FREITAG: Ein letzter Verhandlungsversuch zwischen Kosovo-Albanern und Serben ist gescheitert - was kann jetzt die Gründung eines Staates Kosovo noch aufhalten?
REINHARD MUTZ: Die politische Vernunft der Europäer etwa. Der UN-Generalsekretär hat um einen Bericht gebeten. Andere Terminzwänge existieren nicht. Vor allem besteht keine Notwendigkeit, einen unausgegorenen Plan kopflos umzusetzen. Das Kosovo würde auf absehbare Zukunft dasselbe sein wie heute auch - ein Staatsfragment unter internationaler Aufsicht, ein Protektorat. Nur der Protektor hätte gewechselt, von der UNO zur EU. Muss man dafür Belgrad ignorieren, Moskau brüskieren und den Sicherheitsrat links liegen lassen?
Billigt die so genannte Staatengemeinschaft demnächst auch eine Unabhängigkeitserklärung der Repulika Srspka in Bosnien?
Wohl kaum. Aber schon, dass solche Frage jetzt massiv auftauchen, macht deutlich, wie widersprüchlich die internationale Balkanpolitik aussieht. Immer hat der Westen beteuert, keiner ethnischen Homogenisierung Vorschub zu leisten. Genau das unternimmt er nun. Wie souverän wird dieses unabhängige Kosovo denn sein? Souverän genug, um die Vereinigung mit dem souveränen Albanien anzustreben? Mit politischen Tretminen solchen Kalibers ist die Region nur so gepflastert.
Hat es seit 1999, als das Kosovo unter UN-Verwaltung kam, je eine andere Möglichkeit gegeben als die jetzt erwartete?
Die Frage habe ich schon einmal gestellt bekommen, ein knappes Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Damals war meine Vermutung, "dass die unter dem humanitären Banner der Menschenrechte geführte Intervention letztendlich dasselbe Ergebnis zeitigen wird wie Hunderte ordinärer Kriege zuvor: Der Sieger beziehungsweise der Schützling des Siegers erhält, was der Verlierer abtreten muss". So ganz falsch war die Prognose wohl nicht.
Überkommt Sie nicht ein flaues Gefühl, wenn eine dem Völkerrecht widersprechende Statsgründung erfolgt, die Resultat eienr völkerrechtswidrigen NATO-Invasion ist?
Robin Cook, dem früheren britischen Außenminister, wird nachgesagt, er habe sich 1999 besorgt gezeigt, weil seine Juristen die Luftschläge gegen Belgrad für unvereinbar mit der UN-Charta hielten. Die Antwort seiner Amtskollegin Madeleine Albright: Dann braucht ihr eben andere Völkerrechtler.
Das Gespräch führte Lutz Herden
Reinhard Mutz war bis 2006 kommissarischer Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.
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