Unerreichbar für die Welt draußen vor der Tür

Isolation bis zum bitteren Ende Seit einem Monat wird der Gaza-Streifen von den israelischen Behörden als "Ausland" behandelt

Es gibt ohnehin nicht viele Israelis, denen es von der Armee erlaubt wird, den Gaza-Streifen zu betreten - seit dem 1. Februar 2007 nun müssen sie am Grenzübergang Erez ihren Pass vorlegen. Es wird auf dem Computer des Innenministeriums umgehend registriert, dass sie die Landesgrenze überschritten haben. Doch wird der Gazastreifen von den Israelis auf eine höchst merkwürdige Weise als "Ausland" geführt, denn umgekehrt sind die Palästinenser, die im "Ausland" von Gaza leben, vorläufig völlig davon ausgenommen, ihrerseits mit einem palästinensischen Pass die Grenze überqueren zu dürfen. Eine ähnliche Praxis, wie sie auf Weisung des israelischen Innenministers auch für die Westbank gilt.

Diese Praxis erscheint noch bemerkenswerter, zieht man in Betracht, dass die israelischen Behörden es kaum jemandem erlauben, den Gazastreifen zu betreten oder zu verlassen. Israelis erhalten die Genehmigung zur Einreise nur dann, wenn sie Verwandte dort vorweisen können. Auch ist für eine solche Reise eine vorherige Koordination erforderlich, die an homerischem Aufwand kaum zu übertreffen ist und Tage dauern kann, bis dem Antrag für eine verlängerte Aufenthaltsgenehmigung stattgegeben wird. Die Entscheidung fällt im "Büro für israelische Angelegenheiten", einer militärischen Körperschaft, die vom Innenministerium autorisiert worden ist, sich mit Ausreiseformalitäten und einem möglichen Grenzübertritt zu beschäftigen.

Das "Ausland Gaza" erscheint freilich noch aus einem anderen, fundamentaleren Grund höchst seltsam: Alle Bewohner sind im gleichen Bevölkerungsregister verzeichnet wie die Bewohner der Westbank, die für Israel natürlich nach wie vor kein "Ausland" ist - das gesamte Register wird vom israelischen Innenminister kontrolliert, was unter anderem dazu geführt hat, das Hunderttausenden von Palästinensern nach 1967 ihr Wohnrechtstatus in den betreffenden Gebieten aberkannt wurde. Noch entscheidender ist heute allerdings der Umstand, dass die Israelis dank dieses Kontrollregimes jede ihnen nicht genehme Zuwanderung verhindern und entscheiden können, was erlaubt ist, wenn es sich um den Ehepartner handelt, den Studienort, die Art der medizinischen Behandlung, die Adresse, das Zusammensein mit den Kindern, die Teilnahme an Familienfeiern und Beerdigungen, die Hinterlegung des Testaments und die Aufteilung des persönlichen Besitzes. Israel hat die Autorität, den Zuzug von Freunden oder Familienmitgliedern der Palästinenser in die Westbank und den Gazastreifen zu verbieten. Seit Oktober 2000 gelten diese Restriktionen in umfassender Weise.

Im Übrigen können nur Palästinenser, die vom israelischen Kontrollsystem erfasst sind, am Rafah-Terminal nach Gaza einreisen, sofern der überhaupt geöffnet ist. Israel hat überdies die Macht, den Bewohnern des Gaza-Streifens die Fahrt in die Westbank zu verbieten oder ihnen zu untersagen, dort zu leben. Und die Behörden tun dies mit erkennbar wachsendem Eifer seit 1991, als die Politik der Absperrung begann. So wird mit dem "Ausland" umgegangen, für das die Israelis, wie sie behaupten, keine Verantwortung mehr tragen, auch wenn ihre Behörden in diesem "Ausland" nach wie vor soweit das Sagen haben, dass sie sogar bis in die Schlafzimmer hinein wissen wollen, was geschieht.

Aber vielleicht ist es besser, weiter in dieser Weise das Familienleben der Palästinenser observiert zu wissen, als weitere Schritte hinnehmen zu müssen, mit denen schließlich die Trennung zwischen den Bewohnern des Gaza-Streifens von ihren Brüdern in der Westbank vollendet wird.

Seit Jahren ist den Palästinensern der übervölkerten 360 Quadratkilometer großen Region immer wieder von israelischer Seite empfohlen worden, sich daran zu gewöhnen, in einer isolierten, autarken Wirtschaft zu leben, und mit dem wenigen, was sie produziert, zurecht zu kommen. Mit immer weniger und immer stärker kontaminiertem Wasser, immer weniger Land, immer weniger Einnahmen, immer schlechteren Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, einem versiegenden Warenverkehr - und das alles dank einer Isolation von der Außenwelt, letzten Endes auch von der Westbank.


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