Die Fleischindustrie tobt: Bundestag und Bundesrat haben das Arbeitsschutzkontrollgesetz nun also verabschiedet. Mit dem Gesetz soll „aufgeräumt“ werden in der Fleischwirtschaft, so hatte es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Frühsommer nach den Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen angekündigt – und das wird es auch. Werkverträge und Leiharbeit sind nun verboten. Doch während die Unternehmen genau wissen, was für eine Niederlage dieses Gesetz für sie darstellt, und bereits mit Verfassungsbeschwerde drohen, scheinen jenen, die sonst stets die Interessen der Arbeitenden vertreten, diesen Sieg zu verschlafen.
Auch im Freitag. Hier war Ende November in einem Kommentar zu lesen: „Das Verbot von Werkverträgen kommt am 1. Januar, doch die Leiharbeit bleibt. Betriebsprüfungen in nennenswertem Umfang wird es erst von 2026 an geben. Betriebe unter 50 Beschäftigten sind davon ganz ausgenommen. Ausnahmen sind das erprobte Mittel, um Gesetze, die man innerlich ablehnt, ins Leere laufen zu lassen.“ Der – sehr geschätzte! – Autor Michal stellt das Gesetz in eine Reihe mit weiteren Vorhaben der SPD, die seit Monaten und wohl noch bis zur Wahl im nächsten Jahr von der CDU/CSU bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder verzögert werden: „Sie (die CDU) kann die Sozis am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Ihr Restprogramm heißt deshalb: verzögern, verwässern, verhindern.“
So häufig dieses Phänomen zu beobachten war, ist in Bezug auf die Fleischindustrie tatsächlich mal das Gegenteil der Fall: In den letzten Monaten Regierungsarbeit und vor einem beginnenden Wahlkampf schaffte es die SPD, ein Gesetz mit sehr weitreichenden Regulatorien durchzubringen – gegen massive Widerstände aus der Wirtschaft und Teilen der CDU/CSU. Um das zu verstehen, muss man sich jedoch die Mühe machen und den Gesetzesinhalt genauer anschauen, denn die Details sind etwas kompliziert.
Was steht genau im ASKG?
In aller Kürze und nur das Wichtigste: Werkverträge sind ab Jahresbeginn 2021 in der gesamten Fleischwirtschaft verboten, das betrifft weit über 30.000 Menschen, die jetzt direkt bei den Firmen angestellt werden. Leiharbeit wird ab 1.4.2021 in den Betrieben, die schlachten und zerlegen, komplett verboten, ohne Ausnahme. Tönnies, Westfleisch, Vion, Danish Crown und viele mehr dürfen ab 1. April nur noch eigenes Personal beschäftigen.
Lediglich Unternehmen, die das Fleisch zu Bratwurst, Salami oder Schinken weiterverarbeiten, haben die Möglichkeit, auch nach dem 1.4.2021 Leiharbeiter*innen einzusetzen. Dafür gibt es allerdings strenge Vorgaben: es muss ein Tarifvertrag vorliegen, der die Leiharbeit erlaubt. Angesichts weitgehender Tarifflucht der Unternehmen der Branche könnt das ein Hebel sein, um hier wieder zu geregelten Tarifverhältnissen zu kommen, die dann aber mehr umfassen als nur die Erlaubnis der Leiharbeit, z.B. Arbeitszeit, Urlaub, Zuschläge, Löhne usw.
Leiharbeit darf in diesem Teilbereich der Fleischverarbeitung nur bis acht Prozent der Jahresarbeitsleistung im betreffenden Betrieb ausmachen und muss vorher beim Zoll angemeldet werden. Damit kann der Zoll also auch gezielt überwachen, ob die Anzahl der Leiharbeiter*innen und der Zeitraum eingehalten werden. Das heißt: auch in den Betrieben der Fleischverarbeitung muss 92 Prozent eigenes Personal eingesetzt werden. Die Realität waren bisher weit über 50 Prozent externe Arbeiter*innen (über Werkvertrag oder Leiharbeit und oft munter gewechselt), das geht dann nicht mehr.
Und: Diese acht Prozent Leiharbeiter*innen müssen ab dem ersten Tag den selben Lohn und die selben Arbeitsbedingungen wie die Beschäftigten im Betrieb erhalten, also equal pay und equal treatment.
Diese eng umgrenzte Ausnahme vom Leiharbeitsverbot für Unternehmen der Fleischverarbeitung ist nur für eine Übergangszeit von drei Jahren möglich, Ende 2023 ist auch damit Schluss. Ab 2024 darf es weder Werkvertrag noch Leiharbeit in der Branche geben, in der ca. 150.000 Menschen arbeiten.
Dazu kommt eine Höchstüberlassungsdauer jedes einzelnen Leiharbeitsbeschäftigten von vier Monaten im selben Betrieb; die Pflicht zur digitalen, fälschungssicheren Aufzeichnung der Arbeitszeit, sowie die Festlegung, dass Wasch- und Umkleidezeiten erfasst und bezahlt werden. Ein „Inhaber“ muss pro Standort direkt verantwortlich sein – dubiose Firmengeflechte mit unklaren Zuständigkeiten für das Personal, Arbeitszeit, Bezahlung darf es ab Jahresbeginn nicht mehr geben. Bei den Unterkünften sollen bundesweite Standards erarbeitet und kontrolliert werden – hier ist aber eine genaue Ausarbeitung auch durch die Länder noch nötig. Und bis 2026 sollen die geringen Kapazitäten in den Bundesländern soweit aufgebaut werden, dass eine verbindliche Prüfquote von 5 Prozent aller Betriebe in einem Jahr erreicht wird. 5 Prozent ist wenig, aber die Behörden können Schwerpunkte legen – und gerade mit den neuen „Spielregeln“ in der Fleischwirtschaft sollte hier dringend der Kontrollfokus der Behörden liegen.
Und jetzt die Kontrollen!
Ja, da sind noch Unsicherheiten, wie das genau umgesetzt und kontrolliert wird – wie wohl bei jedem Gesetz, das so weitreichend die Umgestaltung einer Branche vorsieht und in wenigen Monaten geschrieben und ausgehandelt wurde. Und die Kreativität der Unternehmer der Fleischwirtschaft, die seit Jahrzehnten im halblegalen und darüber hinaus gehenden Bereich agieren – die massiven Rechtsverstöße belegen das –, ist nicht zu unterschätzen. Es geht nun also darum, für regelmäßige Kontrollen zu kämpfen.
Aber der Kern des Gesetzes, das Verbot von Werkverträgen und das weitgehende Verbot der Leiharbeit, sind wahrlich keine Kosmetik oder politisches Scheinhandeln. So einen Eingriff in die Wirtschaft gab selten in Deutschland. Kein Wunder, dass nicht nur die Fleischlobby, sondern auch die Arbeitgeberverbände und Teile der CDU/CSU dagegen Sturm laufen. Schon einmal stand das Gesetz zur Abstimmung auf der Tagesordnung des Bundestages, wurde dann kurzerhand von der CDU/CSU-Fraktion wieder heruntergenommen, die Fleischlobby jubelte schon und witterte Morgenluft.
Nach einigen Wochen zäher Verhandlung zwischen SPD und CDU/CSU stand ein Kompromiss, der nur wenige Änderungen zum vorherigen Gesetzentwurf zeigt: Bei der der Berechnung der Betriebsgröße, ab der das Gesetz greift (ab 50 Beschäftigte) zählen Verkaufskräfte nicht mit – das war den Fleischerhandwerksbetrieben mit ihren Verkaufsfilialen wichtig. Die ganz überwiegende Anzahl der Betriebe in der Branche liegt weit jenseits der Beschäftigtenzahl 50. Und bei den kleinen Handwerksbetrieben waren Werkverträge und größere Missstände nicht das Thema.
Die größte Änderung, die CDU und CSU also noch erreicht haben, sind die 8 Prozent Leiharbeitsquote, mit den beschriebenen Voraussetzungen, nur für drei Jahre, und nur für die Fleischverarbeiter, nicht für die Schlachthöfe. Das ist nicht mal mehr ein schwacher Trost für die Fleischbranche, die bis zum Schluss wohl gehofft hatte, dass CDU und CSU schon noch große Einfallstore aufbohren würden, damit das Geschäft mit der Ausbeutung weiter läuft, das doch Jahrzehnte so vorzüglich funktioniert hat.
Erfolgreicher Arbeitskampf
Das ASKG ist ein großer Erfolg und für den jahrelangen Kampf von kirchlichen Gruppen, NGOs, der Gewerkschaft NGG, dem DGB, lokalen Bündnissen und Unterstützerkreisen. Gewerkschaften in unseren europäischen Nachbarländern haben seit Monaten mit großem Interesse verfolgt, was da in Deutschland auf den Weg gebracht wird – Werkverträge und Leiharbeit für eine große Industriebranche einfach mal verbieten, bzw. extrem einschränken?
In unseren Nachbarländern waren die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche seit Jahren unter großem Druck – so unkontrolliert und billig wie in Deutschland konnte man nirgendwo sonst arbeiten lassen. So könnte das Gesetz nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa die notwendige Regulierung einer Branche unterstützen, die durch Ausnutzung legaler Instrumente – aber oftmals auch darüber hinaus im illegalen Bereich – agiert hat und zehntausendfach Menschen ausgepresst und ausgebeutet hat.
Anstatt „heißer Luft“ ist das Arbeitsschutzkontrollgesetz vielleicht der letzte richtig große Wurf der aktuellen Regierung vor der nächsten Wahl. Und dieser große Wurf ist maßgeblich durch die SPD durchgesetzt worden, gegen Widerstände aus Teilen der CDU/CSU.
Kommentare 23
Befinden Sie sich bereits im Wahlkampfmodus?
»…scheinen jenen, die sonst stets die Interessen der Arbeitenden vertreten, diesen Sieg zu verschlafen.«
DIESEN SIEG?
»Mit dem Gesetz soll „aufgeräumt“ werden in der Fleischwirtschaft, so hatte es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Frühsommer nach den Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen angekündigt – und das wird es auch.«
So kann wirklich nur ein Gewerkschafts- oder Partei-Apparatschik sprechen.
Darf ich Sie daran erinnern, dass sich die „traditionellen“ Parteien des Deutschen Bundestags seit SPD-Kanzler Schröder zu einem »Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn« gegen das Volk und für Big Money zusammengetan haben? Dass sie ganz bewusst Besitzstandsklau und gigantische Kürzungen der Masseneinkünfte bis hin zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsgruppen selbst noch über das Mittel der Einfuhr von Billigst-Arbeitskräften aus z.B. Rumänien und Bulgarien organisiert haben?
Bitte nicht vergessen: Die politische und gesellschaftliche Gegenwartssituation ist in erster Linie das Ergebnis der Politik dieses „Parteienkartells aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn“ seit Durchsetzung der AGENDA 2010, der deutschen Variante neoliberaler Gesellschaftsumgestaltung mit Hilfe eines rigide angewendeten Hartz-IV-Regimes und einer rücksichtslosen Prekarisierung von Bevölkerung für einen fragmentierten Arbeitsmarkt, der Deutschland zum Niedriglohnland machen sollte und zu einem Land der schlechtesten Rentenquoten Europas. 20 Jahre Bundesregierungen, die das Lohndumping ermöglichten, die Werkverträge, die Vergabe an Sub-Sub-Sub-Unternehmer und schlussendlich die fast sklavenähnlichen Zustände an deutschen Schlachthöfen, wo die Arbeiter kaum besser behandelt werden, als das Vieh, dass sie verarbeiten sollen.
Das war vom „Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn“ POLITISCH SO GEWOLLT!!! Hören Sie?
Was sie hier vortragen, ist nicht etwa der Sieg des Hubertus Heil oder gar der SPD. Beide sind Übeltäter hinsichtlich Werkverträge und Leiharbeit. Sie haben sie ausgebrütet und sind jetzt durch Coronavirus (COVID 19) besiegt worden. – Aber jetzt spielen sie sich auf und werden offensichtlich von Gewerkschaftern begleitet, die uns seit 20 Jahren einen von Sozial-PARTNERSCHAFT vorschwafelten und die Verelendung von Malochern begleiteten.
Und dieser große Wurf ist maßgeblich durch die SPD durchgesetzt worden, gegen Widerstände aus Teilen der CDU/CSU.
Ja, einverstanden. Aber wo die SPD-Regierungsbeteiligung jetzt vermutlich haltmacht und mit der Wahlkampfverwertung beginnt, muss Ihre Gewerkschaft weitermachen, Herr Specht. Mit der SPD, wo es geht, und mit der Linken, wo die SPD zögert. Wer bei Ihnen Beiträge zahlt, will auch selber Geld sehen.
Zustimmung: Aber zu 100%
Endlich ! Gut gemacht !
Die SPD m u s s jetzt so weitermachen und endlich den massiven Einsatz von Antibiotika verbieten und m e h r für das Tierwohl tun, also der Tierquelerei e n d g ü l t i g ein E n de setzen.
Das wird auch belohnt werden. So wird die SPD für uns w i e d e r wählbar 2021.
Naja, aus meiner Sicht muss da noch mehr kommen als das, bevor SPD für mich wieder geht, aber ich fange an, die alte Funktionspartei zu respektieren. Wenn ich das Sympathiegestöhne für die herrliche Anti-Covid-Kanzlerin höre, will mir mein Mittagessen wieder durch den Kopf, und mir fällt ein alter Simmel-Titel ein:
"Die im Dunkeln sieht man nicht." OK, der meinte das anders. Nur gehe ich nicht davon aus, dass eine langjährige schwarzgelbe Durchregier-Koalition so viele Intensivstationsbetten übrig gelassen hätte, wie es mit der SPD möglich war.
Ja, stimmt schon. Damit würde aber das allerallerschlimmste verhindert.
Der Mindestlohn soll rauf auf zwölf Euro steigen, so die SPD. .
A b einem Jahresgehalt von 1.000.000,- Euro im Jahr, sollten als Obergrenze festgelegt, mindestens 75% Steuern anfallen. Das wäre grosszügig den Reichen gegenüber (von wegen Neid?), denn es würde ihnen n i c h t weh tun, aber die Steuereinnahmen erhöhen und Reinvestition in Schulen, Pflege, Brücken, Strassen, erneuerbare Energien, Forschung und Entwicklung Wasserstoffantriebe, usw. usf.... ;-) ermöglichen.
Das würde die alte Dame SPD mal wieder richtig voranbringen. Ich denke wir werden die SPD 2021 tatsächlich mal wieder wählen.
Seit spätestens 1998 (Agenda 2010) ist diese Partei eine des neoliberalen Kartells und damit verantwortlich für Sozialabbau und Verelendung einerseits und obszönen Reichtum andererseits. Diese Politik hat sie mehr als 20 Jahre lang realisiert und dadurch die Verschlechterung der Lebensqualität großer Bevölkerungsteile bis hin zur Verelendung mit betrieben. Für die Abschaffung der Lohnsklaverei bei Tönnies und Co. (bedingt durch den Corona Ausbruch, keineswegs durch Einsicht in sozialpolitische Sinnhaftigkeit oder gar Notwendigkeit) bei gleichzeitigem Weiterbestehen von ähnlich unmenschlichen Bedingungen in Wirtschaftsbereichen außerhalb der Fleischindustrie erwartet nun der Autor Anerkennung. Ich kann da Flegel nur zustimmen: „So kann wirklich nur ein Gewerkschafts- oder Partei-Apparatschik sprechen.“
PS @ Nil: ein bisschen Tierwohl ist ja ganz nett. Mir wäre es allerdings wichtig nicht nur Tiere nicht zu quälen, sondern dieses auch bei Menschen zu unterlassen.
PS: Ich finde Frau Merkel ganz ok. Wenn es brenzlich wurde, hat sie immer das richtige getan. Atomausstieg, Flüchtlinge, Corona...
Und als nächstes nehmen SPD und Gewerkschaften sich die Bauwirtschaft vor.
Make Gewerkschaften great again!
Auch auf’m Bau!
Ich feiere gerne Siege. Vor allem diejenigen, die erkennbar und - am eigenen Leib - spürbar sind.
Hier hole ich mal den ollen Theodor Wiesengrund aus dm Archiv: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen."
Deutsche Initiative zum Selbständigen Denken und Handeln
Wir (Ich und Ich) nicht.
Ab morgen werden die Tage wieder länger. Haben wir das auch der SPD zu verdanken?
Können Sie sich an Merkel 2005 erinnern? Durchregieren? Irak-Krieg? Wenn sie trotzdem das Richtige getan hat, dann darum, weil die Wählerinnen und Wähler ihr die Sozialdemokraten aufs Auge gedrückt haben - nach dem Motto: wie wir regiert werden, bestimmen immer noch wir.
Was weise gehandelt war. Mittlerweile jauchzt aber ein erheblicher Teil der Öffentlichkeit die Kanzlerin zur Herrin des Waldes von Lórien hoch. Muss jeder selbst wissen, was das mit ihm macht - mir jedenfalls macht das Sorge.
Gedächtnis ist nicht alles, aber ohne Gedächtnis ist ein Land nichts.
Nochmal scharf nachdenken, Rioges. Vielleicht kommen Sie selbst drauf.
Ja, das ist wohl wahr. Aber sie hat sich mit der Zeit zum besseren gewendet, kommt mir jedenfalls so vor. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch sich ändern und weiterentwickeln kann, auch Politiker. Menschen sollten nicht bis in alle Ewigkeit, auf einmal gemachte Fehler reduziert werden. Das, ohne etwas beschönigen zu wollen.
Ich habe eher den Eindruck, dass sie immer da ist, wo die Macht ist. Vor fünfzehn Jahren in Washington, jetzt (via EU-Außenhandelsdelegation) in Peking.
Beachtlich - im handwerklichen Sinne - ist freilich ihre Imagepflege, aber das Publikum ist ja auch sehr aufnahmebereit.
Ich will ja nicht nerven (zudem waren die Grünen mit an Bord, was meistens unter den Tisch fällt), aber bis die wieder alles eingesammelt haben, was mit Hartz IV losgetreten wurde, da bleibt noch viel zu tun. Zudem von Teilen der SPD immer noch als Fortschritt (auf dem Arbeitsmarkt) verkauft/verstanden (fantasiertes Jobwunder bei volkswirtschaftlich geringerem Arbeitsvolumen, auch noch verteilt auf mehr Köpfe: das ist Statistik!).
"Fördern und Fordern", "Eigeninitiative, "Selbstverantwortung" und dergleichen mehr oder auch jeden Job annehmen zu müssen (wie z.B. bei Amazon in der Weihnachtszeit!), ganz unabhängig von der eigenen Qualifikation, das ist immer noch fester Bestandteil am 'Arbeitsmarkt'.
Also letztlich wird auch nicht das Menschenbild vertreten, dass jeder (zumindest die große Mehrheit) von sich aus an einer guten Arbeitsstelle interessiert ist. Da muss dann doch besser in schöner Verpackung Druck gemacht werden, damit das Arbeitgebermodell stimmig bleibt. Schließlich geht es doch um Erhaltung von Arbeitsplätzen, da kann man von der Qualität her einfach nicht so hohe Ansprüche stellen.
Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Sondersteuer für die Reichen aufgrund der Lage, das lässt sich allenfalls mal provokativ äußern, ernsthaft angegangen wird es nicht. Liegt das etwa an den WählernInnen? Ich meine eher nicht, denn wie lange ist die Haltbarkeitsdauer dieser, vielleicht sogar irgendwo weiter hinten im Wahlprogramm aufgeführten, Wahlversprechen. Später dann: "Wir haben alles versucht, aber wir konnten es leider nicht durchsetzen".
Also nix Neues im Ländle, nur wer es noch anspricht, dem wird dann allenfalls noch mitleidig zugelächelt.
Nerven will ich selbstverständlich auch nicht. Nur Recht haben.
Ich habe mich nur auf das Gesetz zur Neuregelung der Fleischwirtschaft bezogen und will nicht der SPD insgesamt ein Zeugnis ausstellen. Sie argumentieren, dass bei der SPD eben alles schon (seit den späten Neunzigern) bekannt ist. Na dann... Dann übersehen wir sehr schnell, wenn mal was bedeutendes passiert. Und das neue Gesetz ist so etwas: es betrifft eine große Anzahl Menschen, es trifft meiner Einschätzung nach die richtigen, harten Maßnahmen - keine Kosmetik - und das wird von der SPD als Juniorpartner in der Koalition gegen massive Widerstände aus der Union und der Wirtschaft durchgesetzt. Ist das also alles wie gehabt? Nein, das ist was anderes und passt nicht zur Argumentation der "lame duck" SPD, die bis zur Wahl von der übermächtigen CDU/CSU hingehalten wird.
Das Gesetz ist der erste, wichtige Schritt. An Schritt zwei sind wir dran: Tarifverträge für die ganze Branche (dazu braucht es aber immer auch jemand anderen, der die mit uns abschließen will. Angesichts der massiven Tarifflucht der Branche nicht einfach); Information der über 30.000 Menschen, die jetzt von "prekär" auf immerhin "direkt angestellt" wechseln, und die Werbung dafür, dass wir nur gemeinsam Verbesserung bei Löhnen, Arbeitszeit usw. erreichen. Also die ganz normale, irrsinnig wichtige und nie endende Gewerkschaftsarbeit. Wir sind dran, schon länger, und ab nächstem Jahr dann unter neuen, hoffentlich deutlich besseren Vorzeichen.
Sie mögen Recht haben mit der Einschätzung, dieses Gesetz bringe eine wesentliche Verbesserung für die Beschäftigten in einer Branche. Hier hat der Minister auf den öffentlichen Druck infolge des Coronaausbruchs bei Tönnies reagiert. Insofern ist es nicht als großer Erfolg...für den jahrelangen Kampf von kirchlichen Gruppen, NGOs, der Gewerkschaft NGG, dem DGB, lokalen Bündnissen und Unterstützerkreisen zu werten; es wäre nämlich trotz dieses jahrelangen Kampfes ohne Corona nicht verabschiedet worden, obwohl allen die Mißstände seit Jahren bekannt waren. Die SPD hätte weiter, wie in allen anderen Bereichen ihre Funktion, die Forderungen nach gerechten Arbeits- und Lebensverhältnissen abzupuffern, erfüllt. Dass der frühere SPD Vorsitzende von Tönnies Beraterhonorar bezogen und der Fa. einen Persilschein hinsichtlich der Einhaltung von Arbeitnehmerrechten ausgestellt hat, zeigt, wie verlogen in dieser Partei argumentiert und gehandelt wird. Die Grundlagen für die heutige Misere wurden zu Zeiten der Schröder/Fischer Regierung ab 1998 gelegt mit der Agenda 2010, von der sich die Partei bis heute nicht distanzieren will.
Mal sehen, ob dieser harmlose Kommentar es in die Veröffentlichung schafft.
Die Praxis wird zeigen ob der Optimismus von Johannes Spech gerechtfertigt ist. Aber die Fleischwirtschaft ist nur eine Baustelle: Spargelstecher, Erdbeerpflücker, Gurkensammler, die Bauarbeiter samt LKW Fahrern ..... alle warten auf ein ähnliches Gesetz, sofern es gut ist.