A wie Auslage
Auf Instagram kann man noch einen Blick auf die finale Schaufenstergestaltung von Büromarkt Hansen am Hamburger Schulterblatt werfen, bevor der Laden Ende März nach 92 Jahren schloss. Hansens Notizblöcke A6 begleiteten mich von der Journalistenschule an zu jedem Termin, und wie viele Pentel-Stifte ich dort gekauft und wieder verloren habe, will ich nicht wissen. In die Auslage schafften es solche Klassiker nie. Im Schaufenster lagen Schreibsets beliebter Pferdebuchreihen oder Flaschen mit Sprüchen und jahreszeitlichem Dekor, so blieb es bis zum Schluss. Als hätte jemand Dudens Universalwörterbuch in ein Bibi-und-Tina-Poster eingeschlagen. Ein bisschen schräg, aber am Ende doch sympathischer als Dudens Universalwörterbuch im Kalbsledereinband. Diese Art Auslage gibt es natürlich auch: ein Fächer aus → Caran-d’Ache-Kugelschreibern, ein Montblanc-Füller, im Etui präsentiert, dazu eine Schweizer Dokumententasche, Herstellermotto „Veredeln Sie Ihre Arbeitszeit“. Christine Käppeler
B wie Beginner
„Stift her“, fordert ein apodiktischer Song von Absolute Beginner. Darin sprechsingen sie eine lange Liste von Dingen herunter, die die Fans unterschreiben sollen. Lyrischer kommt das Schreibgerät bei dem Rapper Lish à Bon zum Einsatz: „Hier ist der Unruhestift, der Ruhe sucht und findet in nem Stift. / Die Tinte verbindet mich mit meinem möglichen Ich, / gießt Momentwahrheiten in Schrift, bevor die Erinnerung verwischt.“ Und bei Darell werden, warum auch immer, Stift und Papier gar „eins“. Etliche Rapper mit Pennälerhumor haben „noch Tinte auf dem Füller“. Gar zur „Waffe“ respektive „MG“ werden Stifte bei Joshi und Kontra K. Logisch, dass das Bild der Patrone im Kugelschreiber (→ Konverter) mehrfach bemüht wird. Auch Van Morrison rät zum Schreibgerät: „You’ve got to live by the pen / ’cause it’s mightier than the sword.“ Tobias Prüwer
C wie Caran d’Ache
Womit aber arbeiten Architektinnen, welche Stifte nutzen Designer? Tadao Andō etwa zeichnet mit → Faber-Castell. Beliebt ist auch der schlichte Sign Pen S520 der Tokioter Firma Pentel, ein robuster Faserschreiber-Klassiker seit 1963. Einer US-Firma dagegen wurde ihr Werkstoff zum Verhängnis: Der Flo-Master, mit dem etwa der Oscar-prämierte Setdesigner Ken Adam Vorlagen für Kubricks Dr. Seltsam skizzierte, enthielt zu viel Blei. Rotring, begründet 1928 in Hamburg, gilt als Innovator für Schreibtechnik; der „Rapidograph“ beweist das bis heute. Günstig und nachhaltig sind die Pointball-Kulis von Stabilo. Und seit 1915 entsteht in den Genfer Werkstätten von Caran d’Ache elegantes Schreibwerkzeug, beliebt ist die Nr. 849 mit sechseckiger Hülle. Haltbarer als digitale Renderings sind solche Zeichnungen zudem: Vor 20 Jahren tauchten in einem Berliner Luftschutzbunker Skizzen und Planungen von 1929 für den Alexanderplatz auf. Eine Floppy Disk hätten diese Liegezeit kaum überstanden! Bettina Schneuer
F wie Faber-Castell
Hässlich fand so mancher das Schloss des Stifte-Magnaten Faber-Castell, in dem die internationale Presse anlässlich der Nürnberger Prozesse einquartiert worden war. Die Liste der Gäste liest sich wie das Who’s Who der damaligen Presse- und Literaturszene, nur Deutsche hatten zunächst keinen Zutritt. Was man tagsüber hörte und sah, musste abends verarbeitet, mitunter überkompensiert werden. Stunde null – das Camp geriet auch zu einem großen sozialen Experiment inklusive wilder Partys jenseits ideologischer Hürden, wie Uwe Neumahr in seinem tollen Buch Das Schloss der Schriftsteller (2023) darlegt, darin auch vom Erfolgsdruck unter den Reportern erzählt. So war trotz der Dichte an Prominenz Namedroppingbeliebt. Hemingway hat sich aber wohl doch nie, ein „Frottiertuch um den Bauch“, über lokale Weinsorten beschwert. Katharina Schmitz
H wie Handke
Für den Literaturnobelpreisträger Peter Handke war es eine Entdeckung, eine neue Art des Schreibens, die bei ihm gleichbedeutend mit seiner Existenz ist: das Schreiben mit der Hand – mit Bleistift oder Kuli. Aber auch mit orangefarbenen Mitsubishi-Finelinern sieht man ihn. Tausende Schreibgeräte sind es wohl, die er über die Jahrzehnte benutzt hat, um seine Bücher und Hunderte Notizhefte zu füllen. Handke wollte in die Natur, und lange vor Smartphones war das Schreiben mit Hand und Papier die einzige mobile Option. Und da Handke selbst und seine Texte eine Verschmelzung mit der Natur sind, wirkt der Bleistift bis heute als Zündfunke seiner literarischen Existenz. In seinem Haus in Chaville bei Paris erspäht man unzählige Schreibgeräte (→ Werbegeschenke); sie liegen überall, auch im Garten, wo sie sich mit der Natur wieder vereinen. Auch einen Buchtitel widmete er seinem Urwerkzeug: Die Geschichte des Bleistifts. Es ist eine textliche Skizze menschlicher Gegenwartsexistenz. Jan C. Behmann
K wie Konverter
Handschrift, so die Psychologin und Grafologin Maria Paul-Mengelberg, ist „die Auseinandersetzung der Schreibbewegung mit einem vorgegebenen Buchstabensystem, der Schreibvorlage, auf einer Fläche mit Hilfe einer Schreibspur, nämlich dem Strich“. Dieses Wechselspiel vollziehe ich am liebsten mit Füllfederhaltern. Damit Letztere befüllt werden können, mit Tinten, die verlockend „Verdigris“ oder „Burnt Orange“ heißen, sind sie im Idealfall mit Konvertern ausgestattet. Die wiederauffüllbaren Patronen, in denen durch ein Vakuum Unterdruck entsteht, das Tinte ansaugt, sind umweltfreundlicher als Einwegpatronen aus Plastik. Zudem kann man sich mit Fläschchen der Lieblingstinten (→ Beginner) bevorraten und muss sich nie mehr sorgen, ob die bevorzugten Farben auch wirklich bis zum Lebensende reichen werden. Beate Tröger
R wie Ratzefummel
Über die Herkunft dieser Bezeichnung für den Radiergummi sind sich selbst Sprachwissenschaftler uneins. Schülerjargon – gar aus Langweile entstanden? Was tust du, wenn eine Unterrichtsstunde sich dehnt und dehnt und dehnt und dehnt, weil da nichts Neues ist? Spannende Lektüre hervorzuholen, würde auffallen. Ein Block mit → Zeichenpapier auch. Ein aufgeschlagenes Schulbuch dagegen ist unverdächtig. Wer sich Notizen macht, wirkt fleißig.
Wie gern habe ich Pferde gezeichnet! Aber dann erfand ich für mich dieses Spiel: Ich stellte mir vor, wie mein Leben wäre, wenn ich jeden Tag einen anderen Beruf ergreifen würde. Als Lehrerin malte ich mich ins Schulbuch, als Zirkusartistin (unmöglich leider bei meinen Sportnoten), als Ärztin, als Tierpflegerin … Dabei war der Radiergummi mindestens so wichtig wie ein weicher Bleistift. Denn es ging ja um einen zeitlichen Ablauf. Ich musste mich wegradieren, um in eine neue Rolle zu schlüpfen. So entstanden im Buch zuerst graue, dann dünne Stellen, und manchmal gab es ein Loch. Irmtraud Gutschke
S wie Spitzer
Die Kunst, einen Bleistift zu spitzen von David Rees, so denkt man, muss das Werk eines Besessenen sein: 224 Seiten verliert der US-amerikanische Autor über das, nun ja, möglichst perfekte, zur Kunst erhobene Spitzen von Bleistiften mit verschiedenen Spitzer-Modellen. Er ehrt damit einen Gegenstand, der selbst perfekt ist: dieses schlichte Ding aus Holz, Grafit, Ton und Lack. Ist es Nonsens? Ist es große Philosophie? Dieses extrem schräge, skurrile, hintersinnige Buch langweilt nicht und gefällt auch in seiner schönen Gestaltung (→ Auslage). Es ist die Bibel der Bleistift-Spitzerei – eine „theoretische und praktische Abhandlung für Unternehmer, Künstler, Architekten, Juristen, Schriftsteller und Handwerksmänner“, so der Untertitel. Ach ja, vor dem Spitzen muss man sich lockern. Mit Übungen. Auch wie das geht, erklärt Rees in seinem herrlich spleenigen Buch. Marc Peschke
W wie Werbegeschenke
Die nützlichsten Werbegeschenke sind Kugelschreiber. Nicht zu kleine Frisbees, billige Gummibärchen, Schlüsselanhänger – oder Kondome. Niemand will beim Sex an RTL denken. Aber mit welchem Kuli ich Einkaufslisten oder To-do-Zettel bekritzle, ist mir herzlich egal. In Jackentaschen, Rucksäcken und auf dem Schreibtisch tummeln sich unzählige Kugelschreiber, die Unternehmen und Vereine mit ihrem Logo bestückt haben. Deutsche Post, Rotes Kreuz, ADAC, Greenpeace, Lotto Bayern und der alte Hausarzt in Göttingen – sie alle haben mich beschenkt. Zum Inventar zählen auch Schreibwaren von Organisationen, die weit unten auf meiner Sympathieskala rangieren: die Junge Union Berlin, die Gewerkschaft der Polizei und RTL. Solang’s keine Nazis sind: Hauptsache, ihre Kulis schreiben. Die Qualität unterscheidet sich indes stark. Meist brechen die Bügel am Ende ab. Manche schreiben nur ein paar Wochen – andere begleiten mich seit Jahren. Die Haptik (→ Spitzer) reiner Plastikkulis ist eher mau. Schön, wenn vor der Spitze eine weiche Verkleidung angebracht ist. Ben Mendelson
Z wie Zeichenpapier
Es war herrlich bunt. So bunt wie die Welt, die ich mir als Kind auf dem Zeichenpapier ausmalte und später in langen Brief-Episteln an Onkel und Tanten in Berlin, die mich mit dem farbigen Ausschusspapier der Firma Schneider & Söhne beglückten. Leuchtend rot und gelb oder in matterem Blau, Grün oder Orange und unterschiedlich stark, war es jedes Mal ein Fest, wenn ich einen solchen Packen bekam. Man konnte damit basteln oder eben die Welt ausschmücken. Papier war relativ teuer damals, bei jedem anzuschaffenden Zeichenblock (Pflicht und von der Lehrmittelfreiheit nicht gedeckt) verzog unsere Mutter gequält das Gesicht. Ich habe dieses Papier eifersüchtig behütet vor dem Zugriff der Schwester und bei gefühlt 30 Umzügen weitergeschleppt (→ Werbegeschenke). Die Reste liegen in der Schublade, als selten genutztes Briefpapier. Ulrike Baureithel
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