Von Proletariern über Pippi Langstrumpf bis Punica: Unser Lexikon über Limonade
A-Z Punica verschwindet aus den Regalen, der Fruchtsaft wurde einst durch Kohlensäure zur Limo. Doch woher kommt das Sprudelgas? In Wien konnten Frauen zuerst nur in Gifthütten Brause trinken, in italienischen Bars ist „non alcolico“ elegant
Edler Tropfen: Ist die Zeit sprudeliger Limonade vorbei?
Foto: Philotheus Nisch
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Abstinenzler Muslimen droht das Höllenfeuer. Christen, tränken sie mehr als den Schluck Messwein beim Abendmahl, müssen beichten, um Verdammnis zu vermeiden. Aber die eindringlichste Warnung vor dem exzessiven Alkoholgenuss bekamen Proletarier von Victor Adler zu hören: „Der denkende Arbeiter trinkt nicht – der trinkende Arbeiter denkt nicht!“ Der Kaffee schlürfende Bourgeois musste nüchtern kalkulieren, der klassenbewusste Prolet nun bei klarem Verstand kämpfen. Erst wurde der verführerischen „Schnapswohlfeilheit“ in Arbeiterkneipen mit billigem Bier aus Großbrauereien begegnet. Dann kamen die alkoholfreien Getränke als Alternative auf die Karte. Die Limonaden, wie Coke (➝ Dirty Pleasure) etwa, industr
e Coke (➝ Dirty Pleasure) etwa, industriell gemixt aus Wasser, Zucker und Aromaextrakten, schienen den linken Abstinenzlern eine brauchbare Alternative. Nun ist auch die Limonade als Feind erkannt: Die Limonadensteuer in England soll den ungesunden ➝ Zuckerkonsum reduzieren. Michael Suckow BBar Es war mein erstes Mal in Venedig, wir gingen in die Vivaldi-Kirche und schlenderten abends nach Cannaregio, dort suchten wir uns dann eine Bar. Ich war im dritten Monat schwanger, es war Sommer, es war Venedig, Zeit für Aperitivo. Wie soll das gehen, in eine Bar ohne Drink?, dachte ich. „Non ti preoccupare“, erklärte mein Begleiter. Wir fanden diese kleine Bar gleich am Kanal. Die Signora hinter der Theke sah aus wie in einem Fellini-Film, grell geschminkt, blondiert, mit dem Carabiniere plaudernd, der gerade sein Feierabendbier trank. „Ich hätte gern einen Aperitivo, aber non alcolico“, sagte ich (➝Abstinenzler). „Crodino Spritz?“, fragte sie routiniert. Die Kräuterlimo leuchtete so orange wie Aperol. Die Signora nahm ein Weinglas, kippte dann alokoholfreien Sekt, O-Saft, Eiswürfel hinein. Eine Orangenscheibe. Ein Drink wie eine Trophäe. Maxi Leinkauf DDirty Pleasure In Juli Zehs Gesellschaftsroman Über Menschen gibt es diese Figur Dora, die ihre Überforderung angesichts all der moralischen Ansprüche mit kleinen Umweltsünden kompensiert. Es scheint ihr „Dirty Pleasure“. Obwohl, wie ein schuldiges Vergnügen wirkt die falsche Mülltrennung nicht. Mehr wie eine Genugtuung ohne Sinn, einfach aus Groll. Ein verständlicher Impuls.Ich denke an T, mit dem ich schon öfter eine Städtereise unternahm. Kathedrale, Museum, Park, abends noch auf den Glockenturm. Täglich mindestens 15.000 Schritte in der App. Reisen im 21. Jahrhundert. Und wäre das nicht alles schlimm genug, gönnt sich T dann gerne mal eine Coca-Cola. Vielleicht. Denn T hat sein Verlangen unter Kontrolle. Im Gegensatz zu mir. Ohne ihn käme ich zwar gar nicht erst darauf, eine Cola zu trinken. Aber sobald sie Thema ist, bekomme ich riesigen Cola-Durst. Ts „Dirty Pleasure“ folgt jedoch Prinzipien. Er trinkt die Coke nämlich nur stilecht aus der bösen Dose. Und wenn es im Laden keine gibt, kauft er sich eben die dritte Plastikflasche Wasser (0.5 l). Aus Prinzip hole ich mir dann immer die Coke. Katharina SchmitzFFassbrause Sie gehört zu den intensiven Erinnerungen meiner Leipziger Kindheit. Immer wenn meine Mutter mit mir zum „Schützenhof“ wanderte, einem Gasthaus im Leutzscher Holz, kaufte sie mir ein Glas für 20 Pfennig. Es kitzelte in der Nase und am Grund des Glases tauchte ein Krönchen auf, wahrscheinlich eine Brauereiwerbung. Für mich hatte das was Märchenhaftes (➝ Pippi Langstrumpf). Zu Hause tranken wir so was nie, manchmal aber Malzbier im Krug aus der Kneipe nebenan. Als ich später in Berlin studierte, trank ich manchmal Brause vom VEB Spreequell, zum Beispiel Citrus oder Maracuja. Die gab es nicht immer überall. Nur bei Bier gab’s nie Engpässe, worüber gern gescherzt wurde. Magda GeislerKKohlensäure Dieser Odem der Freiheit bei jedem Zischen, er wäre uns 2022 beinah abhandengekommen. Warum? Weil infolge der Energiekrise die Düngemittelherstellung in Schwierigkeiten geriet und unser herzallerliebstes Erfrischungsgas als Nebenprodukt daraus hervorgeht. Lernen durfte man dies neulich bei Wer wird Millionär? für 125.000 Euro. Worauf das Vorzeigebildungsprogramm keine Antwort gab: Was passiert im utopischen Fall, wenn keine Chemie mehr auf dem Acker landet? Gibt es dann nur noch abgestanden schmeckende Limonade? Zuckergenuss lebt ja vom Moment des Konsums. So muss man es wohl vorerst mit dieser Frage halten. Björn HayerLLimonadenzelte Bei Freiluftausschank denken die meisten an Bierzelte und -gärten. Tatsächlich gab es im 18. Jahrhundert in Wien bereits solche luftigen Orte, in denen andere Erfrischungsgetränke gereicht wurden. Vorm Kaffeehaus am innerstädtischen Boulevard am Graben wurde 1754 das erste Limonadenzelt eröffnet. Neben dem Fruchtwasser wurde auch Eis angeboten. Andere Kaffeesieder übernahmen diese Idee, und bald zogen viele solcher Zelte, auch Gifthütte genannt, die Menschen an, gerade Frauen. Die Kaffeehäuser durften damals nur Männer besuchen. Um trotzdem Umsatz zu machen, sollten Frauen draußen verzehren. Aus den Limonadenzelten entwickelte sich später der sogenannte Schanigarten, ein von Pflanzkübeln abgesteckter Bereich vor vielen Wiener Gastwirtschaften. Schani war der Name für den Rangniedrigsten des Personals. Seit 1840 dürfen Frauen ihre Limonade auch inhäusig ordern. Tobias PrüwerMMel Ramos An dem Kalifornier entzünden sich bis heute Diskussionen. Der Pop-Art-Künstler malte aufreizend lächelnde Pin-ups, Lustobjekte, durch Schlüssellöcher gesehen, die sich auf riesigen Konsumprodukten räkelten und die auch in seinen Unfinished Paintings, Persiflagen klassischer Aktbilder von Ingres, Manet oder Modigliani, auftauchten. War Ramos ein Frauenfeind? Ein plakativer, erotischer Fantast? Oder ein postmodern-ironischer Kritiker der sexualisierten Werbewelt? Über diese Fragen wurden Doktorarbeiten geschrieben. 2017, kurz vor seinem Lebensende, wurde Ramos noch für die österreichische Traditions-Limonade Almdudler aktiv – und malte das Werk Almdudler’s Fabulous Blonde im klassischen Ramos-Style.„Das Design der Almdudler-Flasche ist einzigartig und die besondere Struktur des Glases wiederzugeben, war eine Herausforderung.“ Das Gemälde ist unverkäuflich. Signierte Drucke in einer 120er-Auflage gibt es für 6.000 Euro. Marc Peschke PPippi Langstrumpf Was faszinierte uns an Pippi Langstrumpf? Ihre Stärke und Anarchie, ihre Menagerie samt Äffchen und Pferd? Die Tasche voller Geld? Dass sie allein in der Villa Kunterbunt zurechtkam? Wir hatten kein Äffchen, kein Pferd und keine Geldtasche. Wir liebten es aber, Geschichten aus Büchern nachzuspielen. Was also tun? Der hohle Baum, den wir draußen fanden, war die einzige Requisite, die wir uns basteln konnten, eben ein Limonadenbaum. So schleppten wir heimlich Limonadenflaschen aus dem Keller und versteckten sie darin, um sie wieder herauszuholen und – wenigstens einen Limonadenbaum zu haben wie Pippi! Meine Schwester, die gern bestimmte und deshalb Pippi war, hatte sogar an den Öffner gedacht. Beate TrögerSSelfmade Was immer die Werbung verspricht; am erfrischendsten ist noch immer das kühle Glas Wasser in das mit letzten Kräften eine halbe Limette gequetscht wurde, je nach Gusto mit einem Stroh- oder besser Glashalm (➝ Trinkhalme), eine Prise Zucker verteilt ist und auf dem zu guter Letzt ein Basilikumblättchen schwimmt. Keine übertrieben künstlichen Aromaexplosionen knallen in die Geschmackszentren, kein Zuckerschock verschreckt die Bauchspeicheldrüse. Nur eine gemäßigte, wohlmeinende Säure erquickt das ganze Wesen, unterstützt von der leichten Trübung durch die im Nass treibenden Fruchtfleischfetzchen. Das Basilikumblatt, möglichst lange noch auf der Zunge klebend, setzt einen zusätzlichen Akzent mediterran-levantinischen Genusses. Marc OttikerTTrinkhalme „Denn sie sind alt genug, alles zu teilen.“ Mit diesem vieldeutigen Reklamespruch animierte der Nestlé-Konzern in den frühen siebziger Jahren Teenager zum Verzehr seiner Schokopralinen. Die leicht anzügliche Werbung traf den Zeitgeist. Denn Teilen war angesagt.Wenig kam pubertären Wunschträumen näher, als Kopf an Kopf aus derselben Limonadenflasche zu trinken. Mit zwei poppig bunten Trinkhalmen (➝ Selfmade) natürlich. Doch das praktische Röhrchen – vor Jahrtausenden von den Sumerern erfunden, damit beim Biertrinken nur Flüssigkeit in den Mund geriet – gilt in seiner modernen Plastikvariante zu Recht als Umweltpest. Und ist seit 2021 in der EU verboten. Joachim FeldmannVWährungsunion „Exotic“ prangte auf dem Etikett meiner heiß geliebten Maracuja-Brause (➝ Fassbrause). Irgendwann, Ende der 1980er, stand die neue Sorte in der Getränkeabteilung des Konsum. Wahrscheinlich war ich einer der wenigen, die DDR mit „exotisch“ assoziierten. Aber ich war jung – und durstig. Mit der Währungsunion 1990 zog dann auch ein merkwürdiges Wort ins Getränkeregal: Bizzl. Die Bedeutung verstand ich nicht. Aber die Limo leuchtete greller als die DDR-Maracuja. Und die wurde bald sowieso nicht mehr angeboten. Bizzl hingegen kam in zig Sorten. Ich gewöhnte mich an den Namen, der aus einem Comic zu stammen schien: plopp, schluck, bizzl. Viel später merkte ich, dass bizzeln, ein altes Wortes für prickeln, den hessischen Mineralienkonzern inspiriert hatte. Zum Unternehmen gehört heute die Thüringer Waldquell GmbH. Die produziert neben der mit der Währungsunion verschwundenen Vita Cola auch eine Limo-Sorte Maracuja, die an die einstige DDR-Brause erinnert. TPZZuckerplörre Nun hat es Punica erwischt: 1977 vom Safthersteller Dittmayr auf den Markt gebracht, wechselte die Marke häufiger den Besitzer. Jetzt teilte die PepsiCo mit, die Marke einzustellen, die Produktion lief schon im Herbst aus, Restbestände verschwinden aus den Regalen (Ein Punica-Fake-Account mit inzwischen 24.000 Followern warnt auf Twitter vor Ladendiebstahl!). Das zeigt im Big Picture aber auch, dass die Zeit der Zuckerdrinks vorbei ist (➝ Abstinenzler). Bewusste Ernährung kommt in vielen Bevölkerungsschichten an. Das ist ein gutes Zeichen. Ich stamme aus einer Zeit, in der viele Kinder noch mit diesen fruchtigen, süßen Getränken wie mit Wasser versorgt wurden (Capri Sonne heißt heute Capri Sun). Die Folgen, weiß man längst, sind allgemeine gesundheitliche Probleme und Übergewicht. Also endlich Schluss mit der Zuckerplörre! Jan C. Behmann