Ausführlichere Antwort:
a) Das Verbot des „Vereins“
Verboten wurde laut Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums (BMI) der „Verein ‚linksunten.indymedia‘“:
„Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“
(https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2017/verbotsverfuegung-linksunten.pdf; Hv. hinzugefügt)
b) Verbot, die „Internetseite des Vereins“ zu betreiben
In der Verbotsverfügung hieß es außerdem unter anderem:
„Es ist verboten, die unter der URL https://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion abrufbare Internetseite des Vereins, einschließlich deren Bereitstellung und Hosting, zu betreiben und weiter zu verwenden.“ (Hv. hinzugefügt)
Es ist also nicht – zweck-unabhängig – verboten, die „URL https://linksunten.indymedia.org“ zu betreiben und zu verwenden. Es ist vielmehr – laut Verfügung des BMI – verboten, „die unter der URL https://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion abrufbare Internetseite des Vereins“ (Hv. hinzugefügt), zu betreiben und zu verwenden.1
Außerdem muß die pauschale Formulierung, „Es ist verboten“, im Kontext der Formulierung „Internetseite des Vereins“ und der Adressierung des Verbots an den „Verein“ (BetreiberInnenkreis) verstanden werden2; die Formulierung ist schlicht ein Aspekt davon, dass sich verbotene Vereine überhaupt nicht mehr betätigen dürfen – auch nicht in Form des Betreibens einer Webseite:
„Vom Verbot ist infolge der umfassenden organisatorischen Auflösung des Vereins auch die Abschaltung seiner Internetpräsenzen und der von ihm geschaffenen Informations- und Kommunikationsstrukturen erfasst. Das in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Verbot der Nutzung der Internetadressen des Vereins wiederholt lediglich die Gesetzeslage (vgl. zum Betätigungsverbot BVerwG, Urteil vom 4. November 2016 – 1 A 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:041116U1A6.15.0] – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 72 Rn. 37).“
(https://www.bverwg.de/290120U6A1.19.0, Textziffer 28; Hv. hinzugefügt)
In der im Zitat angeführten älteren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts heißt es an der genannten Stelle:
„Das gleichzeitig gegen den Kläger ausgesprochene Betätigungsverbot (Ziffer 3) ergibt sich aus der Natur des Verbots der Teilorganisationen und der Auflösungsanordnung, ohne dass es einer eigenen Rechtsgrundlage bedarf.“
(https://www.bverwg.de/041116U1A6.15.0, Textziffer 37)
c) Verbots-begleitende Presseerklärung des BMI: Verbot der „Internetplattform“
In der begleitenden Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums hieß es aber:
„Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“
(https://web.archive.org/web/20170825104801/https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html; Hv. hinzugefügt)
Damit wurde der Unterschied zwischen
einer Internetplattform und einer/einem Person(enkreis), die bzw. der diese Plattform betreibt,
bzw. zwischen
dem Namen einer Internetplattform und dem Namen der/des Person(en[kreises]), die bzw. der diese Plattform betreibt,
ignoriert.
Trotzdem folgte dem Sprachgebrauch in der Pressemitteilung auch fast die gesamte Medienberichterstattung und öffentliche Diskussion über das Verbot.3 Der Unterschied zwischen Medium und Mediums-Herausgeber wurde nicht beachtet.
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1 Dies und das folgende hatte ich – vor dem Hintergrund der 2017er Pressemitteilung des BMI (siehe dazu sogleich [sub c)]) – bei meinen eigenen juristischen Bemühungen gegen das Verbot in den Jahren 2019 und 2020 auch nicht beachtet (s. z.B.: https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 92), sondern erst in Folge des schriftlichen BVerwG-Urteils im Jahre 2020 bemerkt bzw. jedenfalls dann erst angemessen gewürdigt. Das heißt: Insofern auch meine eigene Bemühungen von der Annahme ausgingen, das BMI habe auch die Webseite verboten und sich speziell dagegen wandten, gingen sie ins Leere. Denn ein solches Webseiten-Verbot gab es gar nicht.
2 Auf einem anderen Blatt steht, daß es unter Strafandrohung steht, verbotene Vereine zu unterstützen (§ 20 Vereinsgesetz, § 85 StGB) und daß es verboten ist – aber nicht unter Strafe steht –, Ersatzorganisationen verbotener Vereine zu gründen (§ 8 Absatz 1 Vereinsgesetz). Erst ab dem Moment, wo ein Verein von der Verbotsbehörde als Ersatz eines bereits verbotenen Vereins klassifiziert wird, ist auch die Mitgliedschaft in der und die Unterstützung der Ersatzorganisation strafbar:
§ 8 Absatz 2 Satz 1 Vereinsgesetz: „Gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne dieses Gesetzes ist, kann zur verwaltungsmäßigen Durchführung des in Absatz 1 enthaltenen Verbots [Ersatzorganisationen von verbotenen Vereinen zu bilden] nur auf Grund einer besonderen Verfügung vorgegangen werden, in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist.“ (Hv. hinzugefügt)
§ 20 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Vereinsgesetz: „entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er [der Verein] Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist“ (Hv. hinzugefügt).
§ 85 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch: „von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie [die Vereinigung] Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist“ (Hv. hinzugefügt).
3 Siehe zum Beispiel:
Die Tagesschau stellte ihren Filmbericht über das Verbot unter die Überschrift „‚linksunten.indymedia.org‘: Innenministerium verbietet Internet-Plattform“ (https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-321591.html; Hv. hier in den weiteren Zitaten in dieser FN hinzugefügt).
Die FAZ stellte zwei ihrer Berichte über das Verbot unter die Dachzeile „Verbotene Website ‚linksunten‘“ bzw. „Verbot von Internetseite“; in dem ersten dieser Berichte (vom 25.08.2017) hieß es: „Die für Gewaltaufrufe bekannte Internetseite linksunten.indymedia wurde verboten“; in dem zweiten Artikel (vom Folgetag) hieß es: „am Freitag hat Bundesinnenminister Thomas De Maizière die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ verboten“ (faz.net). In einem weiteren Artikel vom 25.08.2017 sprach – im speziellen auch der für die juristische Berichterstattung der FAZ verantwortliche – Redakteur Reinhard Müller (https://www.faz.net/redaktion/reinhard-mueller-11104378.html) von „Verbot der Internetseite ‚linksunten.indymedia‘“.
Auch Rechtsanwalt Stephan Dirks schrieb am Tage der Bekanntmachung des Verbotes: „Am 14. August 2017 hat das Bundesinnenministerium die linksextreme (und in Teilen wohl ohne Zweifel rechtswidrige) Plattform ‚linksunten.indymedia.org‘ verboten.“ (https://www.dirks.legal/2017/08/25/indymedia-wenn-drei-linksextreme-zusammen-sitzen-gruenden-sie-einen-verein)
Noch am 29.08.2023 hieß es in einem Artikel auf der Webseite des SWR: „Ihm [Einem Redakteur von Radio Dreyeckland] wird vorgeworfen, in einem Artikel vom Juli 2022 auf die Archivseiten der verbotenen Internetplattform ‚Linksunten.indymedia‘ verlinkt zu haben.“ (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/hausdurchsuchungen-bei-radio-dreyeckland-waren-rechtswidrig-100.html)
Sogar die Legal Tribune Online schrieb noch am 28.08.2023: „Weil Radio Dreyeckland einen Link zu der verbotenen Plattform linksunten.indymedia setzte, durchsuchte die Staatsanwaltschaft Redaktionsräume und Privatwohnungen.“ (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-karlsruhe-5qs123-sofortige-beschwerde-pressefreiheit-gff-radio-dreyeckland-durchsuchungen)
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