The Revolution will not be auctioned!

Kunstmarkt Banksy schreddert ein Bild bei Sotheby's - ein abgekartetes Spiel?

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"Baloon Girl". Der Widerspruch zwischen Kommerz und Kunst betrifft auch Banksy
"Baloon Girl". Der Widerspruch zwischen Kommerz und Kunst betrifft auch Banksy

Foto: imago/ITAR-TASS

„Going, going, gone!“ Der Hammer fällt bei 1,04 Millionen britischen Pfund, das Bild fängt an zu piepen und der Bildträger rutscht nach unten und wird geschreddert. Das in Streifen zerschnittene Werk quillt aus dem Rahmen. Aufregung im Saal, Skandal bei Sotheby's. “It appears we just got Banksy-ed“, kommentiert Senior-Auktionator Alex Branczik die Situation. Bei dem geschredderten Bild handelte es sich um das mit 300.000 Pfund angesetzte „Balloon Girl“, das bereits vielfach als Stencil-Kunst Hauswände des Londoner Ostens seit 2002 zierte. Das kitschige Motiv, auf dem ein kleines Mädchen einen Luftballon in Herzform fliegen lässt, hat bereits eine Geschichte. So wurde eines dieser Graffiti aus einer Hauswand herausgetrennt und für die stolze 500.000 Pfund versteigert. 2017 wurde das Motiv sogar in einer Umfrage zum Lieblingsbild der Briten gewählt. Kaum ein Bild des Künstlers könnte also seinen Marktwert mehr akzentuieren. Jetzt erzielte es eine Rekordsumme.

Street-Art, die es bis zu Sotheby's schafft hat ein Problem: Um ihre Glaubwürdigkeit ist es nicht gut bestellt. Gilt doch Subversion als ihr hauptsächliches Merkmal. Eine Kunstform, die in den Alltag eingreift, Sehgewohnheiten und politische Konventionen in Frage zu stellen sucht, gerät ins Wanken, wenn sie sich in Komplizenschaft zu Kapital und Spekulation begibt. Banksy ist der weltweit bekannteste Vertreter der Street-Art, einer teilkriminalisierten Kunst der Straße. Ihre Autoren bleiben unerkannt, ihre Interventionen meist illegal, viele Inhalte gesellschaftskritisch. So verbirgt auch Banksy streng seine Identität, sein Kopf stets unter einer Kapuze. Das Flair des Verbotenen verleiht Authentizität. Jedoch ist Street-Art längst Teil der Strategien des Guerilla-Marketings geworden. Sie spricht eine schwierige Zielgruppe an: eine gesellschaftskritische Jugend. Der Widerspruch zwischen Kommerz und Kunst betrifft auch Banksy. Nicht nur erzielen seine Originale obszön hohe Preise, auch ein gewieftes Marketing für den gesellschaftskritischen Mittelklassen-Hipster steht unter der Lupe: T-Shirts, Jutebeutel, Kaffeetassen mit Motiven ihres Idols. Glaubt man Banksy, so geschieht all dies wider seinen Willen. Die Aktion bei Sotheby's war nicht der erste Versuch des Künstlers, Kritik an der Vermarktung seiner Werke zu formulieren. So verkaufte er Originale auch schon mal für lediglich 60 Dollar an Passanten. Ausstellungen von Banksy sind stets Sekundärmarkt und vom Künstler nicht offiziell autorisiert.

Nun düpierte er die Kunstwelt mit einem sich selbst zerstörenden Werk. Das Medienecho war enorm. „Historisch“ befand das Londoner Auktionshaus. Doch inzwischen sind auch die letzten Kinnladen wieder hochgeklappt. Zu sehr wirkte dieses Ereignis eingespielt. Herbei geeilte Mitarbeiter des Auktionshauses hängten das nur halb geschredderte Bild stracks ab und brachten es hinaus. Der Schreddervorgang schien auf halbem Wege aufgehalten, als wolle er eine Momentaufnahme der Zerstörung für die vielfach gezückten Handycams festhalten. Mit dem Telefonbieter, der den Zuschlag erhielt, würde man weitere Schritte besprechen, so Sotheby's. Der Preis für das Werk habe sich bereits verdoppelt, brodelt es in der Gerüchteküche.

Entwertet oder aufgewertet - Banksy's Idee eines Kunstwerks, das sich selber dem Markt entzieht und sogleich annulliert ist keine Neue. Wenige mögen sich noch an Yves Kleins Zone de Sensibilité Picturale Immatérielle erinnern, eine Aktion die zwischen 1959 und 1963 stattfand, bei der Klein leeren Raum kubikmeterweise per Zertifikat veräußerte. Die Zertifikate gestaltete er parodistisch nach dem Vorbild eines Scheckhefts. Nicht mit Geld sondern nur mit Gold konnte ein Zertifikat über solch ein immaterielles Kunstwerk erworben werden. Das Werk war indes erst dann abgeschlossen, wenn der Käufer einwilligte, das Zertifikat zu verbrennen während Klein im Gegenzug das Gold in der Seine versenken würde. Mit diesem abstrakten Vorgang, in dem das eigentliche Kunstwerk durch eine Variable x ersetzt wurde, exemplifizierte Klein bereits früh die spekulativen Vorgänge kapitalistischer Wertschöpfung auf dem Kunstmarkt. Klein verwies auf den immateriellen Wert der Kunst, der weder definierbar noch kalkulierbar sei. Was blieb war nur die Idee eines Kunstwerks und sein Narrativ.

Interessanterweise war es ausgerechnet ein Galerist, der Italiener Peppino Palazzoli, der als einer der Ersten einen Scheck im Gegenwert von 20 Gramm Gold erwarb. Die rituelle Versenkung des Goldes in der Seine in Form von Blattgold wurde dokumentiert. In Anwesenheit von illustren Gästen flogen die Blätter unter dem Klang des Mittagsgeläuts in die Seine. Klein liebte den Gegensatz von verschwindender Leichtigkeit und materiellem Wert. Dennoch gelangte ein wesentlicher Teil des Goldes zur Weiterverarbeitung durch den Künstler, der damit großformatige goldene Monochrome herstellte. Die Symbolik hatte den Vorrang vor dem Rechnungswesen. Die Aura der Kunst aber wurde -frei nach Walter Benjamin - gegenüber einer „parasitären Abhängigkeit zum Ritual“ emanzipiert. Die skandalträchtige Aktion brachte Klein damals den Zorn der Tagespresse ein. Doch auf die Anschuldigung des Betruges entgegnete er kühn, nicht der Verkauf solcher Werke sei Betrug; er selbst sei der beraubte, wenn er Geld für Kunst annehmen würde.

Auch der deutschstämmige englische Künstler Gustav Metzger stellte ab 1960 mit seinen autodestruktiven Werken das Verhältnis von Kunst und Kapital in Frage. Die von ihm mit Säure auf Nylon gemalten Action Paintings verschwanden im Moment der Entstehung. Sie deuteten auf Auslöschung nicht nur der Wertschöpfungskette, sondern der gesamten Kultur im Schatten des nuklearen Wettrüstens der Großmächte.

Bereits 1953 bat der junge Robert Rauschenberg, den damals von ihm bewunderten Willem de Kooning um eine Zeichnung, um durch deren Löschung ein neues Kunstwerk auf dem selben Blatt zu schaffen. Rauschenbergs gar nicht bilderstürmerisch, sondern eher philosophisch inspirierter Akt, hinterfragte die Originalität des Künstlers gleichermaßen wie die Gewalt des Neuen, das auf den Ruinen des Alten entsteht. Kann auf dem Grund der Abwesenheit und nach der Entwertung ein neuer Wert entstehen? Diese Fragen der Kriegsgeneration an die Nachkriegswelt erhielten auch hier zeitgeschichtliche Tragweite. Neben der Evokation des kulturellen Zusammenbruchs und des Wiederaufbaus hinterfragt Rauschenbergs Werk, das zehn Jahre im Atelier schlummerte bevor es einen konkreten Marktwert erzielte, die Ökonomie des Kunstwerks, als hätte er Schumpeters Theorie der schöpferischen Zerstörung Lügen strafen wollen. Wie ein irreparabel zerstörtes Werk Marktwert erzielen kann, stand in Korrelation zur universalen Frage, wie nach dem kulturellen Zusammenbruch des zweiten Weltkriegs neue Werte entstehen können, nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Kollaps, Wiederaufbau und Wachstum waren elementare Fragen eines sich neu formierenden transatlantischen Kapitalismus.

Blickt man heutzutage auf diese Werke, so unterstreichen sie die vielfältigen kulturellen und ökonomischen Aspekte, die zur Einschätzung des Werthaltigkeit hinzugezogen werden und werden müssen, um ihrem Stellenwert allein schon hinsichtlich des kulturellen Kanons gerecht zu werden. Oft operiert der Markt mit solchen Narrativen. Wert und Wertsteigerung stehen hier in einem Verhältnis wie Expertise und Legende. Dies geht so weit, dass mitunter nur noch der Markt die Narrative hierfür liefert, während wissenschaftliche Expertise ebenso wie künstlerischer Diskurs, und manchmal gar der Verstand, ausgeblendet scheint. Wenn sich der Kunstmarkt dabei überhitzt und Künstler als Reaktion das Heft in die Hand nehmen, so wird dies willfährig als Triumph der Kunst wahrgenommen. Dabei gehen einige Künstler bis zum Bildersturm, während die Händler schon wieder die Dollarzeichen in den Augen haben. Sind doch die echten Ereignisse um so viel wertvoller als die Legenden! So verwundert es auch nicht, wenn der Realität manchmal ein wenig nachgeholfen wird.

Doch nicht jeder Art des Bildersturms endet automatisch mit Wertzuwachs. Als der russische Extremkünstler Alexander Brener, der schon auf einen Van Gogh seine Fäkalien hinterlassen hatte, auf der angeblichen Suche nach einem Dialog mit Malewitsch, gewiss aber auf der Suche nach Aufmerksamkeit, ein grünes Dollarzeichen auf Malewitschs Werk „Suprematisme“ sprühte, brachte das dem Künstler kaum Erhöhung des Marktwerts ein. Wohl aber kurzfristige Konjunktur in der Aufmerksamkeitsökonomie. Doch auch hier gibt es Konjunktur-schwankungen und nicht alles ist von bleibendem Wer. Die mehrjährige Haftstrafe, die Aleksander Brener daraufhin verbüßte dürfte konstanter gewesen sein.

Weit von der Illegalität entfernt dürfte die Londoner Schredder-Aktion gewesen sein. Zerstörung fremden Eigentums oder Immanenz eines performativen Werks; den Beigeschmack der Inszenierung wird der Zwischenfall bei Sotheby's kaum abschütteln. Das Gefühl von Absprache zwischen Künstler und dem traditionsreichen Auktionshaus beschlich bereits einige Beobachter. In einem Bekennervideo zeigte Banksy, wie er den Aktenschredder in den Rahmen des Werks einbaute. Es ist kaum denkbar, dass in einem derartig der Sorgfalt verpflichteten Gewerbe wie dem hochpreisigen Sekundärmarkt, ein solcher Eingriff in das Bild nicht aufgefallen wäre. Die ganze Inszenierung riecht nach Pseudo-Kritik, aus welcher das Objekt der Kritik als Gewinnerin hervorgeht: Der Kunstmarkt ist auch hier wieder Kriegsgewinnler eines in Komplizenschaft arrangierten Kriegsspiels. Der ökonomische Wert von Banksys Werk wird wahrscheinlich steigen, bis die Blase irgendwann platzt. Den wohlgemeinten kritischen Ansätzen Banksys mangelt es letztlich doch an Subtilität. Sie sind so schablonenhaft wie seine in den Kunstmarkt transponierten Street-Art Motive. Die Transposition tut ihnen nicht gut: Was auf der Straße funktioniert, muss sich hier anderen Gesetzen unterordnen oder sich eben entziehen. Denn die Teilöffentlichkeit der Kunstwelt verkörpert einen Gegensatz zur politischen Sphäre. Es ist das Schicksal der Konsumkritik, durch eine solche Kontextverschiebung, unlösbar im Widerspruch zu sich selbst zu stehen. Die Spekulationsblasen wachsen weiter. Die Revolution wird nicht auktioniert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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