Unverzichtbarer Newcomer

Türkei Die türkisch-kurdische HDP ist als großer Gewinner aus den Wahlen hervorgangen. Sie könnte sich bald vom Hoffnungsträger zum wichtigen politischen Faktor entwickeln
Ausgabe 24/2015
Die HDP hat sich als Alternative für viele Gegner von Erdoğan empfohlen
Die HDP hat sich als Alternative für viele Gegner von Erdoğan empfohlen

Foto: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Es gibt einen klaren Verlierer dieses Votums: Präsident Tayyip Erdoğan wurde für seinen autoritären Führungsstil und die Missachtung des Neutralitätsgebots bestraft. Für sein Ziel, der Türkei das Präsidialsystem zu veordnen, erhielt er eine eindeutige Absage.

Und es gibt einen klaren Gewinner, Selahattin Demirtaş, der die Demokratische Partei der Völker (HDP) führt. Sie zieht dank ihrer 13 Prozent als erste kurdisch-linke Partei mit 80 Mandaten ins Parlament ein, wofür es vor allem einen Grund gibt – die HDP hat sich als Hoffnungsträgerin für all jene empfohlen, die statt eines autoritär-präsidialen ein demokratisch-parlamentarisches System vorziehen. So haben viele Gegner von Erdoğan die HDP gewählt, um zu verhindern, dass diese an der Zehn-Prozent-Sperrklausel scheitert und die in der Osttürkei gewonnenen Mandate der AKP zufallen.

Was gleichfalls für die HDP spricht – sie hat bei den Verhandlungen zwischen der Regierung und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vermittelt und viel Kompetenz in der Kurdenfrage demonstriert. Dadurch wurde sie auch für Türken im Westen wählbar. Je nationalistischer im Wahlkampf die AKP-Rhetorik ausfiel, desto mehr wandten sich auch konservative Kurden der HDP zu. Sie hielten ihr zugute, keine klientelistische Kurden-, sondern eine gesamttürkische Partei zu sein, die souverän Themen besetzt und damit nicht nur Kurden ansprechen will. Der es um Demokratie, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit geht. Begünstigend kam hinzu, dass die HDP ihre Listen für ethnische und sexuelle Minderheiten öffnete, kulturelle Pluralität betonte und nun im Parlament den höchsten Frauenanteil haben wird.

Fortan könnte die HDP nicht nur mit der säkularen Republikanischen Volkspartei (CHP) um die türkischen Sozialdemokraten und Linksliberalen konkurrieren, sondern darüber hinaus ein wichtiger politischer Faktor sein. Es gibt sogar die Option, mit der AKP zusammenzuarbeiten, um die Zehn-Prozent-Sperrklausel abzuschaffen, die kulturellen Rechte für Kurden aufzuwerten oder sich über eine generelle Amnestie für PKK-Kader zu verständigen.

Keine Frage, als Verhandlungspartner bei einer Lösung des Kurdenkonflikts ist die HDP einfach unverzichtbar. Freilich setzt dies voraus, dass die neue Fraktion schnell zusammenfindet. Abzuwarten bleibt zudem, inwieweit sich die HDP von der PKK emanzipieren wird. Schließlich kam von den Wählern mehrheitlich ein klares Signal: Profiliert euch als gesamttürkische Partei und distanziert euch von politischer Gewalt, wenn es gilt, die Kurden zu integrieren. Noch liegt ein Verzicht der PKK auf die Sprache der Waffen in weiter Ferne. Sollte es einen Rückfall in alte Konfliktmechanismen geben, könnte die Pro-HDP-Stimmung schnell wieder verflogen sein.

Denn die Stärke der HDP ist zugleich ihre Schwäche. Sie vereint unterschiedliche politische und sozio-kulturelle Strömungen, die für eine plurale, kulturell vielfältige Gesellschaft stehen. Doch gibt es gleichermaßen Gruppierungen, die ein defizitäres Demokratieverständnis oder eine romantisierte Sicht auf den Sozialismus pflegen, die EU auf Imperialismus reduzieren und einen NATO-Austritt der Türkei befürworten. Diese konträre Vielfalt könnte die HDP bei einem konstruktiven Verhältnis zur Regierung und zu anderen Parteien vor Zerreißproben stellen.

Yaşar Aydın lehrt als Dozent an der Evangelischen Hochschule Hamburg

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