A–Z Was haben die Bayern jemals für uns getan? Ein Markus als Kanzler? Ah geh, so a Schmarrn. Was Deutschland bekam, war Helles, Brecht und Bohème. Unser Lexikon
Augsburger Puppenkiste Deutschlands berühmtestes Marionettentheater wurde 1943 von Walter Oehmichen und seiner Frau Rose gegründet. Und hat mir persönlich den lustigsten Versprecher meines Lebens beschert: die Pupsburger Augenkiste. Weil seit dem Ende der Osterferien in Bayern eine Corona-Testpflicht an Schulen gilt, hat das Kultusministerium die Augsburger Puppenkiste mit einem Aufklärungsfilm beauftragt. Er soll Kindern die Angst vor dem Prozedere nehmen. Und so erklärt Dr. Kasperl in derb-bayrischen Dialekt in einem – mittlerweile fast 850.000 mal geschauten – Video kindgerecht, wie man den Selbsttest richtig anwendet. Zunächst hagelte es Kritik aus der Ecke der Coronaleugner, der Shit- wurde aber rasch zum Candy-Storm, nachdem Bernd-das-Brot-E
asch zum Candy-Storm, nachdem Bernd-das-Brot-Erfinder Thommy Krappweis auf Twitter mobilisierte. Inzwischen wird überlegt, ob es Untertitel für das Video geben soll, damit Kasperl auch nördlich von Bayern verstanden wird. Elke AllensteinBBohème In der zweiten Staffel seiner Serie Heimat lässt Edgar Reitz das „Hermännsche“ aus dem Hunsrück zum Studium nach München ziehen. Man schreibt das Jahr 1960; während anderswo die Adenauer-Wirtschaftswunderjahre den Kulturgeist lähmen, trifft der Musikstudent im Künstlerviertel Schwabing auf eine Avantgarde, in der sich noch etwas vom anarchischen Geist der Zwischenkriegsjahre erhalten hat. In seiner typischen Erzählweise, die Leben seiner fiktiven Figuren mit realer Historie zu verflechten, kommen auch die „Schwabinger Krawalle“ von 1962 vor, der viel zu oft vergessene Vorläufer von dem, was 1968 in Berlin seinen Höhepunkt fand. Was man in „Heimat“ auch kennenlernt: die große Depression, die auf eine Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs folgt. Mit der sind die Figuren wieder allein. Wie im richtigen Leben. Barbara Schweizerhof GGastfreundlich Jahrelang hatte ich ein Beratungsmandat bei einem familiengeführten Münchner Hotel. Und auch wenn das schon eine Weile her ist, ist ein ganz bestimmtes Wohlgefühl, gar Liebe, geblieben. Es ist die Form der definierten, ja tradierten Gastfreundschaft. Die Einhaltung von Riten und Haltungen. All das, was in einem Dorf der 60er-Jahre für die Einwohner zum entwicklungshemmenden Fluch wurde, war nun in der von uns definierten Neuzeit ein Segen der eskapistischen Heimkehr an einen wert- und ritenstabilen Ort. Weißwurst (nur vor 12!), das Bier („oa ➝ Helles nimmts der Herr Behmann aber schoa!“) mit dem Raureif am Glas zum geschäftlichen Mittagessen (wenngleich alkoholfrei). Oder der Trachtenjanker statt eines Sakkos.Zusammen mit dem bayrischen Zungenschlag wurde es ein Ort der Heimkehr in der eigentlichen Fremde. War doch dem Norddeutschen früher nichts weiter weg als München (➝ Weißwurstäquator). Der lokale Stolz, bisweilen missbilligend als Arroganz ausgelegt, hat seine Berechtigung. Und wer mit geöffneter Reiseseele dorthin kommt, hat in Bayern sein Platzl gefunden. Jan C. BehmannHHelles O’zapft is! Normalerweise saufen sich Massen auf dem Oktoberfest besinnungslos. Das hat Tradition: Der deutsche Bierbrau-Stolz geht auf eine bayrische Landesordnung zurück. 1516 verkündeten die bayrischen Herzöge, dass nur Gersten, Hopfen und Wasser zur Bierherstellung verwendet werden dürfen. Das Reinheitsgebot war geboren. Allerdings: Wer in München ein Pils bestellt, outet sich als Preuße. Was haben die Römer je für uns getan?, diese Frage beschäftigt in Monty Pythons Das Leben des Brian eine revolutionäre Zelle in Judäa. „Wein“, lautet eine Antwort. Aus Bayern kommt jedoch nicht nur Gebräu, auch die Biergärten entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts im Münchner Raum. Ben MendelsonKKarl Valentin 1882 in München geboren, bayrischer Komiker, Autor, Volkssänger, Filmemacher. Brecht und Tucholsky verehrten ihn. Alfred Polgar sah in Valentins gläserloser Brille unvergleichliche Komik. Dieses Aneinandervorbeireden mit seiner Bühnen- und Lebensgefährtin Liesl Karlstadt, sein Wörtlichnehmen der Sprache, das alles ad absurdum führt – die Wörter, Behörden, Mitmenschen, sich selbst. In der Nazi-Zeit nahezu verstummt, ist er, als er 1948 verstirbt, fast vergessen. 2005 feiert die New York Times Karl Valentin als „Charlie Chaplin Deutschlands“. Für andere bleibt er „der Großmeister des Absurden der deutschen Sprache nach Nestroy“. Helena NeumannLLinkssein Sie wollen sich wie ein echter linker Revolutionär fühlen? Nirgends ist der Start leichter als in Bayern, dem Land der CSU und der BMW-Fahrer, in dem die Hufeisentheorie guter Ton und „law and order“ politische Zielsetzung ist. Hier reicht es schon, einem CSU-Kandidaten auf einem Wahlplakat einen Schnurrbart zu malen, zum Chiemsee-Reggae-Summer zu gehen und zu kiffen. Zack, schon ist man links. Und mit der Forderung nach einer Erbschafts- oder Vermögenssteuer werden Sie in Bayern problemlos Salonlinker. Ein ganz wunderbares Gefühl, so unkompliziert Rebell werden zu können. Die Kehrseite: Der Wegzug aus Bayern kann mit Minderwertigkeitskomplexen einhergehen. Hat man sich in Bayern noch links gefühlt, ist man das in Berlin oder Leipzig vielleicht gar nicht mehr. Dann hilft nur die Rückbesinnung auf das große Erbe: Ich bin aus Bayern, dem Land Kurt Eisners und der Münchner ➝ Räterepublik! Benjamin KnödlerMMaximilian Kriegsglück machte Bayern zu dem, was es heute ist – oder wofür es sich hält. Mit der kaiserlichen Ernennung zum Kurfürstentum wurde Bayern zum absolutistisch-stolzen Herrscherstaat. Als die Pfalz – mit der Oberpfalz gehört ein Teil davon nun zu Bayern – nach der Krone in Böhmen griff, schickte Herzog Maximilian I. von Bayern (1573 – 1651) sein Heer zur Strafexpedition. Es besiegte die protestantischen Usurpatoren in der Schlacht am Weißen Berg – dem ersten Militärkonflikt des Dreißigjährigen Krieges. Auch in anderen Scharmützeln dieses Krieges zeigten sich Maximilians Männer erfolgreich. Zum Dank wurde er zum Kurfürsten ernannt. Maximilian war der erste absolutistische Herrscher Bayerns. Er stülpte dem Land seinen persönlichen Marienkult über, wies wie mit einem Kreuz-Erlass das Aufstellen der Mariensäule in München an. Dabei hatte er sich vor allem auf den Kriegsgott Mars verlassen können. Von diesem leitet sich der Vorname Markus ab. Tobias PrüwerRRäterepublik Dass Kurt Eisner aus dem Königreich einen Freistaat machen und Niekisch, Mühsam, Toller und Co 1919 in Bayern eine Räterepublik wagen konnten, ging mit auf die dortige Lesart der elenden Kriegsjahre zurück: „Der Kaiser und die Preußen, so die weit verbreitete Meinung, sind Schuld an den unerträglichen Zuständen, und auch die Loyalität zum bayrischen König, der ‚dem Kaiser in den Arsch kriecht‘, schwindet rapide“, so Günther Gerstenberg im tollen Buch Der kurze Traum vom Frieden. Bis heute hilft dieses offiziell leisegetretene Erbe bayrischen Heranwachsenden, das ➝ Linkssein zu wagen. Niedergemäht wurde die Räterepublik von Truppen aus Preußen. Aber da kamen Eisner, Mühsam und Co ja auch her. Sebastian PuschnerTTatort In München ermitteln für die ARD die Hauptkommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr, ihr Assistent ist der Kalli Hammermann. Der Kroate Batic hat einen untrügbaren Gerechtigkeitssinn, für den (und für die Liebe natürlich) er regelmäßig seine Kompetenzen überschreitet, öfter herzzerreißend die Contenance verliert. Dann muss ihn der Lakoniker Leitmayr von der Wut-Palme holen. Der Franz hat seine Emotionen aber auch nicht immer im Griff und Optimist Kalli enerviert seine ideell oft heimatlosen Chefs mit seinem herzlich pragmatischen Zugriff.Die Grantler sind seit über 25 Jahren Kollegen und mir sehr ans Herz gewachsen, so als wären sie echt, ein bisschen bin ich verliebt. Ich wüsste auch tatsächlich auf Anhieb nicht die Namen der Schauspieler zu sagen. Katharina SchmitzVVerdienter Feind Es gibt in Deutschland nicht viele Politiker, die längst tot sind, niemals Kanzler waren und die trotzdem immer noch jeder kennt. Franz Josef Strauß ist so einer. An ihm scheiden sich immer noch die Geister: für die einen ein kantiger Konservativer, für die anderen ein gnadenloser Populist. Je weiter man in der Republik nach Norden geht, umso stärker wird die Ablehnung. Am oberen Ende der Republik, in Hamburg, steht Strauß immer noch auf der untersten Stufe der Beliebtheitsskala. Kein Wunder. Er ist in jeder Beziehung das Gegenteil des Stadtheiligen und Ex-Kanzlers Helmut Schmidt. Nur eine Feindschaft ist noch epischer: Die zwischen dem HSV und dem FC Bayern. Philip GrassmannWWeißwurstäquator Ich komme aus Schleswig-Holstein. Für uns fing – das war völlig klar – Bayern direkt hinter der Elbe an. Später habe ich in Frankfurt/Main gelebt und musste feststellen: Der Weißwurstäquator, die Grenze zu Bayern, lag immer noch südlich. Noch etwas fiel mir auf: Bayern war geschrumpft – von einem amorphen „alles dahinten“ zu einem relativ klar konturierten Gebilde. Was die Frage aufwirft: Verhält es sich mit Bayern wie mit Herrn Tur Tur aus Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer? Ist Bayern ein Scheinriese? Wird es kleiner, je näher man kommt? Verliert es an Bedeutung, je schärfer man hinsieht? Fällt es in sich zusammen, wenn wir gemeinsam konzentriert nach Süden starren in den nächsten Wochen und Monaten? Und wie steht es mit dem Weißwurstäquator? Vielleicht könnten wir ihn einfach aufessen (selbst Norddeutschen schmecken Weißwürste), dann hätte Bayern keine Grenze mehr und wäre entweder grenzenlos und überall oder vollständig weg. Wollen wir das mal probieren? Kirsten ReimersZZuflucht Die findet der 17-jährige Oskar Maria Graf, der Prügel des älteren Bruders entkommen, in einer Münchner Pension. Ein Dichter möchte der Bäckerbub aus der Provinz werden, die ersten zwei Dramenmanuskripte hat er bereits für teures Geld abtippen lassen. Doch kein Verlag will sie drucken. Bis zum literarischen Erfolg wird es noch Jahre dauern. In der Großstadt wird er nur schwer heimisch, trotz Anschluss an die Schwabinger ➝ Bohème. 1933 zwingen ihn die Nazis ins Exil. Graf landet in New York, wo er einen Stammtisch wie in der Heimat unterhält. Ein bekanntes Foto zeigt ihn, breit lachend und einen Humpen stemmend, mit dem schmächtigen Brecht: zwei Bayern in der Fremde. Wo es, wie er schreibt, „bessere Weiß- und Bratwürste gibt“ als in München. Nach Bayern kommt er nur noch als Besucher. Oskar Maria Graf stirbt 1967 in New York. Joachim Feldmann
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