Nice try

Bücherkalender Über Dianders hartnäckige Versuche, Märchen wertschätzen zu lassen, das gegenseitige Unterjubeln von Büchern und einen Fehlschlag.

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Nice try

Foto: jokebird/photocase

Diander und ihr Sohn praktizierten seit Jahren book-sharing, was die eine las, las auch der andere, was der eine las, davon konnte auch die andere die Griffel nicht lassen. Von dieser Praxis blieben über die Jahre weder Pixi-Bücher verschont, noch Artemis Fowl, noch Krimis, noch Klassiker wie Mann, Hesse oder Austen. Die einzigen Bücher, denen sich der Sohn hartnäckig entzog, waren die klassischen Märchen, auch wenn sie immer mal wieder dezent drapiert wurden.

Vor kurzem entdeckte Diander, dass Philip Pullman, britischer Literaturdozent und Autor von "His Dark Materials", der bereits von Mutter wie Sohn verschlungenen Serie rund um den "Goldenen Kompass", Grimms Märchen neu aufgelegt hatte. Dies unter Mitwirkung von Shaun Tan, einem gefeierten australischen Künstler, der neue Bilder zu Aschenputtel und Co. beisteuerte. Nicht kitschig, nicht altbacken, neu und anders. Das sah toll aus und hörte sich vielversprechend an.

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Hoho, Morgenluft gewittert. Das Buch wurde flugs gekauft und demonstrativ auspackt, um es – hinterhältig, aber wohlmeinend – auch dem Sohn schmackhaft zu machen. Der Einband vielversprechend, eine wunderschöne Skulptur zum Froschkönig. Wer als Erste anbiss und zugriff, war – völlig überraschend – die Mutter.

In der Einleitung beschreibt Pullman mit einem Auszug aus James Merrils „The Book of Ephraim“, warum und wieso er Märchen für lesenswert, essentiell und wichtig hält.

Über-

Drüssig aller Modefabelwerke unserer Zeit,

verlangt`s mich nach Geschichten ohne Beigeschmack

wie in Legenden, Märchen, rein geleckt ihr Ton

in Aberhundert Jahren von milden alten Zungen:

Großmutter spricht zum Jüngsten, abgeklärt und namenlos.

…So will auch mein Erzählen sein,

durchsichtig, ungebrochen,

mit den Figuren aus dem üblichen Bestand,

kaum je beschwert

von Eigenheiten und Erfahrung –

Einsiedler, Hexe, unschuldig-junges Liebespaar,

bekannt durch Grimm, Jung, Verdi

und Commedia dell`arte.

So die Einführung. Pullman erklärt eine der Absichten des Buches, nämlich über Grimms Märchen die Märchen der westlichen Hemisphäre grenzüberschreitend zu betrachten. Er findet in den nachbarschaftlichen Geschwistern Gemeinsamkeiten bei Märchen wie „Figuren aus dem üblichen Bestand“, namenlose Wesen, nur bezeichnet mit ihrer Berufsbezeichnung: der Müller, die Prinzessin, der Schneider, nicht Ludwig, Therese oder Martin. Die jeweiligen Ähnlichkeiten der Grimmschen Klassiker mit denen der Nachbarländer werden am Ende jeder Geschichte erklärt.

Und wie es bei mündlich überlieferten Geschichten so sei, so Pullman, steht zwar das Grundgerüst seit jeher, hängen aber die Geschwindigkeit, Lebhaftigkeit, Details von der Befindlichkeit des Erzählers, Niederschreibers ab. Pullman also schreibt die Märchen nach seiner Interpretation, mit der Leitfrage: „Wie würde ich diese Geschichte erzählen, wenn ich sie von jemand anderen gehört hätte und sie weitergeben wollte?“. Und zwar in der Originalversion erst einmal für englischsprachige Leser. Das Ganze wird dann nach dem Erscheinen in Großbritannien zurück ins Deutsche übersetzt. Ob die Übersetzerin dabei in einem Zwiespalt steckte, die Interpretation von Pullman wortwörtlich oder sinngemäß zu übersetzen oder die deutsche Vorlage zu benutzen, sie entschied sich weitgehend für die wörtliche oder gemeinte pullmansche englische Wortwahl, teils wohl mit Notlösungen in der Rückübersetzung in Reimform, teils gänzlich ohne Reime, in Sätzen.

Kein großes Problem bei der Rückübersetzung sind kleine Abweichungen gegenüber der Originalversion der Herren Grimm, hier z.B. bei „Schneewittchen“ (und damit raus aus Pullmans Vorwort, rein in die Märchen):

Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die Schönste im ganzen Land?

Der/die deutsche Leser/in murmelt auswendig im Schlafe: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier im Land“, während Pullmans deutsche Ausgabe antwortet: „Euer Gnaden, Ihr seid die Schönste hier im Land.“ Kann man machen.

Eine andere bekannte Stelle, aus dem „Froschkönig“. Am Schluss des Märchens Auftritt des langjährigen Dieners des Froschkönigs, des „treuen Heinrich“. Aus Erleichterung über die Erlösung seines Herrn, des geküssten Frosches aka verwunschenen Prinzes, entsteht bei Grimms folgender Dialog:

„Heinrich, der Wagen bricht.“

„Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als Ihr in dem Brunnen saßt,

als Ihr eine Fretsche (Frosch) was`t (wart).

Den Reim lässt Pullman entfallen, der treue Heinrich antwortet bei ihm, länger erklärend: „Nein, nein, Herr, das ist nur mein Herz. Als Ihr im Brunnen haustet, als Ihr ein Frosch wart, litt ich so große Schmerzen, dass ich eiserne Bänder um mein Herz legte, damit es nicht bricht, denn Eisen ist stärker als Kummer. Aber Liebe ist stärker als Eisen, und nun, da Ihr wieder ein Mensch seid, fallen die eisernen Bänder ab.“ Hatte man aber in der kürzeren Reimform auch kapiert. Ich zumindest.

Da klingt der Spruch der „Bremer Stadtmusikanten“, im Original der geflügelte Satz „Etwas Besseres als den Tod findest Du überall“, den sich die vier Tiere gegenseitig als Mut zusprechen, bei Pullman später lautend „Schlimmer als hier kann es nicht werden“, noch vergleichsweise adäquat.

Weiter geht es einige Märchen weiter mit „Dem Fischer und seiner Frau“. Selbst bei süddeutschen Lesern ist der Satz allgegenwärtig, geht flüssig über die Lippen:

Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje in der See,

Meine Frau, die Ilsebill,

Will nicht so, wie ich gern will.

Pullman und die deutsche Übersetzung formulieren hier:

Flunder, Flunder in der See,

komm herauf, dass ich dich seh.

Meine Frau die Ilsebill,

lässt Dir sagen, was sie will.

Nein, das geht nicht. Das geht gar nicht. Manntje, Manntje Timpe Te will ich lesen. Pullman will aber nicht so, wie ich will. Das lassen auch Kinder, mit dem Original vertraut, beim Vorlesen normalerweise nicht unkorrigiert durchgehen („Mama, Du hast falsch vorgelesen, das heißt „Meine Frau, die Ilsebill, will nicht so, wie ich gern will“).

Ein Kompromiss findet sich bei „Aschenputtel“, die zum Linsenlesen die Vögel zu Hilfe holt, mit der Zauberformel „…Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“. Der Hilferuf endet in Pullmans Grimms mit „…die guten kommen in den Topf, die anderen in euren Kropf“. Man hätte in der Übersetzung allerdings auch gut und gerne den Dreh zur alten Version kriegen können. In den nächsten Versen wird’s wieder freiere Gestaltung, aus dem „Bäumchen rüttel Dich und schüttel Dich, wirf Gold und Silber über mich“ wird „Haselbaum, erbarme dich! Schüttle Dich und rette mich“.

Es gibt Sätze, die aus Märchen heraus noch viel mehr in den allgemeinen Sprachschatz eingegangen sind, dazu gehört auch Rumpelstilzchens „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Die Rückübersetzung aus dem Englischen lautet pullmännisch „Wasser, Feuer, Erde, Luft, Rumpelstilzchen man mich ruft.“

Bitte, wie? Einmal laut aussprechen, nur einmal, und dann nie wieder.

Es sollte aber noch ärger kommen.

„Das tapfere Schneiderlein“ ist noch präsent? Jener vorwitzige, aufschneiderische kleine Mensch, der zu Beginn der Geschichte ein Wams näht (ein Wams, welch schönes Wort, bei Pullmann ist es eine Jacke, schade ums Wams, aber na gut). Der „Sieben auf einen Streich“ erledigt, der Riesen an der Nase herumführt, indem er einen Käse in der Faust zerquetscht und die Riesen glauben lässt, es wäre ein Stein? Der die Königstochter als Frau versprochen bekommt, wenn er es schafft, zwei Riesen, ein Einhorn und ein Wildschwein zu fangen? Ohne irgendeine Erklärung macht Pullman aus dem Einhorn – tief Luft holen – ein Nashorn. Jawoll, ein Nashorn.

Nein, beim Nashorn hört der Spaß auf. Bevor vielleicht gar noch aus einer Gänsemagd eine Fleischereifachverkäuferin wird, schnell das Buch zugeklappt und die alte Ausgabe von dunnomal rausgeholt.

Es mögen die manchmal klassischen, manchmal kitschigen Illustrationen meiner alten Ausgaben gegen Shaun Tans wunderbare Bebilderung noch so abstinken, aber aus Einhörnern in Grimms Märchen Nashörner zu machen... Das soll meinetwegen der Junior lesen, wenn er mag, unvoreingenommen. Oder die Briten zu einem Teller Nashorn mit Minzsoße. Da hol mich doch der Teufel mit den drei goldenen Haaren.

Oder nein, besser, ich schau mir Lotte Reiniger an. Zur Beruhigung. Und zu Zimtsternen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Diander

Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll, aber alle machen mit!

Diander

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