Zuerst betrieb Victor Klemperer seine Analysen der nationalsozialistischen Sprache als „parodistische Spielerei“, später half ihm das Schreiben, die Nazi-Zeit durchzustehen. Als Hochschullehrer war er 1935 wegen der Rassengesetze entlassen worden. Täglich drohte die Gefahr der Deportation, Klemperer wurde auch zu Zwangsarbeiten verpflichtet. Der jüdische Sprachwissenschaftler überlebte diese Jahre an der Seite seiner „arischen“ Ehefrau Eva, die ihn und sein Werk schützte. Ihr ist LTI – Notizbuch eines Philologen gewidmet. Das Buch wurde 1947 erstveröffentlicht. Nun gibt es eine überaus eindrückliche Hörspielbearbeitung, die kommenden Sonntag im Kulturradio des RBB uraufgeführt wird.
Klemperers philologische Einsichten hatten ihren Ursprung nicht nur in der Analyse der offiziellen Propagandasprache und ihrer Mechanismen. Sie wurden besonders schmerzhaft, wenn er die „LTI“, die „Lingua Tertii Imperii“ (wie Klemperer die Sprache des „Dritten Reichs“ als Kürzel verballhornend nannte) in seinem Umfeld vernahm. Wenn also etwa ein früherer Freund, fast Pflegesohn, die „LTI“ wie selbstverständlich verwendete und fröhlich von einer „Strafexpedition“ gegen Kommunisten berichtete, an der er sich beteiligt habe. Besucher, Nachbarn, Freunde, „keiner war ein Nazi, aber vergiftet waren sie alle“, schrieb der Philologe.
Sprache ist mehr als Blut
Die Hörspiel-Macher Tilman Hecker und Dag Lohde hatten zunächst vor, von den Erlebnissen und Anekdoten des Philologen auszugehen, um so einen erzählenden Bogen zu finden. Das fünfte Kapitel des Buchs ist eine direkte Übernahme aus den Tagebüchern, das sechzehnte schildert das Denken und die Sprache der „arischen Kollegen“ in der Fabrik. Hecker und Lohde entschieden sich stattdessen für ein Sprechtheater: Vier Stimmen – Betty Freudenberg, Christine Groß, Toni Jessen und Thomas Schmauser – sprechen in heftigem Wechsel, was eine leidenschaftliche und drängende Erkenntnissuche vorwärts treibt.
Die Bereitschaft, schnell zu begreifen, wird den Hörern abverlangt. Wir erleben kein übliches Funk-Drama, keinen Kampf der Charaktere, sondern ein Frage- und Antwortspiel Gleicher, eine Deutung und Suche nach der Herkunft von Worten, ein Erschrecken und Empören gegenüber der Lüge, den verzweifelten Zweifel gegenüber der allgemeinen Vernebelung, ein lachendes Erkennen der Dummheit. Modulation, Artikulation, Musik verstärken oder dämpfen den Diskurs, das erzeugt auch Spannung. Es gibt nachdenklich Leises, Langsames, besonders wenn Klemperer die eine Klammer benennt, unter der jede Art Feind zusammengefasst und verfolgt wird: jüdisch-marxistisch, jüdisch-kapitalistisch und so weiter.
Dazwischen immer wieder das Zitat „Sprache ist mehr als Blut“ von Franz Rosenzweig, das Klemperer seinerzeit für sein Notizbuch als Leitgedanke diente, und das Klemperer-Zitat: „Worte können sein wie Arsendosen, sie werden unbemerkt verschluckt und scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Die „LTI“-Sprache ist heute ebenso wenig gelöscht, wie sie keine Neuschöpfung der Nazis war. Es gab diese Worte und Wendungen schon, und es gibt sie weiter. AfD-Rhetorik und Pegida-Formeln erzeugen heute einen unheimlichen „Wiederhöreffekt“.
Vergiftete Wirkung
Da ist nicht nur die Wiederbelebung der „Lügenpresse“. Es gibt neue Zusammensetzungen, Wiederholungen und Umdeutungen mit entsprechend vergiftender Wirkung, zum Beispiel der vordergründig so harmlos daherkommende „gesunde Instinkt“.
In der Sprache der NS-Zeit wurde die Überlegenheit des Instinkts und des Gefühls gegenüber dem Intellekt betont, was zum Ausschluss allen kritischen Hinterfragens führte und letztendlich zur Abtötung allen Mitgefühls im Namen eines Überlebensinstinkts. „Die stärkste Wirkung wurde durch nichts erzielt, was man mit bewusstem Denken oder bewusstem Fühlen in sich aufnehmen musste. Sondern der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfacher Wiederholung aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden“, hält Klemperer in LTI fest.
Dass die „Festung Europa“ von Deutschland verteidigt werde, hört Klemperer gegen Ende des Zweiten Weltkriegs immer häufiger in der NS-Kriegspropaganda. Im Hörspiel bekommt das sein Gewicht. Der politische Machtkampf mit den Mitteln der Sprache lebt. Wie auch einst vergiftete Worte heute wieder gebräuchlich werden, „total“, „fanatisch“ oder „abartig“ gehören dazu. Wichtig ist es, einen größeren Widerstand zu wecken, wenn reaktionärer Sprachgebrauch durch die Hintertür reanimiert wird. Aber auch über gedankenlose unkritische Nachahmung und Wiederholung angeblich „politisch korrekter“ Formeln könnte klüger diskutiert werden.
Sprachkritik sollte nicht auf eine Kampfmethode verfeindeter politischer Lager reduziert werden, auf eine Möglichkeit der jeweiligen Gegner, den Sprachgebrauch öffentlich-rechtlicher Medien oder den ihrer Kritiker bestimmter Verdummungs-, Täuschungs- und Vergiftungsabsichten zu zeihen. So etwas kann erzählt, dokumentiert oder essayistisch sein. Die Sprachkritik der Gegenwart wäre generell eine wichtige Aufgabe fürs Qualitätsradio. Jenes gegenseitige Belehren, Befragen, miteinander Erkennen, wie es das Hörspiel LTI demonstriert. „Hast du das gehört“, möchte man oft ausrufen, überrascht von einer mutigen Wahrheit oder empört über eine deutliche Lüge, aber wir hören Radio meist allein.
Es gibt ein neues Bedürfnis nach Philosophie, dem wir nachgehen sollten. Philosophie wurde in der „LTI“ totgeschwiegen, es gab, so Klemperer, nur Weltanschauung von einem „nationalsozialistischen Boden“ aus, auf dem man fest und unverrückbar steht, „… bis alles in Scherben fällt“.
Info
LTI – Notizbuch eines Philologen Victor Klemperer Kulturradio des RBB, 28. August, 14:05 Uhr
Kommentare 25
leider ist mit der abgebildeten karikatur
das phänomen un-kritischen umgangs
mit worten in alltags-/massen-medialer rede
nicht zu fassen.
wem hoch-toxische rede erst in der diktatur auffällt,
hat die zeit, in der korrektur möglich war, verschlafen.
hierzulande, heutzutage scheint mir
das gegen klarheit immunisierende un-bestimmte reden,
daß bindung an gemeinsame werte unterstellt
und stärken imaginiert, wo un-entschiedenes wohlwollen
einem prekären gesellschafts-frieden zu dienen scheint:
eine lax-behandelte aufgabe.
scheinbar frieden-stiftende vag-heiten simulieren einheit, wo sich bei belastung dissenz ergibt.
wer gut-menschlichkeit für sich reklamiert, sollte bedenken ,daß er anderen gedanken-/herz-losigkeit unterstellt und sie auf eine seite der übel-meinenden platziert.
genaue rede hat immer auch etwas scheidendes,
differenzen auf-spürendes.
ein eiapopeia sollte stutzig machen. oder?
Danke für diesen ausgezeichneten Beitrag und in der Hoffnung, dass diese Sendung bald als DVD zu haben ist.
Ihren Beitrag verstehe ich als Beleg der analyse, die noch heute Gültigkeit hat.
So ist eine un-bestimmte Rede eine falsch-bestimmte Rede.
Ein falsch-entschiedenes Wohlwollen ist eine falsch verstandene Schwäche. Auch die des Redners. Erst recht trotzt seines "richtigen" Wissens.
"eine lax-behandelte aufgabe.
scheinbar frieden-stiftende vag-heiten simulieren einheit, wo sich bei belastung dissenz ergibt.
wer gut-menschlichkeit für sich reklamiert, sollte bedenken ,daß er anderen gedanken-/herz-losigkeit unterstellt und sie auf eine seite der übel-meinenden platziert.
genaue rede hat immer auch etwas scheidendes,
differenzen auf-spürendes."
Scheinbar frieden-stiftende Falsch-heiten simulieren keine Einheit weil die Simulation die Tatsachen real durchdenkt oder durchspielt, um gerade die Wahrheitsfindung als Tatsache prüft! Falschheiten sind bewußte Unwahrheiten.
Die sg. "Gutmenschen" reklamieren dieses Unwort des Jahres nicht für sich, es wird ihnen unterstellt und ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die Absender dieser Unterstellung jene sind, die sehr genau wissen, dass sie das "Gute" gar nicht wollen. Er/sie verstecken das eigene Übel ihrer Ansprüche, Gedanken-/Herzlosigkeit auf ihrer Seite und platzieren so den Umkehrschluss auf ihrer Seite der Übelmeinenden!
Die Krönung dieser Politrede ist, dass selbst die Duden-Redaktion das nicht zu merken schien und stolz auf ihren Reinfall ist. Auch sie bot ein überzeugendes Muster der Semantik.
Die Wahrheit verbindet objektives Denken und Verstehen. Lügen zerstören das Verbindende und Neben- u. Miteinander auf einem
Erst einmal vielen Dank für die Info. Ich hoffe, dass ich de Sendung übers Netz empfangen kann.
Inhaltlich ist mir der Artikel zu pc. Bis auf den einen einzigen Satz:
»Aber auch über gedankenlose unkritische Nachahmung und Wiederholung angeblich „politisch korrekter“ Formeln könnte klüger diskutiert werden.«
der einen Absatz mit einem etwas anderem Blick einleitet.
Ausgerechnet die die »Wiederbelebung der „Lügenpresse“« wird zitiert. Aber der entscheidenden Unterschied, dass vergiftete Worte seinerzeit im Sinne der Nazi Herrschaft propagandistisch missbraucht wurde, während sich heute die etablierte Politik und die mediale Öffentlich gegen solche Begrifflichkeiten wehrt, wird einfach unterschlagen. Wie kann man so einen Artikel schreiben, den Kampfbegriff "Lügenpresse" erwähnen und nicht darauf hinweisen, dass dieser ohne Beanstandung vom medialen Mainstream besetzt und politisch korrekt verwendet werden darf? ("Wenn man bei BILD arbeitet, ist man Schmerz gewohnt")
Wie kann man darauf hinweisen:
»Dass die „Festung Europa“ von Deutschland verteidigt werde, hört Klemperer gegen Ende des Zweiten Weltkriegs immer häufiger in der NS-Kriegspropaganda.«
Und gleichzeitig unterschlagen, dass und wie die "Festung Europa" aktuell, und eben auch durch die Sprache der Medien, die Sprache der Politik (am Hindukusch z.B.) verteidigt wird?
Ist "Burkini" nicht längst ein solches vergiftetes Wort? Die Frage könnte man auf sehr viele Begriffe anwenden, deren Gebrauch anscheinend nicht unter die Kathegorie "politisch unkorrekt" fällt.
So, wie sich der Artikel liest - bis auf diesen einen einzigen Satz - bekommt man den Eindruck, dass sich der Gebrauch vergifteter Worte, vergifteter Sparache aktuell mehr oder weniger auf die als Probleme mit den ungeliebten Phänomenen, Afd, Pegida etc. beschränkt. Die »unkritische Nachahmung und Wiederholung angeblich „politisch korrekter“ Formeln könnte [zwar] klüger diskutiert werden« – das wird eingeräumt, aber der Fokus, das eigentliche Problem bleiben die Phänomene die man nicht auf Seiten der etablierten Politik und der etablierten Medien verortet. Eine Fehleinschätzung - nicht nur meiner Meinung nach - die sich durchzieht, die auch Herrschaftsprache definiert die so auch über diesen Artikel transportiert wird.
»Sprachkritik sollte nicht auf eine Kampfmethode verfeindeter politischer Lager reduziert werden« – wie wahr, aber genau das scheint mir hier stattzufinden. Die Lektion, die man aus der Beschäftigung mit vergifteter Herrschaftsprache lernen könnte wird man als solche gar nicht erkennen, wenn man sie auf die Verwendung von vergifteten Worten durch politische Gegner reduziert, die an Herrschaft (zur Zeit noch) gar nicht beteilgt sind.
In den Zusammenhang gehört der Hinweis von fugetivo am 27.08.2016 zu dem Buch »Rückkehr nach Reims« von Didier Eribon:
»Die Sprache der Regierten«
«Brillante Dokumentarliteratur über den Verrat der französischen Sozialisten an den Arbeitern«
au fein: das heruntergewirtschaftete radio auch noch zu komplementieren.
und mit victor klemperer zb wird radio energy ganz gewiss auch noch befeuert werden zur aufklärung: nur, dafür ist radio energy garnicht da, sondern für saubere werbeeinspielungen
klemperer wird sich gefallen lassen müssen als opa der klamotte bezeichnet zu werden im gegensatz zu minetti
oder canetti oder wie das da heißt
??? bei scharfen kurven-fahrten trägts manchen hinaus...
"....dass diese Sendung bald als DVD zu haben ist...."
#
Paste aus dem Artikelfooter:
Kulturradio des RBB, 28. August, 14:05 Uhr d.h. Morgen 14:15 Kulturradio RadioBerlinBrandenburg
Im Netz, auch über Antenne (wenn man&Frau passend wohnt) life zu hören und mit "Hammer&Zange (oder Sichel?)" vielleicht aus dem Tempverzeichnis, Hauptspeicher oder doch von der 8''Diskette "rauszuschnittzen":-))
Wahlweise hilft auch "speichern" im passenden Program:-))
Gruss Sikasuu
ps. Wertkonservative Sammler von Unikaten erstehen oft das Kohleband der Typenrad/Kugelkopf-Schreibmaschine, auf der das Manuscript getippt wurde:-)
Ganz herzlichen Dank für die Hilfe. Ich hoffe, dass ich den Sender trotz meines technischen Unvermögens noch finde.
In Essen muss man doch diesen Sender auch empfangen können. Sonst muss ich womöglich doch auf die CD hoffen. (Ich besitze eine Bose-Radio, das über den Router angeschlossen ist.)
H.G. und einen angenehmen Sonntag
Eichhörnchen
Kein einziger öffentlich-rechtlicher Sender hat bis heute gelernt, wie man eine Internet-Präsenz sinnvoll gestaltet. Ich habe mich der Mühe unterzogen, diesen Link auf kulturradio.de auszugraben:
http://www.kulturradio.de/programm/schema/sendungen/hoerspiel/archiv/20160828_1404.html
Dort befindet sich auch ein "Live Hören"-Link für das werte Publikum an den Empfangsgeräten jenseits von Brandenburg.
Sehr geehrter Frau Bethke,
auch meinerseits herzlichen Dank für Ihren Text, insbesondere folgende Beobachtung:
Wichtig ist es, einen größeren Widerstand zu wecken, wenn reaktionärer Sprachgebrauch durch die Hintertür reanimiert wird.
Dies ist meiner Ansicht nach ganz zentral. Mindestens so wichtig wie eine soziolinguistische Analyse interessengeleiteter Entwicklungen des Sprachgebrauchs, ist das ganz persönliche, konsequente Eintreten, wann immer uns derartig vergiftete und vergiftende Begriffe bzw. Äußerungen im Alltag begegnen. (Ich wurde erst gestern im Zusammenhang der vor Krieg und Zerstörung fliehenden Menschen wieder mit dem Terminus "Invasion" konfrontiert...) Meinem Eindruck nach gebrauchen viele Menschen diese Kampfbegriffe nicht vorsätzlich aggressiv, sondern eher vollkommen unreflektiert ohne wirklich darüber nachzudenken, wem sie da das Wort reden. Und genau darum bemühe ich mich: ihren Sprachgebrauch nicht pauschal zu verurteilen (sie selbst als Menschen noch weniger), sondern in ihnen durch ruhiges Nachfragen ein Bewußtsein dafür zu wecken, was sie da eigentlich sagen und diese Aussagen konkret auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen (Bsp. bei einem pauschalen Plädoyer für ein Verbot von Burka, Burkini: Wieviele derart bekleidete Frauen haben Sie selbst in Ihrem Umfeld schon gesehen: eine, zehn, hunderte ... oder vielleicht keine einzige?).
Die Monographie des Dresdner Romanisten Viktor Klemperer LTI - Notizbuch eines Philologen ist eine wahrhaft lohnenswerte Lektüre, fürwahr.
"... Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da..." (Viktor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. 18. Aufl. Leipzig [Reclam] 1999, S. 26f.)
Ganz persönlich und konkret bei jeder Gelegenheit gegen diese Tendenz zur verbal-kommunikativen Brachialisierung in unserer Gesellschaft einzutreten, scheint mir heute wichtiger denn je.
MfG, G. Schröder
Sprache gegen die Gewalt
darf gewaltig sein
nicht kalt
Sprache für die ganze Welt
kann nicht billig sein
wie Geld
Sprache jedoch für die Katz
ist meist tierisch
glaub mir Schatz
Sprache ohne Sinn und Wert
gut, nur wenn man
rückwärts fährt
Sprechen Sprachen die Gedanken
denken Denker deren Schranken
Tanzen Tänzer tausend Schritte
lieben Leute ihre Mitte
Sehr geehrte/r Mitforist/in,
leider scheint man es nicht oft genug sagen zu müssen:
Termini wie"Gutmensch" oder "Wutmensch" sind ausschließlich als Fremdbezeichnung und mit dem Ziel der Diffamierung verwendete Begriffe, welche überhaupt gar nichts aussagen über die so Titulierten, jedoch einiges über diejenigen , die diese Begriffe gebrauchen.
"Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des "guten Menschen" in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck Wutbürger widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationale Diskussionen gehören."(http://www.unwortdesjahres.net/index.php?id=35)
Oder, um es mit Michael Dell, zu sagen, der meines Erachtens sehr treffend herausarbeitet, wer in Diskursen dieser Art derjenige ist, der diffamiert , und wer derjenige, der diffamiert wird (https://www.freitag.de/autoren/mdell/schiessen-sie-nicht-auf-den-pappkameraden):
Es hat nie eine positive Bestimmung von „Politischer Korrektheit“ gegeben, es hat kein Projekt gegeben, keine Gruppe, keine Regierungsbehörde, die mit einem Programm namens „Politische Korrektheit“ Politik machen wollte. „Politische Korrektheit“ kam in die Welt durch Leute, die sie im selben Atemzug ablehnen. „Politische Korrektheit“ war nie etwas anderes als – ein Schimpfwort... [Hervorhebung von mir]
... Bei „PC“ geht es nicht um Argumente, sondern um die Diffamierung einer Sprecherposition [Hervorhebung von mir, G.S.], indem man sie als „politisch korrekt“ ridikülisiert. Wenn es einen Amtsvorgänger von „politisch korrekt“ gibt, dann ist das der „Spießer“, von dem irgendwann auch niemand mehr wusste, wo der eigentlich hergekommen war, bei dem sich aber jeder sicher sein konnte, dass das die Bezeichnung ist für alles, was ihm nicht passt und was er nicht sein will. Wenn es „PC“ nicht gäbe, wenn einem die „Inkorrektheit“ nicht scheinbar weiterhin gestattete, Menschen grundlos zu beleidigen,[...] dann müsste man sich einmal mit sich selbst befassen und der Frage, warum man das Wort mit seiner unseligen Geschichte weiter verwenden will. Das wäre anstrengend... [Hervorhebung von mir]
Oder, um es mit treffend mit Carolin Emcke zu sagen:
... Neuerdings wird auch gegen die gehetzt, die nicht hetzen wollen. [Hervorhebung von mir, G. S.] Das ist eine besonders kuriose Wendung. Als seien sie Spielverderber im Ringelreihen der kultivierten Feindseligkeit. Weil die sich identitär nicht so leicht fassen lassen, wird das Etikett gleich mitgeliefert: Das sind die "Moralisten", die "Gutmenschen", die "Tugendhaften", was eine eigenwillige Form der Schmähung ist. Wer Aufmerksamkeit und Respekt gegenüber anderen nicht für Perversionen, sondern für selbstverständliche Formen der Höflichkeit hält, lässt sich durch das Wort "Gutmensch" nicht denunzieren... (http://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-hemmungslos-1.2664340)
In diesem Sinne nachdenkliche Grüße, G. S.
Ich hab' s mir angehört und fand die Sendung überzeugend, soweit dies das eigentliche Hörspiel betrifft. Die einführende Moderation und von allem die Einbindung in die zeitgenössische Problematik entsprachen im Wesentlichen der Tendenz dieses Artikels, der mit seinem Kommentar über das Original der Sendung sogar noch hinaus geht. Was vielleicht den Spielraum der Autorin erklären mag. Inhaltlich halte ich es, aus den oben genannten Gründen für misslungen.
Wir haben uns von einer Wertegesellschaft in ene Wortegesellschaft verwandeln lassen. Die rüstet sich jetzt staatlich auf, Widerstand durch eine Tatengesellschaft zu verhindern.
Aber noch gibt es die Wahlurne...
– mlskbh –
zu positionen des:
da kann man doch nicht nur zu-sehen,
da muß doch was geschehen,
impulsiven gut-meinen, das herz-liche reaktion unter
überbrückung des hirns fordert,
diesem defizitären gut-willigen,
das sich für konsequentes durch-denken un-zuständig erklärt,
dabei nur innere spannung los-wird,
dem wohl-gefühl jenseits aller kritik,
sich im besitz der überlegenen ethik sicher zu sein,
hoch über bedenken-trägern, zauderern und folgen-abschätzern
hab ich auch hier schon ausführlich stellung bezogen.
bisweilen werd ich weiter solche positionen kenntlich machen und:
opponieren.
Liebe/e Denkzone,
danke für Ihre Antwort, wenngleich ich eingestehen muß, dass ich sie nur bruchstückhaft verstehen kann, und mir Ihr Bezug auf das von mir konkret Vorgebrachte unklar bleibt. Könnten Sie es bitte noch einmal versuchen ? Ansonsten fürchte ich, Ihre Worte bezüglich des
"sich im besitz der überlegenen ethik sicher zu sein"
misszuverstehen. DENNFALLS sir
Sehr geehrte/r Denkzone,
(2. Versuch)
danke für Ihre Antwort, wenngleich ich eingestehen muß, dass ich sie nur eingeschränkt verstehen kann und mir Ihr Bezug auf das von mir zuvor konkret Vorgebrachte nicht klar wird. Könnten Sie es bitte noch einmal versuchen? Ansonsten fürchte ich, Ihre Äusserung bezüglich eines
"sich im besitz der überlegenen ethik sicher zu sein"
misszuverstehen. Darf ich fragen, ob Sie die von mir verlinkten Texte (der Gesellschaft für deutsche Sprache, Michael Dell und Carolin Emcke) gelesen haben? Falls Sie Carolin Emcke z. B. unterstellen wollen, sich würde für sich den Besitz einer überlegenen Ethik apostrophieren, so kann ich Sie nur herzlich zur Lektüre ihrer Reportagen, Reden und Essays einladen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen, bspw. hier:
https://www.ruhrtriennale.de/de/blog/2016-08/vom-uebersetzen-festspielrede-von-carolin-emcke
http://www.zeit.de/2010/02/Irak-Emcke/komplettansicht
http://t3n.de/news/carolin-emcke-hass-schueren-die-703398/
MfG,
G. S.
Klemperers "LTI" ist heute so aktuell wie eh. Er analysiert nicht nur die Sprache der damaligen Machthaber, vor allem zeigt er auf, wie die Sprache bewußt verändert wurde mit dem Ziel, das Denken der Menschen zu verändern. "LTI" nur als Beleg für den Ursprung der Parolen bestimmter Gruppierungen zu nutzen, greift zu kurz. Wesentlich sind die Mechanismen, die Klemperer aufzeigt, und die galten im 3. Reich genauso wie im Kalten Krieg oder heute. Ob die Sprachwächter nun den "Regisseur" durch den "Spielleiter" ersetzten, den "Weihnachtsengel" durch die "Jahresendflügelfigur" (ohne Erfolg!) oder den "Negerkönig" duch den "Südseekönig" - es geht immer um Ideologie, um den Versuch sicherzustellen, daß nur noch politisch korrekt geredet und letztendlich auch gedacht wird. Jeder -ismus hat seine Sprachregelungen, die keinen eigenen Gedanken mehr erkennen lassen.
Das herausgestellt zu haben ist das eigentliche Verdienst Klemperers.
danke sehr für diesen einwurf, beyond.
und auch meinen dank für diesen deutlichen hinweis. natürlich hätte er auch noch deutlicher ausfallen können. aber es genügt, dass klar gemacht wurde, dass klemperers werk nicht an die zeit seiner entstehung gebunden ist. im gegenteil. wenn die hörspielmacher es ganz richtig hätten machen wollen, hätten sie daraus ein trojanisches pferd gebaut, durch das nicht böse feinde zur eroberung befördert werden, sondern einsicht gefördert wird in die aktualität der sprachsensibilisierung.
so einfach? baun wir nen bestseller draus. am besten einen mit irgendwas wie denkzone - für zonale oder so