduktion des Körpers beeinträchtigt. So ist es ja fast taghell in manchem Schlafzimmer. Früher wurde der volle Mond zudem für Somnambulismus verantwortlich gemacht. Immerhin begünstigen Lichtreize das Schlafwandeln. Kein Wunder also, dass der Wandler als Mondsüchtiger galt, zumal in Zeiten, als der Mond die einzige nächtliche Lichtquelle war. Marlen Hobrack

W

Warme Milch Nicht nur Liebe geht durch den Magen, nein! Auch das Einschlafen ist lediglich eine Frage der richtigen Mahlzeit vor dem Zubettgehen, wird es doch ebenso von Hormonen gesteuert. Jedenfalls lehren uns das die Apologeten der Schlafdiätetik.

Essen Sie Bananen! Deren hoher Kalium- und Magnesiumanteil wirkt als Muskelrelaxans. So schlummern Sie entspannt wie ein Baby (von wegen, Babys schlafen nie nie nie, das weiß man aus Erfahrung). Obendrein enthält die Banane Tryptophan, das die Bildung der für den Schlaf wichtigen Hormone Serotonin und Melatonin anregt. Dasselbe gilt für Milch. Warm genossen, mit Honig versüßt, oder mit Kakao zur Kalorienbombe überzuckert, dient die abendliche Kur zwar nicht der Figurverschlankung, aber hoffentlich dem Hirn. Eine Ausnahme: Laktoseintolerante dürften die milchvermittelte Schlummerlösung eventuell mit Diarrhoe und Flatulenz bezahlen. Aber ist das nicht ein kleiner Preis für schönsten Schlaf und angeregte Träume? Marlen Hobrack

Z

Zyklus Wenn Menschen häufiger als zweimal am Tag schlafen, spricht man von polyphasischem Schlaf. Wer so etwas macht? Nun ja, zum Beispiel Säuglinge, bei denen das normal ist, aber auch Erwachsene. Langstreckensegler etwa dürfen aus Sicherheitsgründen nicht lang schlafen. Astronauten können nicht, weil sie dabei unbequem angeschnallt sein müssen. Dann wären da noch Menschen, die aus Ehrgeiz ihre Schlafphasen minimieren, wie angeblich Leonardo da Vinci oder Nikola Tesla.

Die Idee: Möglichst viele REM-Phasen in möglichst kurzer Zeit schaffen; zum Beispiel durch sechs Mal 20 Minuten Schlaf täglich, also zwei Stunden. Es soll Menschen geben, die das erfolgreich praktizieren. Langzeitforschungen gibt es noch nicht, aber Schlafforscher bezweifeln, dass das Fehlen der Tiefschlafphase gesund sein kann. Sophie Elmenthaler

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