Souvenirs von A–Z: Antike Scherben und Maori-Tattoos
Lexikon Haarschmuck, Muscheln, Tattoos: Kulturelle Aneignung liegt selten so nah wie bei der Frage nach Mitbringseln aus dem Urlaub. Wer nach Brandenburg an der Havel reist, findet eine recht unverfängliche Alternative. Unser Lexikon der Woche
Zu den Entzauberungen, die der Binnenmarkt herbeigeführt hat, gehört die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit von Spezialitäten. Wenn jeder Supermarkt guten Wein und gutes Olivenöl anbietet, spart man sich zwar Gepäck bei der Rückreise aus Italien, das Mitbringen hat aber auch schlicht keinen Sinn mehr. Umso mehr kann man versuchen, sich an immaterielle Souvenirs zu halten: Wenn die Flasche Campari hier wie dort das Gleiche kostet, dann besteht die Erinnerung eben in der Aperitif-Kultur: sich am frühen Abend in eine Bar setzen und zum Aperol Spritz oder zum Campari Soda Chips und Oliven serviert bekommen. Wenn das kein Dolce Vita ist! Das Problem ist nur, es funktioniert nicht. In deutschen Bars zahlt man für einen Campari Soda (5 c
nen Campari Soda (5 cl Campari kosten etwa einen Euro, der Rest ist Eis und Wasser; Zubereitungszeit etwa eine Minute) locker sieben oder acht Euro – und Snacks gibt es freilich auch nicht. So macht das keinen Spaß, und die Aperitif-Kultur bleibt, wo sie hingehört: im Urlaub in Italien. Leander F. BaduraDwie Diaabende„Se souvenir“ ist Französisch für „sich erinnern“. Die wichtigste Erinnerung aus Urlauben sind Fotos. Aufgenommen per Einwegkamera, Fotoapparat, heute vor allem mit Smartphones. Damals, lange vor der digitalen Zeit, luden Weitgereiste zum Diaabend. Klick für Klick wurde dem Bekanntenkreis gezeigt, wo man überall herumgekommen ist. Wolfgang und Petra verliebten sich am Strand von Goa (→ Zürich). Elrun war mit Thomas in der mongolischen Wildnis. Sehr erleuchtend. Der Vorteil dieser Abende: Wer Fernweh hasst, sagte einfach ab. Und so viel war auf diesen Diaprojektionen ohnehin nicht zu erkennen. Heute werden Urlaubsimpressionen 24/7 auf Instagram rausgeballert. Die Fotos dienen kaum noch dem Erinnern, es geht unverhohlen um Status. Schaut her, was ich mir leisten kann! Dann lieber Dias, oder ganz schnell selbst verreisen.Ben Mendelson Fwie FechtschneckeDass man nachgemachte Produkte nicht konsequenzlos einführen darf, versteht sich von selbst. Und doch fischt der Zoll immer wieder Fakes bei Reisenden heraus. Die falschen Nike-Nickis und Gucci-Gürtel waren einfach verlockend billig. Doch auch Originale schützen vor Strafe nicht. So ermittelt die Polizei gegen einen Griechenland-Urlauber wegen illegaler Ausfuhr von Kulturgütern (→ Tattoo). Er hatte beim Schnorcheln Scherben gefunden und sie als Mitbringsel eingesteckt. Doch stammten die Bruchstücke von antiken Amphoren. Dem Mann droht gar eine Haftstrafe. Teuer kann es bei anderen Souvenirs werden. Gehäusetiere wie die Riesenmuschel und die Fechtschnecke stehen unter Artenschutz. Auch bestimmte Kakteen sind tabu. Auf Sardinien und in der Dominikanischen Republik muss selbst der Sand am Strand bleiben. Makaber ist es mit den Seepferdchen: Bis zu vier tote Exemplare darf man einführen, obwohl sie im internationalen Tierschutzabkommen erwähnt werden. Tobias PrüwerHwie HühnergottDas Schönste an der Nordsee ist das Meer, da wo die Brandung ungehindert gegen die Küste donnert, die Gischt zischt. Wie mächtig das Meer ist, zeigt sich in Hühnergöttern, von denen ich über Jahre hinweg eine beeindruckende Zahl bei langen Strandspaziergängen gesammelt habe. Es sind Steine mit Löchern und Hohlräumen darin. Wie diese Löcher in die Steine kommen, darüber gibt es verschiedenen Theorien. Dass sie das Geflügel vor bösen Geistern schützen sollen, wovon sie ihren Namen haben, ist ein Aberglaube, aus dem sich die Vorstellung einer glücksbringenden Kraft der Hühnergötter abgeleitet hat, und daraus mein persönlicher kleiner Aberglaube, dass ich nur an die Nordsee zurückkehren darf, wenn ich bei jedem Aufenthalt mindestens einen Hühnergott auflesen und aufs Festland mitnehmen kann. Die Zugfahrkarte liegt bereit. Beate TrögerJwie Jagdfieber„É terça-feira“ – so besingt der bekannte portugiesische Poet und Musiker Sérgio Godinho den „Markt der Diebin“. Wer nach Lissabon reist, sollte sich den legendären Flohmarkt „Feira da Ladra“ am Campo de Santa Clara nicht entgehen lassen. Originelles, Kitschiges und Vintage findet sich dort. Da sehe ich auf der dekorativen blau-weißen Servierplatte über meinem Küchenregal nicht nur den fliehenden Hirsch zwischen Blumenranken, sondern auch meinen Mann, wie er sich so riesig über den Fang freute, und ich sehe mich selbst damals, wie ich es mir gut gehen ließ bei Sonnenschein im Februar. Ein schweres antikes Stück, so günstig erstanden – vorsichtig verstauten wir die Trophäe beim Rückflug im Handgepäck. Womöglich steckt das Jagdfieber ja seit Urzeiten in unseren Genen. Entspannt im fremden Land, kosten wir es umso lieber aus. Unbedingt gebraucht hätten wir den prächtigen Wandteller (→ Keramik) nicht. Aber er birgt in sich das Glück, ihn unter all dem Plunder erjagt zu haben. Irmtraud Gutschke Kwie KeramikNa, auch Oliven-Fan? Dann bringen Sie sich unbedingt die kleinen Keramikschälchen mit der charakteristischen Tulpenbemalung mit. Übereinandergestapelt findet man diese in vielen Farben und Formen in der Türkei. Ihren Ursprung hat die osmanische Porzellanverzierung in der Stadt Iznik, unweit der westanatolischen Stadt Bursa. Und so nennt man diese Art der Keramik auch kurzerhand „Iznik“, die einem an der türkischen Westküste nun in allen Läden begegnet. Schon vor 500 Jahren exportierten übrigens Händler Unmengen dieser Kunstwaren nach Europa. Damals noch im klassischen Blau-Weiß – inspiriert vom feinen China-Porzellan. Heute dagegen kann jede und jeder, je nach Koffergröße, ein paar dieser bunten Schälchen mitnehmen und zur Vertreibung der Fernwehstimmung auf den Abendbrottisch stellen. Ebru TaşdemirPwie PlattenOsterferien 1975. Schüleraustausch. Abgesehen von einem Hollandurlaub war ich noch nie im Ausland gewesen. Und nun gleich drei Wochen Nordengland. Großartig. Mein Partner hieß Peter, war 16 wie ich und Fußballfan. Also sah ich, wie Leeds United im heimischen Stadion gegen Liverpool verlor. Und lernte milchigen Tee, Bohnen auf Toast und Pommes mit Essig schätzen. Eine Dose Baked Beans von Heinz und ein Karton Teebeutel wären auch gute Mitbringsel gewesen. Andererseits waren Schallplatten (→ Schnupftabak) in Britannien billiger als zu Hause. Und ich liebte Jazzrock. Auch Peter kaufte bei seinem Gegenbesuch eine Platte als Souvenir. Aber eine, die in England kaum zu kriegen war. Als Kulturexport sozusagen. Zwar dürften ihm die schnoddrigen Verse über einen Geiger namens Rudi Ratlos oder den Mafioso Jonny Controlletti nicht viel gesagt haben. Doch im Sommer 1975 war Udo Lindenbergs Panikorchester allgegenwärtig. Ball Pompös hieß das Album, auf dem auch die Honky Tonk Show verewigt ist. Erst neulich hat Peter es noch einmal aufgelegt. Joachim FeldmannSwie SchnupftabakSouvenirs, Bill Ramseys Hit, ein Cover nach einem Song des US-amerikanischen Songwriters Cy Coben, ging via Polydor Records 1959 als Single-B-Seite (→ Platten) durch die Decke. Ramsey war amerikanischer Soldat, Jazzer und Spaßvogel und machte im Deutschland der Nachkriegszeit mit Schlagern Karriere. In dem Stück besingt er die Jagd nach Souvenirs von Prominenten, die „das Salz in der Lebenssuppe“ seien: eine Gitarrensaite von Elvis oder ein Schuh von Charlie Chaplin: Souvenirs „einer großen Zeit“. Der Wiener Austro-Popper Reinhard Fendrich besingt in seiner 2002 erschienenen Version des Stücks dann lieber den Seifenschaum von Berlusconi („Mit dem er jahrelang die Welt wusch“), die Gedächtnislücke von Helmut Kohl, „von Christoph Daum den Schnupftabak“, „von André Heller a Idee“ oder „von George Bush an graden Satz“. Marc PeschkeTwie TattooEinen Farbklecks unter der Haut bringen viele Menschen aus dem Urlaub mit. Zwar soll man ein Tattoo besonders die ersten Wochen absolut vor Sonne schützen und Wasserkontakt ist ebenso kontraproduktiv, aber es ist ja nur einmal Sommerurlaub. Und günstig ist die Tätowierung in der Strandhütte auch noch. Hoffentlich stimmt wenigstens die Hygiene. So kommt es, dass die hässlichsten Tattoos oft aus dem Urlaub stammen. Damit müssen die Träger leben. Ein wirkliches Problem aber sind Touristen-Tattoos aus Neuseeland. Dort sind traditionelle Muster aus der Maori-Kultur sehr beliebt, wie sie etwa Mike Tyson im Gesicht und Robbie Williams auf dem Oberarm tragen. Viele Maoris sehen es als kulturellen Ausverkauf (→ Fechtschnecke), wenn jeder solche Moko genannten Ornamente in der Haut hat. Denn sie erzählen Familiengeschichten und haben auch religiöse Bedeutung. Um das Problem zu lösen, haben Tätowierer eine Art Pseudo-Stil für Touristen entwickelt. Sie stechen bedeutungslose Muster, die einfach wunderschön aussehen. Hauptsache exotisch. TPZwie ZürichDas absurdeste Souvenir sind Kühlschrankmagneten. Waren Sie schon mal in Zürich? Das wird Ihnen kaum geglaubt, wenn nicht ein Magnet vom Zürisee oder der Straßenbahn mitgebracht wurde. Oder ein „I love Zürich“ – der Klassiker aller Stadtmagneten. Egal wie lange die Stadt bereist wurde, macht dieses Erinnerungsstück allen deutlich, wie sehr – und oberflächlich – die Reisenden sich in die Stadt verliebt haben (→ Diaabende). Alle lieben New York. Paris sowieso. Wobei ich das ikonische NY mal für „Neil Young“ gehalten habe. Regionale Magneten gibt es auch für Brandenburg an der Havel, oder Flensburg, die meisten sind skurril bis geschmacklos gestaltet. Magneten sind der Notnagel, wenn das Mitbringselkontingent kurzfristig aufgestockt werden muss. Am Ende dienen sie einzig dazu, am Kühlschrank Einkaufslisten und Postkarten zu fixieren. BM