Waschen

A-Z Die Waschmaschine wird 250 Jahre alt. Von Schmusewolle, patriarchalen Leidenschaften und dem tödlichen Wahnsinn der Trommelrotation: unser Lexikon der Woche
Ausgabe 09/2017
Waschen

Bild: Catherine Cabrol/Kipa/Sygma via Getty Images

A

Ambivalenz Der Waschautomat hat nicht nur die Hausarbeit revolutioniert, er wird auch gern als Förderer der Emanzipation (Gender) gefeiert. 20 Jahre nach seiner Erfindung marschierten 10.000 wütende Pariserinnen nach Versailles. Vier Jahre nach der Markteinführung von Persil wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt.

Die Lage ist aber ein bisschen komplizierter. Zunächst wurde das Geschlechterkorsett mitsamt seinen Tätigkeitszuschreibungen noch fester gezurrt, weil das Waschen aus der Öffentlichkeit verschwand. Zur Befreiung vom Heim und vom Herd trug die weiße Ware also nicht bei. Ansonsten technikbegeisterte Männer schalteten auf stur, wenn sie in die Geheimnisse der Reinigungsprogramme eingeführt werden sollten. Vielmehr war es doppelte Bildungsarbeit, die die Frauen befreite: Sie konnten allmählich auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, die Männer lern(t)en, die Waschmaschine zu bedienen. Tobias Prüwer

E

Endlosschleife Nie gab es so viel Waschmittelwerbung wie in meiner Kindheit. Zumindest gefühlt. Die Marken, von denen die meisten Henkel gehören, gibt es noch heute: Persil, Weißer Riese, jedes Kind erinnert die deutschlandweite Wäscheleine, Perwoll. Dieser Spot unvergessen: Eine Frau sieht eine andere mit einem Schal oder Pullover, streichelt darüber und sagt: „Oh, das ist aber weich. Neu?“ – „Nein. Mit Perwoll gewaschen.“ Und prompt drückt die Perwoll-Kundin der Ahnungslosen eine Packung des Waschmittels in die Hand. So geht es leicht variiert drei Mal. Dann sagt eine Off-Stimme: „Perwoll – damit es Schmusewolle bleibt.“ Zumindest eines haben die Werbeleute geschafft: Wenn man das Waschmittel schon nicht gekauft hat – auf die Frage „Ist der neu?“ gab es automatisch nur diese eine Antwort. So witzelte man in den 1980er Jahren. Behrang Samsami

F

Flusensieb Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert – der Bestseller geht seit 2013 um die Welt. Aufräumen und Ausmisten ist zum Lifestyle geworden. Wie so oft bleibt dabei die Basis auf der Strecke, wöchentliches Putzen zum Beispiel. Es soll Menschen geben, die empfinden große Befriedigung ( Intimität) beim Staubsaugen.

Höchstes Glück verspricht die Reinigung des Flusensiebs. Fluse steht laut „Duden“ für Fädchen, Fadenrest und Fussel. Treffender ist die Bezeichnung Kleinteil- oder Fremdkörperfalle, denn das Sieb hält im Kreislauf der Laugenpumpe ab, was den Ablauf stört. Die regelmäßige Reinigung befördert Dinge zutage, die meist sogar wiederverwendet werden können: Haarspangen, Knöpfe, Münzen. Nur die Nylonsocke wandert in den Müll. Leistung, Zuverlässigkeit und Energieeffizienz des Geräts steigern sich mit jedem Vorgang. Was bleibt, ist das tolle Gefühl, dieses komplexeste aller Haushaltsgeräte unter Kontrolle zu haben. Und wer nicht genug bekommen kann, sollte sich einen Trockner zulegen. Dessen Flusensieb muss nach jedem Gang gesäubert werden. Sarah Alberti

G

Gender Hat die Waschmaschine ein Geschlecht? Der Kultursoziologe Georg Simmel verblüffte 1902 sein Publikum mit der These, dass Technik einen Gender-Aspekt hat: Die Kultur der Menschheit sei nichts jenseits von Mann oder Frau, sondern, im Gegenteil, ganz und gar männlich. Obwohl sich die bewegten Frauen der 1920er Jahre viel mit der Hausarbeit und ihrer Rationalisierung (Ambivalenz) befassten, dauerte es noch 50 Jahre, bis die Neue Frauenbewegung Technik als Ausdruck „männlicher Ziele, Wünsche und Leidenschaften“ entlarvte. Auch wenn Männer mittlerweile rote Socken von weißen Babyschühchen trennen können: Industrie 4.0 zieht auch in den privaten Haushalt ein. Ulrike Baureithel

H

Horror So programmatisch der Thriller The Washing Machine (1993, Regie: Ruggero Deodato) titelt, so simpel ist sein Plot. Ein Detektiv untersucht den Mord an einem Mann, dessen Körperteile in einer Waschmaschinentrommel gefunden werden. Windungsreicher sieht sich Uzumaki (2000, Regie: Higuchinsky) an. Im auf einer Mangaserie basierenden Horrorfilm nisten sich Spiralen in der Psyche eines Mannes ein. Er fotografiert gewundene Artefakte, stiehlt sie, sieht sich an Waschmaschinenrotationen (Endlosschleife) satt, bis er tot in einem Wäschetrockner endet. Dann zieht der kreiselnde Wahnsinn die ganze Stadt ins Verderben der Malmström-Spirale. Abgedreht. Tobias Prüwer

I

Intimität Die Waschmaschine gehört im Haushalt zu den Geräten, die von der größten Anzahl an Personen gemeinsam genutzt wird. Sie ist also ein Ding des Sozialen, ein Gradmesser der Intimität und Abhängigkeit. Waren die Waschsalons (➝Zwielicht) in den französischen Filmen und US-amerikanischen Romanen der 1960er und 70er Jahre noch Orte, an denen sich voyeuristisches Verlangen mit gekonnter Selbstinszenierung mischte (niemand hat seither so schön geraucht wie Paul im Waschsalon von Godards „Masculin – Feminin“), stellt das Waschen der Kleidung des Partners innerhalb einer postmodernen Liebesbeziehung nicht selten eine der letzten verbliebenen Routinen dar.

Spricht man in jüngerer Zeit hingegen von der Krise der Postadoleszenz, meint man oft schlicht die Emanzipationsproblematik, die entsteht, wenn längst solvente Erwachsene noch bei den Eltern waschen. Tilman Ezra Mühlenberg

P

Pfarrhaus „Alle Jahre wieder, kommt Frau Pastor nieder“, spottete der Volksmund, aber es wird kein Zufall sein, dass aus den kinder- wie wäschereichen deutschen Pfarrhäusern viele alltagspraktische Erfindungen stammen, ob es der Mehrsortenbaum, die Papiermühle, der Backautomat oder die erste mechanisch betriebene Waschmaschine aus dem Jahr 1766 ist.

Inspiriert von Prototypen aus England (➝Toplader) oder dem Kurland (heute Lettland), baute der Pfarrer Jakob Christian Schäffer eine Flügelschraubenmaschine, die Wäsche in einem Holzbottich zusammenpresste und mittels Kurbeltechnik in heißer Seifenlauge rührte. Ein großer Erfolg wurde das seltsamerweise nicht, nur 60 Mal soll die Maschine nachgebaut worden sein, obwohl Schäffer die Erfindung mit dem Versprechen, in nur zwölf Minuten saubere Wäsche zu schaffen, stark bewarb. Er unterschätzte wohl die Muskelkraft, die Frauen dabei immer noch aufzubringen hatten – und den Geiz ihrer Ehemänner. Sarah Khan

R

Reisen Andere Länder, andere Sitten, gilt auch beim Waschen. In Gegenden mit instabiler Stromversorgung bevorzugen die Menschen Toplader mit handbetriebener Schleuder. Betuchtere präferieren das elektrische Modell, das nach einem Stromausfall einfach weitermacht. Unterschiede gibt es auch beim Pulver, wie multinationale Chemiekonzerne wissen. Sie verkaufen das Mittel in der beliebten 40-Gramm-Packung und mischen ihm blaue Weißmacherkügelchen und Seifenflocken bei, um die bewährten Rezepte der örtlichen Hausfrauen zu imitieren. Bei Ariel musste vor einigen Jahren gar das Packungsdesign geändert werden, weil es Gerüchte gab, das Produkt hätte etwas mit Ariel Scharon zu tun – angeblich ersichtlich am sechszackigen Logo. Sophie Elmenthaler

S

Sonic Youth Auch nach 20 Jahren kann man sich über Mike Mills’ Cover-Einfall für das neunte Sonic-Youth-Album nur freuen: Zwei pubertierende Jungs in blauen Band-T-Shirts mit der titelgebenden Waschmaschine drauf. Mills arbeitet heute vor allem als Regisseur, sein neuer Film heißt 20th Century Women. Washing Mashine wiederum ist ein waschechtes 20th-Century-Women-Album, man höre etwa den Coming-of-Age-Song Little Trouble Girl, den Frontfrau Kim Gordon mit Breeders-Frontfrau Kim Deal singt. „Never saw the devil look so damn clean“, lautet eine schöne Zeile des Titeltracks. Fast noch besser der Satz, den der Autor Jasper Nicolaisen über Kim Gordon und das Album schrieb: „Sie war die erste Künstlerin, die ich nicht haben wollte, sondern die ich sein wollte.“ Christine Käppeler

T

Toplader Mist, ein schwarzer Schlüpfer in der Weißwäsche! Der Topladerbesitzer ist fein raus, entnimmt kurzerhand den Störenfried während des Waschvorgangs. Diese Gattung ist in den neuen Bundesländern häufiger, als Nachfolgerin der in der DDR beliebten Bottichwaschmaschine. Der englische Begriff Toploader meint ein Teekesselchen, eine britische Rockband trägt den Namen, Dancing in the Moonlight war ihr Hit. Warum der Bandname, ist unklar, aber ihr Frontlader, äh, leader, heißt Joseph Washbourn. Gibt es da einen Zusammenhang? Das Urban Dictionary definiert Toploader außerdem als einen Streich, bei dem jemand statt auf die Toilette einer Person auf dessen Waschmaschine geht. Nora Belghaus

W

Wäschekochtopf Ich verursachte den Einzug der Waschmoderne in den elterlichen Haushalt, und das kam so: Als ich mich 1986 ankündigte, war meine werktätige Mutter bereits zweifach mit Kindern gesegnet. Das bald erhöhte Wäscheaufkommen (Pfarrhaus) machte einen Waschvollautomaten nötig, der die gute alte WM66, die weder spülen noch schleudern konnte, ersetzte. Im Grunde war die WM66 ein großer Wäschekochtopf, weswegen einige DDR-Bürger Obst in ihr einkochten. Wer hätte das gedacht? Jedenfalls nicht Wolfgang Bosbach, der bei Wer wird Millionär? an ebendieser Frage aus der DDR-Alltagswelt scheiterte.

So ist das mit den Fakten der Geschichte, bisweilen werden sie hinfortgespült. Zwar wurden seit den 1960er Jahren auch Waschvollautomaten produziert, doch blieb die WM66 bis in die 80er hinein der Standard in vielen DDR-Haushalten. Heute soll das Wunderwerk ostdeutscher Serienproduktion noch in so mancher Gartenlaube laufen und laufen. Nur eben nicht schleudern. Marlen Hobrack

Z

Zwielicht Sie befinden sich häufig an lauten Hauptstraßen, in den Erdgeschossen trostloser 1960er-Jahre-Bauten. Waschsalons strahlen eine gewisse Obskurität aus: gnadenloses Neonlicht, das sich im Linoleumboden spiegelt, schmuddelige Plastiksitze. Und doch fühlt man sich wohl. Weil sich dort Menschen treffen, die kaum verschiedener sein könnten. Verkrachte Existenzen, junge Abenteurer (Reisen), schräge Vögel, die diesen einen Waschgang teilen und über ihn vielleicht ins Reden kommen. So wird der Waschsalon zum Ort der besonderen Geschichten, der in „Mein wunderbarer Waschsalon“ ein Denkmal hat. Der britische Film aus den 1980ern macht den Waschsalon zum Brennglas eines ärmlichen Londoner Viertels, in dem von Liebe, Homosexualität und dem Kulturclash zwischen Einwanderungsgesellschaft und Rassismus erzählt wird. Benjamin Knödler

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