Wir brauchen weder Gott noch Kaiser

Bühne Barrie Koskys Inszenierung von Henzes „The Bassarids“ sprengt die Komische Oper, überfordert sie aber nicht
Ausgabe 43/2019

Der Weltruf des Regiegenies Barrie Kosky sprengt schon lange die Bedeutung der relativ kleinen Komischen Oper Berlins. Diesmal in doppelter Hinsicht. Ein hundertköpfiges Orchester lässt den Graben platzen, okkupiert die halbe Bühne, auf der nicht viel Raum bleibt für Chor, Tänzer, Solisten, die deshalb in den Zuschauerraum drängen. Das Licht im Saal bleibt an. Denn die da sitzen, werden nicht bloß mitgerissen, sie gehören dazu, sind das Volk von Theben. So etwas nennt man aus der Not eine Tugend machen.

Und was in Hans Werner Henzes Musikdrama The Bassarids verhandelt wird, betrifft auch alle. Es geht um den Kampf zwischen zwei Lebensprinzipien. Vernunft und Selbstbeschränkung auf der einen, Triebhaftigkeit und Freiheitsdrang auf der anderen Seite. Diese Urkräfte treffen in Gestalt des aufgeklärten Königs Pentheus und eines aufrührerischen Fremden aufeinander. Es ist der Gott Dionysos, dessen brutale, dunkle, zerstörerische Seite an der Lust nach Freiheit verkannt wird.

Was ist Revolte?

Dabei lässt Henze auch zwei musikalische Stile aufeinanderprallen, spröde Klänge und rauschhafter Schönklang. Furiose Musik, mit der Henze schon vor einem halben Jahrhundert das Salzburger Bürgertum vor Begeisterung rasen ließ – und darüber tief erschrak. Wollte der linke Komponist doch alles andere denn als Richard-Strauß-Nachfolger bejubelt werden. Er änderte seinen Stil, doch die nach dem englischen Originallibretto The Bassarids genannte Oper blieb seine bedeutendste, sein wahrhaft dionysisches Meisterwerk.

Das wir heute freilich anders hören. „Was ist Repression, was Revolte, was Revolution?“, fragte Henze damals. Der schwule Komponist spürte das Dionysische in sich selbst, ihm ging es auch um die Befreiung unterdrückter Sexualität, der Pentheus aber schließlich zum Opfer fällt. Der ebenfalls homosexuelle Kosky arbeitet diese Dimension des Stücks deutlich heraus.

Die politischen Aspekte kommen dagegen etwas zu kurz. Der Mensch braucht keine totalitäre Autorität, sei es die eines vernünftigen Staats oder einer göttlichen Instanz. Ehe er von seiner im Rausch unwissenden Mutter zerstückelt wird, hat Pentheus die richtige Antwort auf den Lippen: „King and God are not needed.“ Und: „The strong Gods are not good.“ Das alles steckt schon in der zweieinhalbtausend Jahre alten Tragödie des Euripides Die Bakchen, die der Oper zugrunde liegt.

Kosky setzt Musik auf engstem Raum in Bewegung. So changiert die Oper zwischen Oratorium und Tanztheater. Und der Chor, das hinreißende Vocalconsort Berlin, wird buchstäblich zum Klangkörper, der zuckt, schwankt, kriecht, klatscht und tanzt.

Am Pult ein angehender Weltstar: der Russe Wladimir Jurowski, der als Chef der Bayerischen Staatsoper Kirill Petrenko nachfolgen wird. Bewundernswert, mit welch gelassener Präzision er den Riesenapparat durch die entfesselte Partitur führt. Aus dem Sängerensemble ragen heraus der Bariton Günter Papendell als Pentheus und vor allem sein Gegenspieler, Sean Panikkar, Amerikaner mit tamilisch-indischen Wurzeln, ein strahlender, gelenkiger Tenor, der auch tanzen kann wie ein junger Gott, Dionysos eben, dessen Verführungskraft sinnlich erlebbar wird. Ein Abend also, der die Komische Oper sprengt, doch nicht überfordert. Fast ein Theaterwunder.

Info

The Bassarids Regie: Barrie Kosky Komische Oper Berlin, weitere Aufführungen am 2., 5. und 10. November 2019

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