Mitte Februar vor 55 Jahren: Der letzte Schlag der BRD gegen die KPD

Politische Justiz Materialien zu einer Sendung beim Freien Sender Kombinat [*] (FSK) Hamburg

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Ihre Freitag-Redaktion

Am 13. Februar 1968 kam es zu einer polizeilichen Durchsuchung einer Druckerei in Neumünster, bei der 55.000 Exemplare des Entwurfs für ein neues Programm der KPD beschlagnahmt wurden (LG Flensburg Kritische Justiz 1969, 431 - 439 mit Anmerkung von Brünneck [S. 439 - 441]). Am 14. Februar 1968 wurden in Frankfurt am Main weitere 45.000 Exemplare beschlagnahmt (RadicalPast am 14.02.1968 bei Twitter).

Schon einige Tage zuvor war in Frankfurt am Main eine Pressekonferenz von der Polizei aufgelöst worden, bei der der Programmentwurf vorgestellt werden sollte (vgl. Ridder Kritische Justiz 1970, 257 - 272 [259, FN 8] unter Hinweis auf FAZ vom 09.02.1968 sowie unsere zeit Nr. 39, 25.09.1998; wiederveröffentlicht in trend 9/1998). Mit dem Entwurf sollte die Wiederzulassung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die 1956 vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung verboten worden war, betrieben werden. Diesem Ansinnen war aber kein Erfolg beschieden; der Staat ließ sich nur dazu erweichen, die Gründung einer neuen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zu dulden, gegen die dann aber bald mit dem Radikalenerlaß vorgegangen wurde.

Das Verfahren zu dem KPD-Programmentwurf von 1968 beschäftigte die bundesrepublikanische Justiz bis Dezember 1975

Die Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Programmentwurf von 1968 wurden zwar bald eingestellt, da

Der Druck des Programms beschäftigte aber im Rahmen eines sog. Einziehungsverfahrens die Gerichte noch bis 1975. „Einziehung“ wird im Strafverfahren die staatlicherseits betriebene Wegnahme von Sachen oder Werten genannt – vor allem solchen, „die durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind“ (Brockhaus Recht, 20052, 207, s.v. Einziehung – meine Hv; vgl. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 202218, 130, s.v. Einziehung).

„Einziehungen“ sind heute im Siebenten Titel des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches geregelt. Damals war die Einziehung (unter anderem) in § 40 Strafgesetzbuch in der von 1968 bis 1975 geltenden Fassung geregelt. Dessen Absätze 1 und 2 lauteten:

„(1) Ist ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen begangen worden, so können Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, eingezogen werden.

(2) Die Einziehung ist nur zulässig, wenn 1. die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen oder 2. die Gegenstände nach ihrer Art und den Umständen die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, daß sie der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen dienen werden.“

Das heißt: Obwohl die etwaige Straftat – wegen des Straffreiheitsgesetzes – nicht mehr bestraft werden konnte, mußte geprüft werden, ob es eine Straftat (genauer: ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen1) gab bzw. ohne Straffreiheitsgesetz gegeben hätte.2 Dies mußte anhand des neueren – da etwas milderen – Gesetzes geprüft werden (siehe dazu unten FN 6).

Erste Entscheidung des Landgerichts Flensburg

Das Landgericht Flensburg prüfte diesbezüglich den § 86 Strafgesetzbuch in der 1968 beschlossenen Fassung. Dieser bestimmte in Absatz 1 unter anderem:

„Wer Propagandamittel […] einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei […] herstellt, vorrätig hält oder in diesen Bereich [den Geltungsbereich des StGB] einführt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.“

In Absatz 2 und 3 gab es zwei Einschränkungen:

„(2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften, Tonträger, Abbildungen oder Darstellungen, deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist.

(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen oder ähnlicher Zwecke vorgenommen wird.“

Für die Strafbarkeit muß es sich also nicht nur um ein Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei handeln, sondern auch der Inhalt des konkreten Propagandamittels mußte (und muß auch nach der heutigen Gesetzeslage) gegen die sog. „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO) gerichtet sein. Aber auch solche – gegen die fdGO gerichteten – Schriften blieben (und bleiben auch nach der heutigen Gesetzeslage) straffrei, wenn die Verbreitung „im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen oder ähnlicher Zwecke“ vorgenommen wurde.

Das Landgericht Flensburg bejahte 1969 in einem ersten Urteil in Bezug auf den KPD-Programmentwurf von 1968 das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Absätze 1 und 2, sah aber „staatsbürgerlichen Aufklärung“ als gegeben an. Das Landgericht argumentierte:

„Wenn […] so viele Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, durch das die KPD für verfassungswidrig erklärt worden ist, in einer Zeit, in der diejenigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs, die dem Schutze der demokratischen Rechtsordnung dienen, eine Wandlung erfahren haben und Stimmen in der Öffentlichkeit, sogar von maßgeblichen, im politischen Leben stehenden Personen, laut werden, die eine Auseinandersetzung mit den Zielen der KPD suchen, der Entwurf eines neuen Programms von der KPD vorgelegt wird, so erscheint es nach Maßgabe des § 86 Abs. 3 StGB gerechtfertigt, dieses Programm einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, selbst wenn die schlagartige Verbreitung des Programms auch propagandistischen Zwecken mitdient.“

(das Landgerichtsurteil scheint nicht in Gänze veröffentlicht zu sein; es wird hier nach der anschließenden BGH-Entscheidung zitiert: BGH, Urteil vom 18.02.1970 zum Aktenzeichen 3 StR 2/69 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/a671942c-ad1e-427c-9fd4-eb8e3d7cb2dc, Textziffer 7)

Die erste BGH-Entscheidung

Diese Auffassung fand der Bundesgerichtshof aber „nicht haltbar“ (ebd., Textziffer 8); er kassierte das Urteil und verwies die Sache zurück an eine andere Kammer des Landgerichts.

Die zweite Entscheidung des Landgerichts Flensburg

Die nunmehr zuständige Kammer des Landgerichts kam aber – zum Ärger der Staatsanwaltschaft – zu dem Ergebnis: „Ob der Inhalt der Programmschrift gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist, läßt sich nicht mit der auch im objektiven Einziehungsverfahren erforderlichen Sicherheit feststellen.“ (LG Flensburg, Urteil des Landgerichts Flensburg vom 24.06.1971, in: Kritische Justiz 1969, 431 - 439 [433])

Die zweite Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Also legte die Staatsanwaltschaft erneut Revision ein – und die Sache wanderte erneut zum BGH, der das landgerichtliche Urteil wiederum aufhob und die Sache diesmal aber nicht zurückverwies, sondern diesmal die Sache abschließend entschied – und zwar im Sinne der Bejahung einer Straftat und folglich der Anordnung der Einziehung.

Ähnlichkeit und Unterschiede in Bezug auf den aktuellen Fall „Radio Dreyeckland“

Dieses BGH-Urteil ist nun mittelbar für den aktuellen Fall „Radio Dreyeckland“ (RDL) (s. z.B. golem.de und heise.de – jeweils vom 13.06.2023 –, Freitag-Community vom 31.05.2023 sowie die Presseschau bei RDK selbst) relevant. Denn der BGH ließ seinerseits die Frage offen, ob der Programmentwurf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet gewesen sei; denn es handele sich bei dem Druck des Programmentwurfs jedenfalls um eine Unterstützung der KPD – und diese sei trotz der Einschränkungen in § 86 Absatz 2 und 3 Strafgesetzbuch gemäß § 84 Absatz 2 Strafgesetzbuch strafbar3:

„Im Gegensatz zu dem Urteil des Landgerichts vom 30. Mai 1969 ist die nunmehr entscheidende Strafkammer [des Landgerichts] der Auffassung, es lasse sich nicht mit Sicherheit feststellen, daß der Inhalt des Programmentwurfs im Sinne des § 86 Abs. 2 StGB gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sei. Die Frage kann dahinstehen,“ – so der BGH – „da jedenfalls ein Verstoß gegen § 90 a StGB a.F.4, § 84 StGB n.F.5 vorliegt und die angeordneten Maßnahmen aus den nach Maßgabe des § 2 Abs. 5 StGB6 anzuwendenden Vorschriften über Einziehung und Unbrauchbarmachung folgen.“

(BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 6)

Hier haben wir also eine ähnliche (nicht: gleiche) Vermengung von ‚Werbung‘ durch Äußerungen bzw. Propagandamitteln und Unterstützung (konkret handelt es sich um die Herstellung eines Propagandamittels; aber gewertet wird es als Unterstützung), wie sie sich auch in dem Beschluß des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13.12.2022 für die Durchsuchung bei Radio Dreyeckland und zwei Redakteuren am 17.01.2023 findet (konkret handelt es sich aktuell um eine Verlinkung / die Nennung des Fundortes eines fremden Textes; aber gewertet wird es als Unterstützung; damals ging es um den Druck einer Broschüre und dessen Bezahlung, aber gewertet wurde als Unterstützung). In dem Beschluß des Amtsgerichts Karlsruhe heißt es:

https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/02/AG_Karlsr_Vermeng_m_Wappen.png

Nur ist das Urteil von 1975 nicht das letzte Wort des BGH zu den Begriffen „Werbung“ und „Unterstützung“, und auch der Sachverhalt ist etwas anderes:

  • in dem KPD-Fall ging es um eine Schrift der KPD selbst, für deren Herstellung (Druck) tatsächlich handgreiflich etwas getan wurde; es gab eine materielle (stoffliche) Handlung. (Ob die Drucker[Innen?] den Inhalt kannten und mit Vorsatz handelten ist eine andere Frage.)

  • In dem rdl-Fall geht es dagegen um einen eigenen Satz des rdl-Redakteurs (also in Bezug auf linksunten.indymedia: eines Außenstehenden): „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.“ Und das Archiv ist vorhanden und zugänglich ganz unabhängig davon, ob dieser Satz in dem Artikel steht oder nicht. Die ‚Handgreiflichkeit‘ beschränkt sich auf das Tippen des Satzes; im Vordergrund steht also eine eigene geistige Äußerung.

  • Und vor allem: Die KPD existierte Anfang 1968 noch; die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indyedmia‘“ existierte dagegen im Sommer 2022 (als der fragliche rdl-Artikel veröffentlicht wurde) – nach allem, was wir wissen (auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das deutsche Innenministerium behaupten nichts anderes7) – jedenfalls nicht mehr.

    Das Oberlandesgericht Stuttgart behauptet nun zwar anderes – kann dafür aber nur wenig überzeugende Indizien nennen:

    • Die linksunten-URL wird wieder genutzt: Aber das heißt nicht, dass dies durch denselben Personenkreis (oder überhaupt einen Personenkreis – und nicht vielmehr durch eine Einzelperson) geschieht, wie bis 2017 das Portal (mit ständig neuen Artikeln und Kommentaren sowie Moderation dieser Texte).

    • Es werden angeblich Spenden gesammelt. – Es werden in der Tat Spenden gesammelt – aber für ein Technik-Kollektik („Tachanka“). https://tachanka.org/ – auch wenn die Beziehung zwischen Archiv, Technik-Kollektiv und früherem Portal nicht gerade klar dargestellt wird: „Tachanka sind auch die Gruppen hinter dieser Idee – wie Indymedia linksunten.“

Was nun die weitere Entwicklung der BGH-Rechtsprechung anbelangt, so hat der BGH 2007 entschieden (Achtung: zunächst wird die alte, dann die neue Rechtsprechung dargestellt!):

Nach bisheriger Rechtsprechung und vorherrschender Ansicht im Schrifttum (s. insg. Miebach/Schäfer in MünchKomm § 129a Rdn. 60 i. V. m. § 129 Rdn. 81 ff. m. zahlr. w. N.) unterstützt eine terroristische Vereinigung, wer, ohne selbst Mitglied der Organisation zu sein, deren Tätigkeit und terroristische Bestrebungen direkt oder über eines ihrer Mitglieder fördert. Dabei kann sich die Förderung richten auf die innere Organisation der Vereinigung und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung. Nicht erforderlich ist, dass der Organisation durch die Tathandlung ein messbarer Nutzen entsteht. Vielmehr genügt es, wenn die Förderungshandlung an sich wirksam ist und der Organisation irgendeinen Vorteil bringt; ob dieser Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang.

Diese Maßstäbe, die trotz einer gewissen – unvermeidlichen – begrifflichen Unschärfe (vgl. Miebach/Schäfer aaO Rdn. 82), das tatbestandliche Unrecht ausreichend bestimmt umschreiben, würden es für sich nicht ausschließen, auch solche Betätigungen, die der Sache nach Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung, aber auch um ‚Sympathie‘ für deren Ideologie oder Ziele darstellen, dem Tatbestandsmerkmal der Unterstützung zu subsumieren. Dementsprechend hat der Senat unter der Geltung des alten Rechts etwa die Verbreitung einer Schrift, in der vergangene und zukünftige terroristische Aktivitäten der ‚Rote Armee Fraktion‘ zustimmend dargestellt und kommentiert wurden, als Unterstützung dieser terroristischen Vereinigung bewertet, weil hierdurch deren Stellung in der Gesellschaft günstig beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell ihr Rekrutierungsfeld erweitert und damit insgesamt ihr Gefährdungspotential gestärkt werden könnte (BGH NJW 1988, 1677 f. = BGHR StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 1). Hieran kann im Hinblick auf die neue Gesetzeslage nicht festgehalten werden. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit herausnehmen wollen8; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Strafrahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessystematik objektivierten9 Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Aktivitäten weiterhin als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken.

(BGH HRRS 2007 Nr. 800 [Beschl. v. 16.05.2007 AK 6/07 und StB 3/07]; https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/07/ak-6-07.php, Textziffer 11 - 13; Hv. hinzugefügt)

Diese Entscheidung betrifft zwar speziell §§ 129, 129a StGB; sie muß aber auf §§ 84, 85 StGB übertragen werden, da:

  • In §§ 84, 85 StGB – seit 1968 – Werbung gar nicht strafbar (s. FN 5);

  • in §§ 129, 129a StGB – seit 2002 – nur noch Werbung „um Mitglieder und Unterstützer“ strafbar;

  • folglich Sympathiewerbung10 nicht nur in § 129, 129a StGB, sondern erst recht in §§ 84, 85 StGB nicht mehr strafbar

ist. Wortlaut und Systematik des Gesetzes sind auch diesbezüglich eindeutig.

Auch der Unterstützungs-Tatbestand ist im übrigen in den §§ 84, 85 StGB enger als in den §§ 129, 129a StGB:

  • In Bezug auf Kriminelle und Terroristische Vereinigungen ist Unterstützung schlechthin strafbar;

  • in Bezug auf für verfassungswidrig erklärte Parteien und Vereine ausschließlich die Unterstützung des „organisatorischen Zusammenhalt[s]“ und/oder der „weitere[n] Betätigung“.

Daraus folgt: Was in Bezug auf Kriminelle und Terroristische Vereinigungen nicht strafbar ist (Sympathiewerbung – und deskriptive Berichterstattung ohnehin nicht), ist in Bezug auf verfassungswidrige Parteien und Vereinigungen erst nicht strafbar. – Hat die geneigte und erst die nicht geneigte LeserInnenschaft irgendeinen Einwand gegen diese Schlußfolgerung?

Wie ging die KommunistInnen-Verfolgung in der BRD eigentlich los?

Die Antwort auf die in vorstehender Zwischenüberschrift gestellte Frage lautet: In etwa mit einer Rede eines ‚Freiheitlichkeit‘s-Fans von der FDP, Bundesjustizminister Dehler, im Jahre 1950 – anläßlich der Einbringung des Entwurfes für das Erste Strafrechtsänderungsgesetz, das schließlich mit Datum vom 30. August im Bundesgesetzblatt vom 31. August 195111 verkündet wurde (http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/Dehler_Freiheit_StrRAend_1950_nur_Zitat.png / https://dserver.bundestag.de/btp/01/01083.pdf, S. 3104)

Wieviel Leute waren von der KommunistInnen-Verfolgung der 1950er und 1960er Jahre betroffen?

Von 1951 bis 1968 liefen ca. 125.000 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder und SympathisantInnen der KPD, die zu ca. 6.500 Verurteilungen führte12 – also ca. 360 Verurteilungen pro Jahr gegen Linke, die keine Landfriedensbruchdelikte begingen, die keine Brandsätze legten, die keine Fabriken besetzten, sondern die Westintegrationspolitik der Adenauer-Regierung als Vaterlandsverrat beschimpften und allenfalls Go-Ins (der Begriff war damals in Deutschland und zumal der KPD vermutlich noch nicht üblich) bei Behörden veranstalten und, wenn es ganz ‚radikal‘ wurde, Sprengschächte zuzementierten.

Was sagten eigentlich damals andere Linke zu dem Programmentwurf der KPD?

1. Die sich irgendwie als ‚maoistisch‘ verstehende oder jedenfalls vom damaligen Streit über die Generallinie der kommunistischen Bewegung zwischen der KPdSU und KP Chinas beeinflußte – 1968 gegründete – kleine KPD/ML sagte dies zu dem Programm der ‚offiziellen‘ KPD:

https://www.mao-projekt.de/BRD/ORG/GRM/Roter_Morgen/RM_1968_08.shtml.

2. Erich Fried äußerte sich Zum KPD-Programm-Entwurf in der Zeitschrift Kürbiskern 3/1968 auf Seite 440 ff.

3. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialistische Opposition veröffentlichte ihre Stellungnahme zum Programmentwurf der KPD in den Sozialistische[n] Hefte[n], 7. Jg. Heft 8 (August 1968), S. 465 f.13.

Literatur zur KommunistInnen-Verfolgung in der BRD in den 1950er und 60er Jahren:

  • Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978.

  • Hans Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, Mohr: Tübingen, 1967.

    und (allerdings: vor allem zur gewissen Liberalisierung des Politischen Strafrechts der BRD 1968)

  • Otto Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, Heymann: Köln, 1970

    sowie (historisch-vergleichend [KommunistInnen der Verfolgung der 1950er und 1960er einerseits und Radikalenerlaß-Praxis der 1970er und 80er Jahre andererseits]):

  • Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Wallstein: Göttingen, 2013.

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[*] https://www.freie-radios.net/120448.

1 Ein fahrlässiges Vergehen genügte also nicht; Verbrechen und Vergehen sind durch die Höhe der Mindeststrafe unterschieden (damals: https://web.archive.org/web/20230627122654/https://lexetius.de/StGB/1,3; heute: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__12.html).

2 „Die Straffreiheit erstreckt sich nicht auf […] Einziehung und Unbrauchbarmachung.“ (§ 4 Absatz 2 Satz 1 Straffreiheitsgesetz)

3 Dagegen sehen in der späteren rechtswissenschaftlichen Literatur einige Autoren die Einschränkungen in § 86 StGB als vorrangige Spezialregelungen, die insoweit auch der Anwendung der § 84 und 85 StGB entgegen stehen:

„§ 86 ist lex specialis zu § 84 Absatz 2 (vgl. Rn. 32).“

(Sonnen, in: Reihe Alternativkommentare. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 3, 1986, § 84, RN 39)

„Wer zwar Propagandaschriften herstellt oder verbreitet, ohne aber dabei im gesamten Prozess der Organisationspropaganda als prägende Gestalt“ – das heißt: als sog. ‚Rädelsführer oder Hintermann‘ i.S.v. § 84 Absatz 1 StGB (und entsprechend: § 85 Absatz 1 StGB) – „zu erscheinen, kann sich […] allenfalls nach § 86, nicht jedoch tateinheitlich nach § 84“ – und entsprechend: nicht nach § 85 StGB – „strafbar machen.“

(Becker, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 20202, § 84, RN 7)

Dies entspricht auch eindeutig der gesetzgeberischen Absicht:

„Einigkeit bestand unter den Ausschußmitgliedern darüber, daß auf die §§ 84, 85 StGB i. d. AF [= Ausschußfassung (im Unterschied zum vorhergehenden Regierungsentwurf)] und § 20 Vereinsgesetz nicht zurückgegriffen werden darf, wenn dies auf eine Umgehung der in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen hinauslaufen würde.“ (BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 9)

4 Dessen Absatz 2 lautete bis zum 1. August 1968: „Wer sich an einer in Absatz 1 bezeichneten Partei oder an einer für sie geschaffenen Ersatzorganisation als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Gefängnis bestraft.“

5 Dessen Absatz 2 lautete zum Zeitpunkt des BGH-Urteils (17.12.1975): „Wer sich in einer Partei der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://web.archive.org/web/20230627123124/https://lexetius.de/StGB/84,2; meine Hv.)

Die Tatvariante „wirbt“ – die in der Vorläuferinnorm § 90b in Absatz 2 StGB enthalten war (https://web.archive.org/web/20230627124127/https://lexetius.de/StGB/90b,6) – war bereits ab dem 1. August 1968 weggefallen; ab demselben Zeitpunkt galt die Beschränkung der Tatvariante „unterstützt“ auf „ihren organisatorischen Zusammenhalt“ (http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl168s0741b.pdf, S. 742). Seit 2016 ist in Bezug auf die ‚Unterstützung‘ „oder ihre weitere Betätigung“ hinzugekommen (https://web.archive.org/web/20230627123124/https://lexetius.de/StGB/84,2)

6 „Für Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.“ Absatz 3 von § 2 StGB lautete zur Zeit des zweiten BGH-Urteils (17.12.1975): „Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“ (https://web.archive.org/web/20230627123641/https://lexetius.de/StGB/2,2)

8 „Die Sympathiewerbung, der die Rechtsprechung einen vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt zuweist (vgl. BGHSt 33, 16 <18>), kann hingegen ohne Einbuße für bedeutsame Rechtsgüter aus dem Tatbestand ausgeschieden werden. […]. Die Änderung räumt psychische Hindernisse, die der kritischen Berichterstattung über wirklich oder vermeintlich rechtswidrige Zustände im In- und Ausland entgegenstehen mögen, beiseite, indem sie werbende Meinungsäußerungen umfassend und zweifelsfrei vom strafrechtlichen Risiko freistellt.“ (BTag-Drs. 14/8893; https://dserver.bundestag.de/btd/14/088/1408893.pdf, S. 8) (FN zu dem BGH-Zitat hinzugefügt)

10 deren Strafbarkeit 2002 im Rahmen der §§ 129, 129a StGB abgeschafft wurde.

12 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978, 278.

13 Die beiden letzten Literaturangaben nach dem eingangs genannten Aufsatz von Helmut Ridder (S. 270, FN 37).

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Geschrieben von

DGSch

Detlef Georgia Schulze ist PolitikwissenschaftlerIn und schrieb zuletzt in der jungen Welt vom 27.03.2023 über „Fehler der bürgerrechtlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das Verbot von ‚linksun­ten.indymedia‘“. Neben anderen Veröffentlichungen zu rechtstheoretischen und rechtspolitischen Themen gab er/sie 2010 – zusammen mit Sabine Berghahn und Frieder Otto Wolf – das zweibändigen Buch „Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?“ (Bd. 1: https://d-nb.info/986059048; Bd. 2: https://www.dampfboot-verlag.de/filepool/getfile/dampfboot/?datei=/dateien/download/inh-schulze2-784.pdf) heraus.

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