Einmal Avantgarde, immer Avantgarde

Medientagebuch Die Fleischwurst gewordene Selbstkritik: Mälzer kocht! Und will jetzt öfter mal die Klappe halten. Daran sollte sich Götz Aly ein Beispiel nehmen

Tim Mälzer ist der Götz Aly der deutschen Fernsehkochkunst. Der Historiker hatte im letzten Jahr eine autobiografisch angelegte Studie zu den 68ern vorgelegt (Unser Kampf), die sich von einer scharfen Selbstkritik zu einer Schelte des gesamten Jahrgangskollektivs bewegte. Nach dem Motto: Wenn ich mich schäme, sollen sich alle schämen!

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Tim Mälzer gehörte nicht wie Ali zu maoistischen Kadern der FU Berlin Anfang der siebziger Jahre. Er wurde da erst geboren. Aber Mälzer haftet wie Aly ein Makel an. In einem Alter, in dem Aly die „Erfolge der Proletarischen Kulturrevolution in China“ feierte, lernte Mälzer den Mann kennen, der international als „The Naked Chef“ das Fernsehkochwesen revolutionierte: Jamie Oliver. Auf dessen Spuren sorgte Mälzer ab 2003 für ­Unruhe im deutschen Fernsehen. Seine Show Schmeckt nicht, gibt’s nicht (Vox) trieb den grassierenden Kochwahnsinn auf die Spitze. Mälzer kam mit seiner Sendung jeden Werktag auf den Schirm und war zudem extrem erfolgreich. Auf Vox wird seitdem permanent und in allen nur denkbaren Variationen gekocht.

Mälzers Spezialität war neben einer gewissen Nonchalance im Umgang mit Materialien und Utensilien vor allem das permanente und schnelle Gequassel. Er redete während der Aufzeichnungen der Sendung noch schneller, als er Zwiebeln schnitt. Kochen war in Mälzers Show gnadenlose Selbstdarstellung bis in den letzten Eintopf hinein. Seinen Ruhm suchte er durch geballte Medienpräsenz auszubeuten. Schmeckt nicht, gibt’s nicht reichte nicht mehr. Es musste ein wilder Kochwettstreit wie Born to cook sein. Dazu sah man ihn andauernd bei Kerner im ZDF herumkochen. Und zu allem Überdruss tourte er mit einer eigenen Bühnenshow durch die deutschen Freizeitzentren. Irgendwann verschwand Mälzer von der Bildfläche. Nun kehrt er mit einer neuen Sendung zurück: Mälzer kocht! wird vom NDR jeden Samstagnachmittag im Ersten gezeigt.

Die Show wirkt wie die Fleischwurst gewordene Selbstkritik des Tim Mälzer. Anders als in vielen anderen Kochsendungen soll es in seiner neuen nur um die Sache selbst gehen. Und Mälzer will, wie er in der Eröffnungssendung mit Gast Alfred Biolek versprach, nicht mehr soviel reden, sondern öfter schweigen, wenn er kocht, brät und sottet. In seiner Selbstkritik hat Mälzer ja recht. Warum aber kommt diese seine Selbstkritik, wie bei Aly, so selbstgerecht daher – einmal Avantgarde, immer Avantgarde?

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