Vier von fünf Kindern geht es hier prächtig

Tal der Träumer In den Sandkästen des Silicon Valley spielen schon die Jüngsten „Risikoinvestor und Entrepreneur“
Ausgabe 34/2016
Palo Alto, Spielplatz für die Investoren von morgen
Palo Alto, Spielplatz für die Investoren von morgen

Foto: Hans Blossey/Imago

Am Sonntagmorgen um acht im Mitchell-Park in Palo Alto. Die Uni-Kaderschmiede Stanford liegt keine zehn Uber-Fahrtminuten nördlich, die gläserne Alphabet-Zentrale, ganz liebevoll Googleplex genannt, nur einen Spaziergang südlich. Dazwischen wohnen die Gewinner des letzten Dotcom-Booms, Investoren, und alle, die sich sonst noch ein Haus für 15.000 Dollar pro Quadratmeter leisten können. Wir spazieren an einem Sandkasten vorbei, in dem drei Kinder, kaum zehn Jahre alt, eine hitzige Diskussion führen.

„Oh Mann, bin ich froh, dass ich in Annies neue Rohstoff-Unternehmen investiert habe! Die Profite machen mich reich!“ Da wird der kleine Christopher recht ungeduldig: „Kann ich dir deine Anteile abkaufen? Annie sagt, dass ich keine Anteile mehr von ihrer Firma haben darf. Ich will auch in das Unternehmen investieren, aber sie lässt mich nicht!“

Als ich in dem Alter war, haben wir Cowboy und Indianer gespielt. Das ist natürlich heute sehr verpönt, weil durchsetzt mit rassistischen Untertönen und Kulturappropriation. Eigentlich also gut, dass sich die Kinder hier die Variante Risikoinvestor und Entrepreneur ausgedacht haben. Aber vielleicht nehmen sie ihre Rollen doch etwas zu ernst.

„Annie, mehr als 50 Prozent deiner Firma darfst du niemals jemanden haben lassen, sonst können sie dir vorschreiben, was du zu tun hast. Ich habe nur 30 Prozent von Christophers Firma.“ Annie ist unbeeindruckt: „Du musst niedrig kaufen und hoch verkaufen, so funktioniert das eben. Das mit dem niedrig Kaufen funktioniert. Das mit dem hoch Verkaufen funktioniert richtig gut! Na ja, nicht wirklich gut, aber es schüttet super viel Profit aus.“ Aus ihrer fiktiven Sandkasten-Bank heraus reichen sich die Kinder fiktive Firmenanteile. Sie sind so vertieft und überzeugt von dem Rollenspiel in ihrer Scheinwelt wie, na ja, wie Erwachsene eben auch.

Noch etwas weiter südlich liegt San Jose, wo die Dinosaurier der digitalen Ära leben: Adobe, Ebay, Paypal und generell Firmen, die älter sind als die Sandkasteninvestoren im Mitchell-Park. In der Mitte von San José, gegenüber dem Streichelzoo „Happy Hollow“, liegt „der Dschungel“: einst ein grüner Park, dann eine Zeltstadt mit 300 Einwohnern. Statt alternder C-Promis mit recht vagen Comeback-Träumen hausten hier Familien ohne festen Wohnsitz. Bis die Stadt das Dschungelcamp vor zwei Jahren räumen ließ. In Silicon Valley lebt immer noch jedes fünfte Kind in Armut. Den anderen vier geht es prächtig, nur die Realität auf der Halbinsel ist für sie eine andere.

Eine Freundin aus der Gegend erzählte mir neulich, während sie den Lebenslauf ihres vierjährigen Sohns verfasste und dann seine Bewerbungsunterlagen für die Vorschule zusammensuchte, wie in seinem Kindergarten einmal Nahrungsmittelspenden gesammelt wurden. Ein Junge verstand nicht so recht, warum er einen Extra-Laib Brot und Marmelade von zu Hause mitbringen sollte.

„Na, weil einige Familien nicht so viel zu Essen haben wie wir“, erklärte die Lehrerin. Der Junge machte große, verständnislose, Augen. „Hä? Wieso bestellen die sich dann nicht einfach was bei Amazon Fresh?“

Manuel Ebert hat Neurowissenschaft in Osnabrück studiert. Er lebt und arbeitet als Berater in San Francisco

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Geschrieben von

Manuel Ebert

Manuel Ebert ist Autor, Ex-Neurowissenschaftler, und Data Scientist. Seine Consulting-Firma summer.ai berät Firmen in Silicon Valley.

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