Die Karlsruher Staatsanwaltschaft wirft Fabian Kienert (RDL) in Bezug auf diesen Artikel auf der Webseite des Freien Freiburger Sender vor, daß er
„bei der Vornahme der Veröffentlichung zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass durch die von ihm gewählte inhaltliche Gestaltung und die darin eingebettete Verlinkung des vollständigen Vereinsarchivs die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ über eine bloße journalistische Berichterstattung hinaus weiter beworben und gefördert wurden. Dies ist strafbar gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB.“ (Hv. hinzugefügt)
Erster Einwand:
Der Staatsanwaltschaft verfälscht den gesetzlichen Straftatbestand
Dagegen lautet mein erster Einwand: § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch lautet vielmehr:
„Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die Staatsanwaltschaft
ersetzt also das organisationsbezogene gesetzliche Tatbestandsmerkmal „organisatorische[r] Zusammenhalt“ durch den vergeistigten Ausdruck „Bestrebungen“
und
ersetzt das Tatbestandsmerkmal „unterstützt“ durch „beworben und gefördert“.
Was ist das Problem daran?
Der „organisatorischen Zusammenhalt oder [die ...] weitere Betätigung“ einer Vereinigung können – logisch und rechtlich (s. dazu unten: Einwand 2) – nur unterstützt werden, solange die Vereinigung (und sei es nach Verbot im Untergrund) noch existiert. Die geistigen „Bestrebungen“ einer Vereinigung mögen dagegen auch noch „beworben“ werden können, wenn die Vereinigung schon längst nicht mehr existiert.
Die Staatsanwaltschaft erweitert also den Bereich des Strafbaren deutlich über das gesetzlich festgelegte Ausmaß. Daß angesichts dieser Sachlage eine Verurteilung von Fabian Kienert gegen Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz („Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“) verstoßen würde, dürfte allgemein einsichtig sein:
Vorliegend würde die Strafbarkeit nicht gesetzlich, sondern – im Falle der Verurteilung – gerichtlich bestimmt werden
und
die Strafbarkeit würde nicht vor der Tat, sondern erst nach der ‚Tat‘ – nach Schreiben und Veröffentlichung des mißfallenden Artikels – festgelegt.
Zweiter Einwand:
Etwas, das (hier: Ein Verein, der) nicht mehr existiert, kann auch nicht unterstützt werden
Wie bereits gesagt: Etwas nicht Existierendes kann nicht unterstützt werden; das ist nicht nur eine logische Banalität, sondern auch juristisch anerkannt.
Die Rechtslage
So schrieb der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann – unter Berufung auf eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts (entspricht den Oberlandesgerichten der anderen Bundesländer) – in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht 1981:
„Es muß für eine tatsächlich existente Vereinigung geworben werden. So hat das KG jüngst [1] auf Anklage wegen Werbens für die terroristische Vereinigung ‚Bewegung 2. Juni‘ die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil deren weitere Existenz ‚unwahrscheinlich‘ sei.“ (Rebmann NStZ 1981, 457 - 462 [460]; Hv. i.O.)
Der Bundesgerichtshof hatte bereits in den 1960er Jahren entschieden:
„Geht der Zusammenhalt ehemaliger Mitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der Partei usw. zurück, beruht er aber nicht mehr auf ihrem Willen, Ziele zu verfolgen, die zum Verbot geführt haben, sondern auf persönlichen Beziehungen (Freundschaften, geselliger Verkehr usw), so fehlt es am ‚organisatorischen‘ Zusammenhalt.“ (BGH, Urt. v. 12.10.1965 zum Az.: 3 StR 20/65; https://research.wolterskluwer-online.de/document/ca514a79-f54b-4405-bdb6-8fb6f4af47cc, Textziffer 16; Hv. hinzugefügt)
Das gleiche gilt erst recht, wenn sich nicht einmal „persönliche Beziehungen“ nachweisen lassen.
Auch in einem aktuellen Kommentar zum Strafgesetzbuch heißt es speziell zu § 85 Strafgesetzbuch (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot), um den es in dem Verfahren gegen Fabian Kienert (Radio Dreyeckland) geht:
„Gemeinsamer Bezugspunkt der Tatbestände des § 85 Abs. 1 und 2 ist die Existenz bestimmter […] Vereinigungen, die unanfechtbar verboten worden sind.“ (Zöller, SK-StGB, 9. Auflage: 2019, § 85, Randnummer 2)
Ganz ähnlich wird in der neusten Auflage des umfangreichsten Kommentars zum Strafgesetzbuch kommentiert:
„Entscheidend für die Abgrenzung ist […], ob die organisatorische Identität der verbotenen Partei örtlich oder überörtlich weiterbesteht.“ (Mark Steinsiek, in: Gabriele Cirener u.a. [Hg.], Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, de Gruyter: Berlin/Boston, 202313, § 84, Randnummer 10)
Auch Steinmetz forderte in der dritten Auflage des Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch von 2017:
Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen im Falle eines Strafverfahrens wegen Unterstützung einer verbotenen verbotenen Partei (das entsprechende gilt für verbotene Vereinigungen) feststellen, „dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind.“ (§ 84 StGB, Randnummer 8; Hv. hinzugefügt) [2]
Der Sachverhalt in Bezug auf den BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia
Bereits im Februar hatte mir das Bundesinnenministerium mitgeteilt:
„Dem Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) liegen keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor.“
Nun antworte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf meine Frage, „Hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den gleichen Kenntnisstand wie das Bundesinnenministerium? Oder geht die StA von einer Fortexistenz des Vereins aus?“ und Weiterleitung der Antwort des BMI aus dem Februar:
„Hier liegen keine über die übersandte Antwort des BMI hinausgehenden Erkenntnisse vor.“
Wie soll also Fabian Kienert den Straftbestand des § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch in der Unterstützungsvariante (Unterstützung des „organisatorischen Zusammenhalt[s] oder [der …] weiteren Betätigung“ einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung) noch im Sommer 2022 verwirklicht haben, als die angeblich unterstützte Vereinigung auch nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Verbotsbehörde nicht mehr existierte?
Dritter Einwand:
Sogenannte „Sympathiewerbung“ ist gerade keine ‚Unterstützung‘ im strafrechtlichen Sinne – dies hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, aber die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ignoriert es
Wie bereits gesehen, wirft die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Fabian Kienert vor, „die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ über eine bloße journalistische Berichterstattung hinaus weiter beworben“ zu haben.
Aber sowohl die Gesetzgebungsgeschichte des § 85 StGB selbst als auch ein Vergleich mit den §§ 129, 129a Strafgesetzbuch zeigen, daß das Strafgesetzbuch zwischen ‚Werbung‘ und ‚Unterstützung‘ unterscheidet und
Werbung in Bezug auf vereinsrechtlich verbotene Vereine schon seit 1968 nicht mehr strafbar ist [3]
und
in Bezug auf sog. kriminelle und terroristische Vereinigungen nur noch die Werbung um Mitglieder und UnterstützerInnen strafbar ist [4].
Letzteres (also in Bezug auf die §§ 129, 129a StGB) hat auch der Bundesgerichtshof bereits so entschieden:
„Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit herausnehmen wollen; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt [5] und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Strafrahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessystematik objektivierten Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Aktivitäten […] als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken.“ (BGH HRRS 2007 Nr. 800 [Beschl. v. 16.05.2007 AK 6/07 und StB 3/07]; https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/07/ak-6-07.php, Textziffer 13).
Vierter Einwand:
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe manipuliert den Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe stützt ihren Vorwurf gegen Fabian Kienert vor allem
auf den Satz in dem Artikel, „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“,
in Kombination
mit der Bebilderung des Artikels.
Der RDL-Artikel ist mit einem Foto bebildert, das eine – mit der Parole „Wir sind alle linksunten.indymedia“ beschriftete – Wand zeigt. Die in dem Foto zu sehende Parole zeige, daß der Artikel-Autor nicht nur über die Adresse das Archivs von linksunten.indymedia habe berichten, sondern auch für die „Bestrebungen“ dieses angeblichen Vereins habe werben wollen, so die Staatsanwaltschaft Karlsruhe.
Nur
behauptet auch die Staatsanwaltschaft nicht, daß Fabian Kienert nicht nur den Artikel geschrieben, sondern auch die Parole gesprüht habe,
und
das Foto, in dem die Parole zu sehen ist, ist mit dem Satz, „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform“, beschriftet.
Was nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe dafür sprechen soll, Fabian Kienert habe sich die Parole „zu eigen“ gemacht, bleibt also das Geheimnis der Karlsruher Angeklagebehörden – genauso, was an dieser Parole überhaupt strafbar sein soll.
Fünfter Einwand:
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ignoriert, daß das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat: Nur der Personenzusammenschluß (BetreiberInnenkreis), nicht aber das internet-Portal sei verboten worden
Das Bundesverwaltungsgericht 2020 hatte entschieden:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation.“ (BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19; https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33)
Worin soll also Unterstützung – im Fall des RDL-Artikels von Fabian Kienert – gerade des Personenzusammenschlusses – und nicht bloß des (laut Bundesverwaltungsgerichts nicht verbotenen) Mediums, dessen Archiv verlinkt worden ist, liegen?
Sechster Einwand:
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ignoriert, daß der Bundesgerichtshof außerdem bereits entschieden hat, daß sogar Texte von terroristischen Vereinigungen dokumentiert werden dürfen [6]
Beispielsweise in
dem Buch „das info“ mit Briefen von Gefangenen aus der RAF
und
der Broschüre des GNN-Verlages „RAF – BRD“ unter anderem mit Texten der RAF
konnten die Strafgerichte keine Unterstützung bzw. Werbung für eine terroristische Vereinigung erkennen.
Die Entscheidung des Oberlandesgericht Schleswig zum Buch „das info“ mit Briefen von Gefangenen aus der RAF
In Bezug aus Buch „das info“ [7] lautete der Schlußsatz des Beschlusses zum Aktenzeichen 2 OJs 11/87 [8], mit dem das Oberlandesgericht Schleswig am 30.10.1987 die Beschlagnahme des Buches und der Druckplatten aufhobt:
„Der Senat vermag […] dem beschlagnahmten Druckerzeugnis insgesamt eine werbende oder unterstützende Aussage des Herausgebers nicht zu entnehmen.“
Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundesgerichtshofs zur Broschüre des GNN-Verlages „RAF – BRD“
Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 04.08.1995 zum Aktenzeichen StB 31/95
Der Bundesgerichtshof hatte sich in einem Strafverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der Göttinger Autonomen Antifa (M) mit der Broschüre zu befassen, in dem es darum ging, ob die AA (M) eine Kriminelle Vereinigung sei, wobei die Mitglieder – nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft Celle – dabei auch gemeinschaftlich für eine Terroristische Vereinigung, nämlich die RAF, durch Verbreitung der genannten Broschüre geworben haben sollten.
Das OLG Celle hatte wegen beider Vorwürfe die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und die Sache wegen weiterer Delikte an das Amtsgericht Göttingen verwiesen. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft.
Dazu entschied der Bundesgerichtshof, der Vorwurf der Bildung einer Kriminellen Vereinigung sei vielmehr im Rahmen einer Hauptverhandlung zu prüfen, der Werbungsvorwurf dagegen zu recht verneint worden. Zu letzterem führte der BGH aus:
„Die angefochtene Entscheidung kommt […] ebenso wie das Oberlandesgericht Düsseldorf (aaO. [9])“ – in einem vorgehenden Verfahren mit dem (nicht erreichten) Ziel der Einziehung der Broschüre – „mit eingehender und zutreffender Begründung zu dem Ergebnis, daß die Schrift als Dokumentation angesehen werden muß und sich eine der RAF als Organisation förderliche Zielrichtung nicht eindeutig feststellen läßt. […]. Daß die Herausgeber der Schrift sich in den einleitenden und begleitenden Texten nicht von der RAF distanzieren oder neutral bleiben, vermag einen werbenden Charakter zugunsten der RAF noch nicht zu belegen.“ (Textziffer 9 f.)
Der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28.11.1994 zum VI 8/94 [10]
Zuvor hatte bereits das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden:
„Die beschlagnahmten Exemplare der Druckschrift unterliegen nicht der Einziehung nach § 74 d Abs. 1 Satz 1 StGB [11], weil der Inhalt der Druckschrift nicht so beschaffen ist, daß deren vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Werben für eine terroristische Vereinigung gemäß § 129 a Abs. 3 StGB darstellt.“ [12]
Siebenter Einwand:
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ersetzt die tatsächliche Unterstützung einer verbotenen Vereinigung als Strafbarkeitsvoraussetzung durch die bloße (noch dazu unterstellte) Absicht, die Vereinigung zu fördern, und die bloße abstrakte (aber nicht konkrete) Geeignetheit der Handlung, dieses Ziel zu erreichen
Liberale Staaten beanspruchen, nur Taten [13], aber keine (innerlichen) Gesinnungen [14] (und insofern auch keine bloßen Absichten – jedenfalls, sofern sie nicht schon einen konkreten Tatversuch darstellen [15]) zu bestrafen. Auch (öffentliche) Äußerungen sind – dem Anspruch nach [16] – weitgehend frei, sofern sie nicht gerade beleidigend oder jugendgefährdend sind.
Was sehen wir dagegen in dem baden-Württembergischen Rechtsfall?
Ein wahrer Satz (also eine Äußerung) in einem Artikel auf der Webseite eines (lizensierten) freien Radiosenders, der als solcher unter dem Schutz der Medienfreiheiten aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz steht, wird zu „eine[r] Handlung“ erklärt – und zwar zu einer, „die auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhangs [der verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“] abzielt und die insoweit geeignet ist, eine vorteilhafte Wirkung hervorzurufen“ (Hv. hinzugefügt).
Es soll also nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe
nicht darauf ankommen, ob der Journalist den Verein tatsächlich unterstützt hat (was unmöglich ist, da der Verein zum ‚Tat‘- = Schreib- und Veröffentlichungszeitpunkt nicht [mehr] existierte);
sondern es soll darauf ankommen,
worauf der Journalist angeblich „abzielte“ (also auf seine ihm unterstellte Absicht [17])
und
darauf, daß seine Handlung angeblich dazu abstrakt geeignet war, das unterstellte Ziel zu erreichen.
Das heißt: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ersetzt die tatsächliche Tatbegehung (Unterstützung), durch
die bloße (angebliche) Absichtzur Unterstützung
und
die Geeigenheit (also bloße Möglichkeit) zur Unterstützung.
Die bloß versuchte Unterstützung verbotener Vereine gibt es aber als Straftatbestand nicht; eine solche Unterstützung ist nur als vollendete Tat strafbar. [18]
Acht Einwand:
Der in Rede stehende Personenzusammenschluß wurde in der Verbotsverfügung falsch bezeichnet; schon dies steht strafrechtlichen Verurteilungen wegen angeblicher Unterstützung der angeblichen Vereinigung „linksunten.indymedia“ entgegen
Das Bundesverwaltungsgericht hatte – wie schon gesagt – 2020 klargestellt, die internet-Plattform linksunten.indmedia sei gar nicht verboten worden, sondern ‚bloß‘ der „dahinter stehenden Personenzusammenschluss“:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19; https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).
Dabei ist allerdings weder dem Bundesverwaltungsgericht, noch der Staatsanwaltschaft Karlsruhe noch dem Bundesinnenministerium, das das Verbot 2017 mit dem Anspruch verfügt hatte, auch das internet-Portal zu verbieten [19], aufgefallen (oder es wurde bewußt ignoriert), daß der nämliche „Personenzusammenschluss“ nicht genauso wie die internet-Plattform hieß, sondern „IMC [Independent Media Center] linksunten“ [20].
Das heißt: Abgesehen von der – von vielen in den Vordergrund gerückten Frage, ob der „Personenzusammenschluss“ vereinsförmig (siehe § 2 Vereinsgesetz [21]) organisiert war, gibt und gab es schon deshalb nie eine „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“, weil der gemeinte „Personenzusammenschluss“ vielmehr „IMC linksunten“ hieß.
Dieser Unterschied ist deshalb wichtig, weil das Bundesverwaltungsgericht in einem älteren Fall – dem Fall des Verbots des rechten „Verlag[es] Hohe Warte“ – entschied, daß im Falle der dortige Verbotsverfügung aus dieser nicht hinreichend bestimmt hervorging, welche Struktur konkret mit der Bezeichnung „Verlag Hohe Warte“ gemeint war – und das Verbot deshalb aufhob (BVerwG, Urt. v. 23.03.1971 zum Az. I C 54.66)
Seiner damaligen Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgenden Leitsatz vorangestellt:
„Eine Verbots- und Auflösungsverfügung (Art. 9 Abs. 2 GG) muß die betroffene Vereinigung so bestimmt bezeichnen, daß ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in einer die Vollziehung ermöglichenden Weise gekennzeichnet wird und daß die mißverständliche Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen nicht betroffene Personen ausgeschlossen ist.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/787ef32e-74dd-484e-ba9c-f886697e5896; zu den konkreten Umständen des dortigen Falls siehe Anhang 2 [22] meines dortigen Textes: https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/)
Fehlt es aber an einer hinreichend bestimmten Bezeichnung des Verbotsobjektes, dann kann in einem späteren Strafprozeß wegen vermeintlicher Unterstützung der verbotenen Vereinigung nicht festgestellt werden, ob gerade die verbotene Vereinigung oder irgendetwas anderes (z.B. ein Medium oder das Archiv eines Mediums) oder gar nichts unterstützt wurde (z.B. weil nicht materiell [physisch oder finanziell] „unterstützt“, sondern bloß um Sympathie geworden wurde) – bzw. das letztere kann schon (auch bei ungenauer Bezeichnung des Verbotsobjektes) festgestellt werden, nur ist diese Feststellung nicht geeignet [23], eine Verurteilung zu tragen.
Abgesehen von allen anderen Gründen darf Fabian Kienert in dem Fall „Radio Dreyeckland“ auch aus diesem Grunde nicht verurteilt werden.
Anmerkungen
[1] Beschl. v. 3. 7. 1981 zum Az. (1) 2 OJs 34/81 (10/81).
[2] Ganz ähnlich formuliert Anstötz, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 20214, § 84, Randnummer 9: „Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen […] in eigener Verantwortung entscheiden, ob […] es sich bei der betreffenden Vereinigung um die nämliche Partei handelt, die trotz Verbots nach Art. 21 Abs. 2 GG fortbesteht. […]. Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Zusammenhalt der ursprünglichen Partei aufrechterhalten wird, etwa indem der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind. Darum sind Feststellungen zur personellen und organisatorischen Identität und zur Kontinuität der Sachelemente erforderlich.“
[3] „Verzichtet wurde auf die im RegE noch genannte Begehungsform des Werbens.“ (BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 6)
[4] Vgl. dazu die Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages: „Die Tathandlung des Werbens soll […] auf das gezielte Werben um Mitglieder und um Unterstützer beschränkt werden. Die Sympathiewerbung, der die Rechtsprechung einen vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt zuweist (vgl. BGHSt 33, 16 <18>), kann hingegen ohne Einbuße für bedeutsame Rechtsgüter aus dem Tatbestand ausgeschieden werden.“ (BTag-Drs. 14/8893; https://dserver.bundestag.de/btd/14/088/1408893.pdf, S. 8)
[5] Diese Differenzierung zwischen mehreren Arten von Terroristischen Vereinigungen (Absatz 1 und 2 einerseits [höherer Strafrahmen] und Absatz 3 [niedrigerer Strafrahmen] andererseits) wurde mit einer weiteren Änderung aus dem Jahre 2002, die zum 28. Dezember 2002 in Kraft trat, eingeführt; siehe:
[6] Auch dies gehört zur Pressefreiheit und zur „Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film“ (Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz). – Artikel 5 Absatz 1 und 2: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html; Hv. hinzugefügt)
[8] Nr. 3 zu § 129a StGB, NStE 1988 H. 3, Bl. 33 (Vorderseite) bis 34 (Rückseite). – Das sogleich angeführte Zitat steht auf Bl. 33 (Rückseite).
[9] Siehe in und bei FN 10.
[10] Nr. 2 zu § 129 StGB, in: OLGSt 14, April 1996 (4 Seiten; die Loseblattsammlung ist nicht fortlaufend paginiert, sondern die einzelnen, abgedruckten Entscheidungen haben jeweils eine eigene Seitenzählung)
[12] a.a.O. (FN 10), S. 1 f.
[13] Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_103.html; Hv. hinzugefügt)
[14] Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz: „Niemand darf wegen […] seiner […] politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html) / Artikel 4 Absatz 1 Grundgesetz: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_4.html)
[15] „Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__22.html)
[16] Siehe noch einmal FN 6 (die Auslegung des Ausdrucks „allgemeine Gesetze“ Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz ist umstritten; dieses Problem kann und muß hier aber nicht erörtert werden, da es vorliegend nicht um die Frage geht, ob § 85 Strafgesetzbuch verfassungsgemäß ist, sondern der entscheidende Punkt ist, daß der dort genannte Straftatbestand von Fabian Kienert schlicht und ergreifend mit seinem Artikel nicht verwirklicht wurde [und auch nicht verwirklicht werden konnte – da das Verbotsobjekt zum Schreib- und Veröffentlichungszeitpunkt des inkriminierten Artikel nicht mehr existierte]).
[17] Siehe dazu FN <8> meines Artikel bei den taz-Blogs: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/wie-die-karlsruher-staatsanwaltschaft-den-gesetzlichen-straftatbestand-verfaelscht-um-einen-journalisten-von-radio-dreyeckland-anzuklagen/.
[18] Vgl. § 23 Absatz 1 Strafgesetzbuch: „Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__23.html) Die Unterstützung verbotener Vereine ist aber nur ein „Vergehen“ (kein „Verbrechen“).
Der Unterschied ist in § 12 Strafgesetzbuch definiert: „(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind. (3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__12.html)
§ 85 Strafgesetzbuch enthält in Bezug auf die Unterstützung und die einfache Mitgliedschaft (Absatz 2) keinen Versuchs-Tatbestand; allein für sog. „Rädelsführer“ und „Hinterm[ä]nn[er]“ bestimmt Absatz 1 Satz 2: „Der Versuch ist strafbar.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)
[19] „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)
[20] https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 38 f.
Siehe auch
den dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.
[21] „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (§ 2 Absatz 1Vereinsgesetz; https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)
[22] „Das Bundesverwaltungsgericht zur Notwendigkeit der hinreichend bestimmten Bezeichnung der Objekte von Vereinsverboten“.