Wer verdient unsere Liebe?

Gaza und Westbank Der Westen liefert ein unglaubliches Beispiel für Ignoranz und Doppelzüngigkeit

Nichts als Ärger machen die Muslime im Nahen Osten. Wir verlangen, dass die Palästinenser sich an demokratische Spielregeln halten, und dann wählen sie die falsche Partei - Hamas. Zusätzlich gewinnt diese Partei einen kleinen Bürgerkrieg und beherrscht den Gaza-Streifen. Aber wir - der Westen - beharren immer noch darauf, mit dem diskreditierten Präsidenten Mahmud Abbas zu verhandeln. Derzeit hat "Palästina" - lasst uns die Anführungszeichen beibehalten - zwei Premierminister. Willkommen im Nahen Osten.

Mit wem können wir verhandeln? Mit wem reden wir? Selbstverständlich hätten wir vor Monaten bereits mit der Hamas reden müssen. Aber wir mochten die demokratisch gewählte Regierung der Palästinenser nicht. Wir hatten von ihnen erwartet, dass sie die Fatah mit ihrer korrupten Führungsspitze wiederwählen. Aber sie entschieden sich für die Hamas, die sich weigert, Israel anzuerkennen oder das völlig diskreditierte Oslo-Abkommen zu befolgen.

Nicht einer im Westen fragte, welches Israel die Hamas denn eigentlich anerkennen müsse. Israel in den Grenzen von 1948? Oder in den Grenzen nach 1967? Oder jenen Staat, der eine große Anzahl Siedlungen auf arabischem Land für Juden und allein für Juden gebaut hat und weiter baut und sich damit immer mehr der verbleibenden 22 Prozent von "Palästina" einverleibt, um das noch verhandelt wird?

So wird heute von uns verlangt, dass wir mit unserem treuen Polizisten, dem Herrn Abbas, reden, dem "gemäßigten" Führer, der ein 600 Seiten langes Buch über Oslo schrieb, ohne auch nur einmal das Wort "Besatzung" zu erwähnen. Und der immer über die israelische "Umgruppierung" statt vom Abzug der israelischen Armee redet. Ein Führer, dem wir vertrauen können, weil er eine Krawatte trägt, im Weißen Haus verkehrt und all die richtigen Sachen sagt, die wir hören wollen.

Die Palästinenser wählten nicht Hamas, weil sie eine islamische Republik wollten, sondern weil sie genug hatten von der Korruption der Fatah des Herrn Abbas und der verrotteten "Palästinensischen Autorität". Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren in das Haus eines Offiziellen dieser Behörde geführt wurde, dessen Außenwände von Einschüssen israelischer Granaten übersät waren. Alles richtig. Was mich empörte, waren die vergoldeten Wasserhähne im Badezimmer. Diese Wasserhähne und anderes mehr kosteten der Fatah mit den Wahlen Anfang 2006 die Regierung. Weil jedoch die Palästinenser auf diese Weise ihr demokratisches Recht wahrnahmen, entschieden wir - der alles wissende, der rundum gute Westen - sie dafür zu sanktionieren und auszuhungern. Vielleicht sollten wir "Palästina" die EU-Mitgliedschaft anbieten, wenn es aus Dankbarkeit dafür die richtigen Leute wählt.

Überall im Nahen und Mittleren Osten ist es dasselbe. Wir hofieren Hamid Karzai in Afghanistan, auch wenn er Warlords und Drogenbarone in seine Regierung aufnimmt, und sind im Übrigen fürchterlich betroffen über alle die unschuldigen afghanischen Zivilisten, die wir im "Kampf gegen den Terrorismus" töten. Wir lieben Hosni Mubarak aus Ägypten, dessen Folterknechte mit den Politikern der Muslimbruderschaft immer noch nicht fertig sind. Wir bewundern Muammar al Gaddafi, den Diktator mit den fixen Ideen aus Libyen - natürlich lieben wir auch König Abdullahs unkonstitutionelle Monarchie in Jordanien und all die Emire der Golfregion, die von unseren Waffenhändlern als Kunden geschätzt und geschmiert werden.

Nachdem der Gaza-Streifen zur Hamas gehört, was werden nun die gewählten Führer des Westens tun? Werden unsere Oberpriester in der EU, der UNO, in Washington und Moskau mit diesen erbärmlichen, undankbaren Leuten reden müssen (keine Angst, das wird nicht passieren, weil sie unfähig sind, denen die Hand zu geben)? Werden sie stattdessen die Westbank-Version als Palästina-Verschnitt anerkennen und die gewählte, militärisch erfolgreiche Hamas in Gaza ignorieren?

Werden wir vielleicht die Wiederbesetzung dieses Gebietes unterstützen? Eines scheint sicher - Israel werden wir nicht kritisieren. Und auch unsere Zuneigung gegenüber den Königen, Emiren, Prinzen und nicht sonderlich appetitlichen Präsidenten des Nahen Ostens wird keinen Schaden nehmen. Wir werden es so halten, bis die gesamte Region vor unseren Augen explodiert. Dann werden wir sagen - was wir heute schon von den Irakern sagen - dass sie unsere Opfer und vor allem unsere Liebe nicht verdient haben.

Der Autor berichtet als Korrespondent vorzugsweise für britische Zeitungen, u.a. den Independent, aus der Region.


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