Zwei, die sich zanken wie du und ich

Bühne Was ist nur so interessant am Medea-Stoff? David Bösch und seine Dramaturgen entscheiden sich in Berlin bei Grillparzers Variante ("Das Goldene Vließ") für: den Ehekrach

Aus nachvollziehbaren Gründen hat der antike Medea-Stoff auf dem Theater überall Konjunktur. Auch keine Berliner Spielzeit der letzten Jahre ohne eine Medea als Oper, Ballett oder Gastspiel. Nun: Das Goldene Vließ von Franz Grillparzer, der im Unterschied zur dramatischen Erstfassung von Euripides (431 v.d.Z.) auch die Vorgeschichte der Medea-Tragödie dramatisiert hat. Das Programmheft informiert über die spannende Bearbeitungsgeschichte des Stoffes bis zur Gegenwart (Christa Wolf, Heiner Müller, Dea Loher); dazu gehört übrigens auch eine Nazi-Medea-Rezeption Grillparzers als „Dichter der arischen Rasse“. Was nur macht die Kindsmörderin im Vergleich mit anderen mythologischen Stoffen gerade heute so interpretationsfruchtbar?

Explizit scheinen sich der Regisseur David Bösch und sein für die drastische Text-Kürzung besonders wichtiger Dramaturg John von Düffel diese Frage ausweislich eines für das Programmheft geführten Gesprächs nicht gestellt zu haben. In dem, was wir auf der Bühne sehen und hören, aber durchaus: Medea ist weder interessant als Urbild der von der westlichen Wohlstandsgesellschaft zurückgewiesenen Immigrantin, noch als feministische Rächerin am archetypischen Machismo Jasons, sondern weil sie beide gute Argumente eines Ehekonfliktes haben.

Das Bühnenbild (Patrick Bannwart) zeigt ein raumfüllendes Sternenzelt, das allmählich sich erhellend eine irdische Landschaft aus Plastikmüll sichtbar macht, eine Art Endzeit-Spielstätte zerstörter Vergangenheit und ohne Zukunft im ewigen Universum. Aus Nebelschwaden bewegt sich ein Rocksänger (Tino Mewes) nach vorn zur Rampe – es ist der Bruder Medeas in der Funktion eines Chorus’, der die mordgesättigte Vorgeschichte des Goldenen Vließes und von Jasons und Medeas Liebesschicksal erzählt. Mit dem Tod von Vater und Bruder Medeas haben beide schwere Schuld auf sich geladen. Das magische Goldene Vließ bringt, wie später Wagners Rheingold, seinen Besitzern nicht Macht, sondern Unglück. Jetzt sind beide auf der Flucht. Keine Griechenstadt will sie aufnehmen. Die eigentliche Handlung setzt ein mit dem sich bereits in Hassliebe streitenden Paar. Der „Fluch der bösen Tat“ rächt sich an ihnen und zerstört ihre Liebe. „Dieser Satz“, schreibt Grillparzer später über sein Stück, „ist so wichtig als irgendeiner in der Welt.“

Solche mythologischen und transhistorischen Dimensionen interessieren aber in der Inszenierung Böschs so gut wie nicht. Statt dessen wird gezeigt, wie alltägliche Leidenschaften – Liebe, Eifersucht und Hass – in unserer kaputten Welt, wo die Gefühle aus Plastik zu bestehen scheinen, nicht mehr die Kraft zu großer Tragik haben. Jason (Alexander Khuon) und Medea (Katrin Wichmann) sind Typen von nebenan und tragen ihren Streit teils verbal-vernünftig, teils körpersprachlich-gewalttätig aus – „das erste Ehedrama der deutschen Literatur“ (Dieter Borchmeyer). Auch der realistisch kalkulierende, verschlagene König Kreon (Sven Lehmann) ist erkennbar von dieser Welt. Das Publikum soll und kann urteilen – über Nachbarn. Insofern ein aktueller, den Verstand mehr als das „Gemüt“ mit dem „Vergnügen an tragischen Gegenständen“ (Schiller) ansprechender Theaterabend. Der Wunschtraum des Dramaturgen: „Vielleicht streiten sich irgendwann die Ehepaare auf dem Vorplatz des DT: Du bist wie Jason, sagt sie. Und er: Komm mir nicht mit dieser Medea-Tour.“

Das Goldene Vließ von Franz Grillparzer, Regie DavidBösch, Deutsches Theater Berlin.
Nächste Vorstellungen: 28.10., 3. und 30.11.

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