Wie das passieren konnte

Kachelmann Der Fall Kachelmann ist nur durch dessen Aufstieg zu einem geworden: Über die Prominenzproduktion und Personalisierung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Über Jörg Kachelmann wäre im Moment nicht mehr zu sagen, als dass er in Untersuchungshaft sitzt, da er – laut Anklage der zuständigen Staatsanwaltschaft – seine Lebensgefährtin bedroht und vergewaltigt haben soll. Und selbst das gehörte nicht an diese Stelle, da er sein Schicksal mit anderen Männern teilt, über ­deren Schuld oder Unschuld auch kein Hahn krähend mutmaßt. Doch Kachelmann ist eine Medienfigur, weshalb etwa seine Verhaftung am 22. März nicht nur von den Privatsendern mit dem üblichen Tremolo verkündet wurde, sondern auch in heute, der Nachrichtensendung des ZDF, Platz fand – noch vor der Todesnachricht von Bayreuths Wolfgang Wagner.

Auf dem Boulevard wurde der Fall rauf- und runterbuchstabiert, in der Regel verrieten die Spekulationen über Liebe und Betrug, Leidenschaft und Gewalt weniger über den Fall selbst als über die Phantasien ihrer Produzenten. Bald mischten die Anwälte mit, die auf der eine Seite die Person des Untersuchungshäftlings vor der Öffentlichkeit zu schützen beabsichtigten – und auf der anderen eben dieser Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild Jörg Kachelmanns vermitteln wollten. Selbst die Tagesschau, die sich lange zurückhielt und darauf – wie man im Blog ihres Chefs Kai Gniffke nachlesen kann – auch stolz war, hielt sich nicht mehr zurück, als am 19. Mai Anklage erhoben wurde.

Die Mediengeschichte des Falls von Jörg Kachelmann ist mit der seines Aufstiegs verbunden. Der Schweizer begann seine Karriere, indem er das amerikanische Modell einer auf Entertainment gründenden Wetterprognose in Deutschland durchsetzte. Zunächst im Hörfunk des damaligen SWF, dann im Morgenmagazin der ARD sorgte er mit einer lockeren Live-Moderation, die sich einer alltäglichen Sprache befleißigte, für Aufmerksamkeit. Das Fernseh-Wetter war damals Thema der Meteorologen. Es wird in der Tagesschau bis heute vom deutschen Wetterdienst als eine reine Zeichentricksimulation präsentiert, die aus dem Off kommentiert wird – lange im Fachjargon.

Kachelmann mit seinen Sprüchen änderte das und machte darob Karriere. Angesichts seines Charmes, der an den eines Betonpollers gemahnt, und seiner Bildschirmpräsenz, die einen stets an eine Vogelscheuche erinnert, ist das verwunderlich – aber weniger Ausnahme als Regel, wie man derzeit bei Eckhart von Hirschhausen sieht.

Mitte der neunziger Jahre tauchte Kachelmann überall auf, erst als Gast in diversen Talkshows, bis er selbst zum Talkmaster ernannte wurde. Mehrere Jahre moderierte er das Riverboat im MDR, eine der düstersten Gesprächssendungen im deutschen Fernsehen. Hier bewies Kachelmann mit wachsender Routine vor allem sein Desinteresse an anderen Menschen.

Lebendig wurde er, wenn es um das Geschäft ging. Die von ihm gegründete Firma stellte er stets besser als die Konkurrenz vom deutschen Wetterdienst dar. Und viele boten ihm für seine Attacken auf die Konkurrenz eine Bühne, nicht zuletzt weil Kachelmann über das Wetter und die daraus resultierenden Katastrophen mit Verve zu reden versteht. Doch die Massenmedien befördern Menschen wie ihn auch deshalb in ihren Himmel aus Pappe und Scheinwerferlicht, um von ihrem Fall profitieren zu können. Sie produzieren erst die Fallhöhe, die aus der weithin unbekannten Strafsache den Aufmerksamkeit erheischenden Sturz eines Prominenten macht. Von diesem Interesse an der Prominenz sind auch die Staatsanwaltschaften im Land nicht frei, die mittels solcher Fälle ein wenig Licht der Öffentlichkeit auf sich lenken. So spielen alle ihr Spiel mit den Medien und beklagen, dass es die anderen auch tun. Scheinheilig ist das und sonst gar nichts.


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