Stalin in der Metro

Moskau In Moskau ist das Foyer der Metrostation "Kurskaja" im Stil der vierziger Jahre restauriert worden. Eine Hommage an den Diktator oder einfach Treue zum Original?

Diese beiden Ereignisse sind fast zur gleichen Zeit passiert. Am 27. August starb Sergej Michalkow, der Autor der Nationalhymne, die in drei Fassungen – der Stalinschen, der Breschnewschen und der zeitgenössischen – bekannt ist. Michalkow hatte die historisch überholten Sätze von Version zu Version jeweils durch neue ersetzt, die dem Geist der Zeit gerecht wurden. Einer dieser im Zuge der "Entstalinisierung" aussortierten Sätze lautete: „Und Stalin erzog uns zur Treue dem Volke, beseelt uns zum Schaffen, zur heldischen Tat."

Zwei Tage vor dem Tod von Michalkow wurde an diesen Satz erinnert – auf fast mystische Weise, doch Russland ist zuweilen ein mystisches Land. An den Wänden der frisch restaurierten Eingangshalle zur Moskauer Metro-Station Kurskaja sind Sätze wie der sakral anmutende Spruch "Für die Heimat, für Stalin!", wieder zu lesen.

Ein effektiver Manager

In Russland wurden in den Jahrzehnten seit dem XX. KPdSU-Parteitag im Jahr 1956 nicht nur alte Stalin-Denkmäler abgerissen, sondern auch neue eingeweiht. Beispielsweise am Haupteingang der Aluminiumfabrik in Nowokusnezk (ehemals Stalinsk). Die am Denkmalsockel aufgezählten Verdienste Stalins als Gründer eines mächtigen Industriestaates lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er in dieser Stadt bis heute als "effektiver Manager" gilt. Daher erhebt sich die Frage: Ist die Restauration des Foyers zum Metro-Bahnhof Kurskaja, der in den schwierigen vierziger Jahren als Palast zu Ehren des sowjetischen Staatschefs gebaut wurde, nicht auch eine Ehrenbezeugung vor dem "effektiven Manager"?

Nein, sagen die Restauratoren und Projektverantwortlichen. Wir wollten einfach die ursprüngliche Gestalt der Eingangshalle wieder herstellen. Alle Vorwürfe, man versuche den Stalinismus rein zu waschen, werden von den Restauratoren als billige politische Anschuldigungen zurückgewiesen. Ich muss ehrlich sagen, ich glaube ihnen. Ich kann mir die Leidenschaft eines Profis gut vorstellen, der bei einer Kopie die Treue zum Original anstrebt. Die Frage gilt also nicht den Restauratoren, sondern vielmehr denen, die eine Wiederherstellung der Eingangshalle und der Artefakte aus der Stalin-Zeit beschlossen haben. Hier gerät man zwangsläufig in die Nähe einer politischen Analyse. Nicht von ungefähr war man nicht mutig genug, das frühere Stalin-Denkmal wieder an seiner früheren Stelle in der Halle zu platzieren. Es war auch kein Zufall, dass die Restauration geheim gehalten wurde und niemand wusste, dass Inschriften aus der Stalin-Zeit mitten im Moskauer Metro-Betrieb wieder auftauchen würden.

Schatten der Geschichte

Die meisten Befürworter des Erhalts von Denkmälern aus der Stalin-Epoche schlagen vor, dies nur als Bewahrung und Wiederherstellung zerstörter künstlerischer Werte zu betrachten. Was sollen wir andernfalls mit den Lenin-Denkmälern tun, die es noch überall im Land gibt, fragen sie. Stand Lenin mit seinen Missetaten Stalin in soviel nach? Nach Auffassung des Architekten Nesterows sind Stalin-Denkmäler "keine Propaganda mehr und weder als Versuch zu sehen, das Andenken an die Opfer zu beleidigen, noch als Zeichen für den Wunsch, den Tyrannen zu rehabilitieren".

Aber die Geschichte Russlands ist derart tragisch, dass Stalin nicht als eine Tatsache der Geschichte schlechthin betrachtet werden darf. Selbst eine vorsichtige Berührung von architektonischen Stücken aus der Vergangenheit, besonders von Stalin-Realien, ruft bei der Mehrheit der Bevölkerung die Befürchtung hervor, der Stalinismus werde rehabilitiert – und zwar als politisches System. Denn die Metro-Station Kurskaja war einmal als Monumental-Propaganda für das Stalin-Regime gedacht – ihre Restauration wirkt wie eine Rehabilitierung dieser Absicht.

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