Wahlslogans

A–Z „Sie kennen mich“, sagte Angela Merkel, und Konrad Adenauer wollte bekanntlich „Keine Experimente“. Mancher Spruch war aber nicht nur Bruch, sondern Verbrechen
Ausgabe 28/2021
Wahlslogans

Foto: Imago Images

A

Adenauer Er war zwar nicht Spiritus Rector des Wahlslogans „Keine Experimente“ – die Zentrumspartei erfand ihn schon 1932 (Recycling) –, aber Bundeskanzler Konrad Adenauer stimmte dem Werbefachmann, der den Spruch 1957 aus der historischen Versenkung holte, mit den Worten zu: „Wenn die Reklamefritzen dat meinen, dann machen wir dat so.“

Der Wahlspot jener Zeit beginnt mit den Worten: „Am Pult der Hebel und der Schalter regiert ein kluger Mann den Staat.“ Ein stilisierter Konrad steuert da die CDU zur absoluten Mehrheit von 50,2 Prozent. Kein Wunder, dass CDU-Politiker sich da gern noch mal bedienten, mit kleinen Updates. Angela Merkels „Sie kennen mich“ war eine Variante des gleichen Modells. Das Wahlprogramm 2021 ist auch nicht fern davon: „Stabilität und Erneuerung“ heißt es. Auf welche der beiden Forderungen wird der Kanzlerkandidat wohl setzen? Magda Geisler

H

Haut Ein konventioneller Politiker ist Thomas Krüger nie gewesen, aber auf diese Idee muss man trotzdem erst mal kommen: Im Wahlkampf um den Einzug in den Bundestag im Jahr 1994 ließ der SPD-Politiker alle Hüllen fallen. Dazu der Slogan „Eine ehrliche Haut“. Die (beabsichtigte?) Wirkung war groß: Der rote Nackedei dominierte die Schlagzeilen. Social Media gab es damals noch nicht, wer weiß, was dort sonst los gewesen wäre? Am Ende war Thomas Krüger erfolgreich und zog in den Bundestag ein. Trotzdem: In seiner Haut stecken mochte man damals nicht unbedingt. 2017 zitierte der Berliner SPD-Kandidat Tim Renner seinen Vorgänger Thomas Krüger in einem Video und trat ebenfalls nackt vor die Wähler. Diesmal allerdings ohne Erfolg: In den Bundestag schaffte er es mit der Aktion am Ende nicht. Philip Grassmann

I

Inder Rassismus gehört in vielen Demokratien zum Wahlkampf, auch in Deutschland. Das betrifft nicht nur Rechtsaußen-Parteien. Um die Jahrtausendwende führte die Union eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, der FDP-Politiker Jürgen Möllemann wurde für antisemitische Äußerungen kritisiert. Im NRW-Wahlkampf 2000 sagte CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers in einem Interview: „Statt Inder an die Computer müssen unsere Kinder an die Computer.“ Als wären Migration und gute Bildung ein Widerspruch. Die Republikaner machten sich seinen Gedanken zu eigen und plakatierten die unverhohlen rassistische Parole „Kinder statt Inder“.

Die AfD übernahm von der NPD unter anderem 2013 die Losung „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“. Ein Spruch, den 2015 dann auch der damalige CSU-Chef Horst Seehofer von sich gab. Geschmacklosigkeit kennt übrigens keine Grenzen: Die NPD plakatierte vor dem Jüdischen Museum in Berlin 2011 den Aufruf „Gas geben!“. Freilich ist dumpfer Rassismus kein alleiniges Privileg rechter Parteien, wie etwa die Fälle Thilo Sarrazin und Boris Palmer zeigen. Und für welche Partei kandidiert eigentlich noch mal der Verschwörungs-Schwurbler Hans-Georg Maaßen? Ben Mendelson

K

Klima Mit scharfem Slogan stemmten sich die Grünen 1990 gegen den deutsch-deutschen Taumel. „Alle reden von Deutschland“, texteten sie. „Wir reden vom Wetter. Für ein besseres Klima.“ Das war deutlich und mutig. Kann also niemand sagen, der Klimawandel sei „aus irgendeinem Grund plötzlich ein weltweites Thema geworden“, wie Armin Laschet anno 2019 äußerte.

Machtpolitisch gesehen gewannen die Grünen damit keinen Sonnenblumentopf. Sie flogen aus dem Bundestag. Es folgten Streitigkeiten, Radikalökologen und Ökosozialisten verließen die Partei. Das Bündnis 90 aus der Wende-Opposition konnte die Strahlkraft nicht verstärken. Die Grünen schalteten auf Realo und weniger auf Klimarettung. Zwar konnten sie Ökosteuer und Dosenpfand für sich verbuchen, aber sie trugen auch Kosovo-Krieg und Hartz IV mit. Tobias Prüwer

L

Leine „Nehmt den Wessis das Kommando“: Auf dem dazugehörigen Plakat der Linken in Sachsen-Anhalt führt ein Kind einen Hund an der Leine. Ein missverständliches Bild. Und die Ost-West-Polarisierung (Socken) sorgte für Einspruch landauf, landab. Das Plakat kam nicht zum Einsatz, traf aber den Nerv jener, die sich im Osten als Bürger zweiter Klasse fühlen – 33 Prozent laut „Einheitsbericht“. Das Kommando haben nicht die „Wessis“, sondern das Kapital. Der Beitritt der DDR zum politischen System der BRD war Ergebnis einer Wahl. Irmtraud Gutschke

R

Rechter Haken Das Schicksal, auf den harten Oppositionsbänken ausharren zu müssen, hat die Union nicht oft ereilt. Als sie in den 1970ern dort hockte, wurde sie so zappelig, dass sie auch bildlich zu härteren Bandagen griff. „Freiheit statt Sozialismus“, mit dieser Parole stieg im Wahlkampf von 1976 ihr Kanzlerkandidat Kohl gegen Schmidt in den Ring.

„Komm aus deiner linken Ecke“, so lautete ein Slogan, der erst mit dem dazugehörigen Plakat seine Wirkung entfaltete. Auf dem blickte einem nicht Kohl in Boxhandschuhen entgegen, sondern ein honigblond gelocktes Model namens Chris. Im sexy Sportdress, ohne Zigarette, aber lässig mit Blume im Mundwinkel und herausforderndem Blick passte sie so gar nicht zum Hausfrau-und-Mutter-Ideal der Union. 2012 recycelte (➝ Recycling) die CDU in Hessen, dem Mutterland der Stahlhelm-Fraktion, das Plakat als Statement gegen die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung. Nur die Boxhandschuhe von Chris waren jetzt blau und nicht grün. Martina Mescher

Recycling Worin unterscheiden sich der Wiener Kanzler Kurz und seine Hassliebe Kickl? Nicht in der Eigenwerbung: Sie traten 2019 mit einem identischen Slogan an, der ursprünglich von Jörg Haider stammte. Und auch hierzulande ist der Phrasenvorrat endlich: 2014 wollte Bodo Ramelow „nicht alles anders“, aber „vieles besser“ machen – und bediente sich bei jenem SPD-Kanzler, von dessen Verdammung die Linkspartei lebt. Witzig?

2017 trat Armin Laschet unter dem Motto „Zuhören. Entscheiden. Handeln“ an. Stammt das von Schröders Kampagne 1994? Oder war es, wie Laschet versicherte, eher umgekehrt: Er habe den Satz immer schon benutzt? Egal: Wen kratzen im Wahlkampf schon Plagiate? Das verbreitete Slogan-Recycling verweist nicht nur auf schlechte Spin-Fabriken, sondern passt auch zu einer allgegenwärtigen Politik der Scheinalternativen. Und nebenbei führt es jenen Kurz-Kickl-Haider-Spruch ad absurdum: „Einer, der unsere Sprache spricht.“ Velten Schäfer

S

Socken Die „Rote Socken“-Kampagne der CDU im Bundeswahlkampf 1994 ist heute legendär. Für den damaligen CDU-Generalsekretär Peter Hintze, Initiator des Slogans „Auf in die Zukunft ... aber nicht auf roten Socken“, war das Plakat mit der roten Socke – an einer Leine aufgehängt mit einer kleinen grünen Klammer – entscheidend für den Wahlsieg der CDU. Mit der Kampagne, so Hintze, habe die Union die Ausbreitung einer „unter einem Protestmäntelchen getarnten linksradikalen Partei“, der PDS, verhindert.

Vergessen war die 1990 mit Pathos vollzogene Vereinigung von West- und Ost-CDU, verdrängt der regimetreue Sozialismus der Ost-CDU. Die verkündete kurz vor der Wende, als Oppositionelle noch verprügelt wurden, zum 40. DDR-Geburtstag: „Allein der Sozialismus gewährleistet Sicherheit und Geborgenheit. Dabei soll es bleiben.“ Angelehnt an antikommunistische Wahlplakate der frühen Adenauer-CDU, stieß Hintzes Kampagne wegen der Polarisierung und mit Blick auf die Ost-CDU auch innerparteilich auf Kritik. Helena Neumann

V

Verballhornung Sie war das Schicksal fast aller Losungen, die die Partei- und Staatsführung der DDR unter das Volk brachte. Einer jener Sprüche wird der Zittauer Weberin Frida Hockauf zugeschrieben, die 1953 gesagt haben soll: „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“ Das war wenig glaubhaft, sie war nur das Sprachrohr und sehr fleißig. Der Volksmund dichtete Hockaufs Spruch immer wieder um. Letzte Variante: „Wie wir heute arbeiten, nützt uns morgen auch nichts“, oder ähnliche Scherze. Sie war die weibliche Variante eines gewissen Adolf Hennecke, der Jahre zuvor im Steinkohlenschacht die Norm mit über 300 Prozent erfüllt hatte. Später war er Mitglied der Staatlichen Plankommission.

Auch die fleißige Textilarbeiterin wirkte nicht mehr lange am Webstuhl. Sie stieg auf, hielt fürderhin als Volkskammer-Abgeordnete Reden zum Thema und arbeitete in der Verwaltung. So was sprach sich auch in der DDR herum. „Arbeite mit, plane mit, regiere mit“ – das war eine Losung, die an manchen Kneipentischen zu später Stunde mit Hilfe einer Art Finger-Ballett nachgestellt wurde. Einer fordert die anderen am Tisch auf, die Hand von vorn gegen die Tischkante zu pressen, wobei Daumen und kleiner Finger unter dem Tisch bleiben und nur die restlichen drei Finger auf der Platte liegen. Dann werden auf Kommando die einzelnen Finger gehoben. Zeigefinger: „Arbeite mit“, Mittelfinger: „Plane mit“, Ringfinger: „Regiere mit“. Na, versuchen Sie mal, was da herauskommt. Magda Geisler

W

Wohlstand Ein gutes Leben in Sicherheit, wer wünscht sich das nicht? „Wohlstand für alle“ – 1957 hat die CDU tatsächlich diesen Wahlslogan ausgegeben. Ludwig Erhard (von ihm stammt das gleichnamige Buch) wurde damit Vizekanzler unter Adenauer und sechs Jahre später Bundeskanzler, ungeachtet seiner Verstrickung mit dem NS-Regime.

Das Versprechen passte zu den Wirtschaftswunderjahren, als die BRD mit Hilfe des Marshallplans prosperierte, was ihre Anziehungskraft gegenüber dem „Ostblock“ stärkte. Dort lebten viele mit dem Sehnsuchtsbild vom goldenen Westen, selbst als es real schon angekratzt war. Der Frust in den neuen Bundesländern hat auch mit Enttäuschung zu tun (Leine). Die CDU wird im Sinne sozialer Marktwirtschaft gewählt. Als 2009 eine Studierendeninitiative „Reiche Eltern für alle“ forderte, klang das wunderbar witzig. Können hierzulande etwa alle „reich“ sein? In nicht kapitalistischen Verhältnissen würde Wohlstand wohl anders als nur materiell definiert werden. Irmtraud Gutschke

Z

Zauberwort Willy Brandt hat wohl den Slogan schlechthin geprägt: „Mehr Demokratie wagen“. Doch vielleicht hat ihm die Zeit den Slogan auch erst viral ermöglicht. Wie man da wieder hinkommt, wollte ein Basisgenosse in der Reportage Eine Woche mit Willy Brandt (Ruprecht Eser, ZDF 1981) von ihm wissen.

Der Mensch ist mehr Zaungast seines eigenen Erfolges als gänzlich Macher desselbigen. Für Slogans gilt das Gleiche. Warum fand bei Douglas keiner raus, und bei Schlecker war keiner mehr vor Ort? „Sie kennen mich“, warb Angela Merkel. Aber wie kann man jemanden kennen, den man siezt? Das frage ich mich und wähle SPD. Mehr wagen, vielleicht mehr Demokratie. Jan C. Behmann

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