Stalin und die DDR

Sonntag 1989 Den Herbst 1989 prägt auch eine heftige Kontroverse um stalinistisches Züge des DDR-Sozialismus. Im "Sonntag" äußert sich dazu der Schriftsteller Christoph Hein

Als die Wende vor dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 89 einen Punkt erreicht hat, an dem alle Akteure noch davon ausgehen, es werde innerhalb der DDR eine Demokratisierung, Öffnung und selbstbestimmte Entwicklung geben, gerät auch das bis dahin geltende Geschichtsbild in Verruf. Wie sich zeigt, ist es im Namen des historischen Materialismus höchst selektiv und blendet im Blick auf die deutsche Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert vieles – zu vieles aus. Das gilt besonders für die verheerenden Wirkungen des Stalinismus, denen schon die KPD in den später zwanziger Jahren ausgesetzt war.

Teilweise in Einzelhaft

Um so verdienstvoller ist es, dass der Sonntag in seiner Ausgabe vom 5. November 1989 einen Text von Christoph Hein abdruckt, den der Schriftsteller bereits am 14. September 1989 vor dem Schriftstellerverband der DDR gehalten hat. Hein nimmt Bezug darauf, dass es auch in der DDR im Zeichen des Stalinismus Ausgrenzungen und Ächtungen gegeben habe, teilweise politische Prozesse stattgefunden hätten, in denen „die Angeklagten unter abenteuerlichen Beschuldigungen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen – teilweise in Einzelhaft – verurteilt wurden“. Dabei habe man den Zellenschließern, die mit den Gefangenen in den Zuchthäusern nicht sprechen sollten, mitgeteilt, bei diesen Häftlingen handle es sich um Nazikriegsverbrecher. Das Fazit von Christoph Hein: Stalin – das ist auch ein Problem des deutschen Sozialismus, der DDR.

Sonderparteitag der SED

Als Anfang Dezember 1989 mit dem interimistischen Generalsekretär Egon Krenz auch das gesamte SED-Politbüro demissionieren muss, weil es nicht auf der Höhe der Zeit und vor allem kaum mehr politisch handlungsfähig ist, beginnt ein Sonderparteitag der SED am 8. Dezember in Berlin mit dem Bekenntnis: Wir brechen unwideruflich mit dem Stalinismus als System. Damit überschrieben ist auch das Referat des Philosophen Michael Schumann, der die „spezifischen Strukturen, Methoden und Allüren der Honecker-Ära“ als Beispiel für eine über die fünfziger Jahre fortwirkende stalinistische Deformationen des politischen Systems der DDR wertet. Dennoch warnt Schumann davor, die Bilanz der DDR auf stalinistische Praktiken zu reduzieren. Und sich allein dieser Perspektive zu bedienen.

Die sich nach ihrem Sonderkongress in der einstigen Werner-Seelenbinder-Halle SED-PDS nennende Partei (der Parteitag findet in zwei Phasen statt) holte nach, was es in der KPdSU seit 1986 durch die Perestroika an Auseinandersetzung mit dem Stalinismus gegeben hatte. Doch wie der weitere Gang der Ereignisse 1989/90 zeigen sollte, kam diese kritische Selbstbefragung zu spät. Die Diskreditierung des Sozialismus erwies sich zunächst einmal als irreversibel.

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